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Labordiagnostik paraneoplastischer Syndrome

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Labordiagnostik paraneoplastischer Syndrome

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Labordiagnostik paraneoplastischer Syndrome

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Labordiagnostik paraneoplastischer Syndrome

  29 Mit Krebserkrankung assoziierte Syndrome (paraneoplastische Syndrome)

Lothar Thomas

Bei der Mehrzahl der Neoplasien werden klinische Symptome durch die Tumormasse auf das umgebende Gewebe und/oder durch Metastasen verursacht.

Paraneoplastische Syndrome sind eine heterogene Gruppe von Symptomen bei Krebspatienten, die bedingt sind durch /12/:

  • Funktionelle Peptide und Hormone, die vom Tumor abgegeben werden und zu metabolischen Störungen führen.
  • Kreuzreaktivitäten des Immunsystems zwischen dem Tumorgewebe und normalem Gewebe wodurch es zu charakteristischen klinischen Symptomen kommen kann.

Die Symptome werden paraneoplastisch genannt, wenn die spezifischen Komponenten oder Symptome ungewöhlich in Bezug auf das betroffene Gewebe oder Organ sind.

Paraneoplastische Syndrome/12/:

  • Betreffen etwa 8 % der Krebspatienten /3/.
  • Können den klinischen Verlauf. die Therapieantwort und die Prognose ändern und auch fälschlicherweise als Metastasierung angenommen werden.
  • Sind gewöhnlich mit einem kürzeren Überleben bei hoch malignen Tumoren assoziiert.
  • Können sich vor, während und nach der Diagnose einer Krebserkrankung manifestieren.
  • Können die Frühdiagnostik einer Krebserkrankung begünstigen und die Antwort auf eine adäquate Therapie und des Managements geben.

Viele Organe und Gewebe können von paraneoplastischen Manifestationen betroffen sein, z. B.:

  • Das endokrine System; es resultieren Symptome einer endokrinen Überfunktion wie das ektope ACTH Syndrom, das Syndrom der inappropriaten ADH Sekretion oder die Tumorhyperkalziämie.
  • Das hämatopoetische System mit der Folge einer Anämie, Erythrozytose oder Thrombozytopenie.
  • Die Hämostase mit Ausbildung einer Thrombose oder Hämorrhagie.
  • Das Nervensystem mit paraneoplastischen Effekten des zentralen Nervensystems, einer peripheren Neuropathie oder myopathischer paraneoplastischer Syndrome.
  • Die Leber mit Ausbildung klinischer Befunde wie Hepatomegalie, Ikterus und Funktionsstörungen des Organs.

29.1 Paraneoplastische Störungen des Mineral- und Elektrolytmetabolismus

Hyperkalziämie, Hypophosphatämie, Hypomagnesiämie, Hyponatriämie und Hypokaliämie sind häufige Störungen, die im Verlauf einer malignen Tumorerkrankung vorkommen.Typischerweise treten paraneoplastische Störungen des Mineral- und Elektrolythaushaltes bei Patienten mit der Sekretion von funktionellen Peptiden oder Hormonen auf, die ein kleinzelliges Bronchialkarzinom haben /4/. Tab. 29-1 – Paraneoplastische Störungen des Calcium- und Elektrolyt-Metabolismus.

29.2 Paraneoplastische Störungen des Glucosestoffwechsels

Inselzelltumor bedingte Hypoglykämie

Insulin bildende Tumore der Inselzellen können die Ursache einer Tumor bedingten Hypoglykämie sein.

29.2.1 Hypoglykämie bedingt durch extra pankreatische Tumoren

Die extra pankreatische Tumorhypoglykämie, auch als Non Islet Cell Tumor Hypoglycemia (NICHT) bekannt, kann mesenchymalen, epithelialen und hämatopoetischen Ursprungs sein und beim hepatozellulären Karzinom, Fibrosarkom, Mesotheliom, Hämangioperizytom und adrenokortikalem Karzinom vorkommen.

Folgende Merkmale sind für die NICTH typisch /6/:

  • Verminderung der Glucosebildung durch Hemmung der hepatischen Glykogenolyse und Glukoneogenese.
  • Hemmung der Lipolyse mit Verminderung der freien Fettsäuren im Plasma.
  • Vermehrter Glucoseverbrauch in der Muskulatur und weniger im Tumor selbst.
  • Ursache der Tumor bedingten Hypoglykämie soll die vermehrte Bildung von big IGF-2 (Insulin-like growth factor 2) durch den Tumor sein. Big IGF-2 bewirkt direkt oder indirekt über bisher noch nicht eindeutig geklärte biochemische Wege die Stimulierung zellulärer Insulinrezeptoren, mit der Folge der zuvor genannten metabolischen Merkmale der NICTH /7/.

Klinische Befunde: Die Beschwerden der Patienten sind neuroglykopenischer Natur wie reduzierte intelektuelle Leistungsfähigkeit, Kopfschmerzen, Konzentrationsschwäche, Müdigkeit, Erinnerungslücken, epileptiforme Anfälle, fokale neurologische Ausfälle und Synkopen.

Laborbefunde /2/: Konstante oder rekurrente Episoden von Hypoglykämie, niedriges Insulin (< 1,5 mIU/l; < 10 pmol/l), niedriges C-Peptid (< 0,3 μg/l; < 1 nmol/l), erniedrigte Werte von Wachstumshormon, erhöhtes IGF-2, Ratio IGF-2/IGF-1 oft über 10.

29.2.2 Hyperglykämie

Bei paraneoplastischer Bildung von ACTH, z.B. durch ein kleinzelliges Bronchialkarzinom, kann es zur Ausbildung einer Hyperglykämie kommen, da ACTH ein Gegenspieler von Insulin ist. Das ist auch der Fall bei Tumoren, die Wachstumshormon oder Growth hormone releasing factor bilden, wie das Bronchialkarzinom, ein Pankreastumor oder das Karzinoid.

29.3 Paraneoplastische Veränderungen des Blutbildes

Paraneoplastische hämatologische Syndrome können die Erythropoese, Granulopoese und Thrombopoese betreffen. Die Störungen werden gewöhlich erst dann diagnostiziert, wenn eine Krebserkrankung vorliegt und sind selten symptomatisch.

29.3.1 Tumoranämie

Etwa 80 % der Tumorpatienten haben eine Anämie und nahezu jeder nicht kurativ behandelbare Tumorpatient wird im Verlauf der ihm noch verbleibenden Lebenszeit eine Anämie entwickeln. Die Anämie ist mit eine der wesentlichen Todesursachen des Tumorpatienten. Die Anämie kann durch den Tumor selbst bedingt sein oder als Folge der Therapie auftreten. Der Abfall des Hb Werts erfolgt gewöhnlich langsam, Hb-Konzentrationen < 80–90 g/l werden erst in der finalen Phase oder unter Therapie mit Zytostatika unterschritten, wenn nicht rechtzeitig durch die Gabe von Erythrozytenkonzentrat der Abfall von Hb kompensiert wird /7/. Unterschieden werden direkte von indirekten Ursachen, letztere sind paraneoplastischer Natur. Siehe Tab. 29-2 – Direkte und paraneoplastische Ursachen der Tumoranämie.

Pathophysiologisch beruht die Tumoranämie auf:

  • Einer hypoproliferativen Erythropoese, bedingt durch die proapoptotische Wirkung inflammatorischer Zytokine, die der antiapoptotischen Wirkung von Erythropoetin entgegenwirken; je höher die Zytokinwirkung, desto stärker die Anämie.
  • Einer Verkürzung der Erythrozytenlebenszeit auf zwei Drittel derjenigen von Normalpersonen.
  • Einer Knochenmarkinfiltration des Tumors mit Verdrängung erythropoetischer Vorläuferzellen und der Induktion einer Markfibrose mit Verminderung der Erythropoese. Durch Veränderung der sinusoidalen Matrix werden Erythoblasten und Leukozyten in die Zirkulation abgegeben.
  • Einer paraneoplastischen reinen roten Blutzellaplasie, z.B. assoziiert mit einem Thymom. Zytotoxische T-Zellen werden phänotypische und funktionell aktiviert, bilden Typ-1 Zytokine, z.B. Interferon-γ, die über Fas und den Fas-Liganden eine Apoptose in Gang setzen /8/.

Laborbefunde: Normozytäre normochrome Anämie in etwa 80 % der Fälle, Ferritin im Serum erhöht oder normal, Transferrinsättigung vermindert, Eisen im Serum vermindert, löslicher Transferrinrezeptor normal. Das Differenzialblutbild zeigt eine Leukoerythroblastose, das rote Blutbild eine Poikilozytose und eine Zunahme der Erythrozytenverteilungsbreite.

29.3.1.1 Wärmeantikörper-vermittelte autoimmunhämolytische Anämie (AIHA)

Etwa 20 % der AIHA treten bei malignen Erkrankungen auf. Im Vordergrund stehen die chronisch lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin Lymphome und seltener Adenokarzinome vom Muzin bildenden Typ wie z.B. das Ovarialkarzinom  /9/.

Laborbefunde

Positiver direkter Antiglobulin (Coombs)-Test mit Antiseren gegen IgG oder Komplement, Verminderung von Haptoglobin und Retikulozytose.

29.3.1.2 Kälteantikörper-vermittelte AIHA

Die Kälteantikörper vermittelte AIHA ist seltener als die Wärmeautoantikörper bedingte. Sie kommt bei lymphoproliferativen Erkrankungen, insbesondere dem M. Waldenström und Non-Hodgkin Lymphomen, vor. Die Autoantikörper gehören der Klasse IgM an. Die durch die Kälteautoantikörper sich ausbildende Kälteagglutinin-Krankheit entwickelt sich langsam über Jahre.

Laborbefunde

Auffällig werden die eine Agglutination der Erythrozyten verursachenden Kälteagglutinine häufig erstmalig durch eine abnorme Erhöhung des mittleren Zellvolumens der Erythrozyten (MCV) . Der direkte Antiglobulin (Coombs)-Test ist positiv mit Antiserum gegen C3d, weniger gegen C3b. IgM ist nicht mehr nachweisbar, da es von den Erythrozyten dissoziiert ist. Das Komplementfragment C3d ist durch eine proteolytische Degradation von C3b am Membran gebundenen Erythrozyten entstanden.

29.3.1.3 Mikroangiopathische hämolytische Anämie (MAHA)

Die MAHA soll auf einer Freisetzung von Prokoagulatoren durch den malignen Tumor beruhen. Über eine Aktivierung des F X kommt es zur Gerinnungsaktivierung mit der Ausbildung von Mikrothromben. Siehe auch Beitrag 16.8.2 – Krebs induzierter venöser Thromboembolismus. Die MAHA ist selten, wird aber gehäuft bei Muzin-bildenden Tumoren (Ovar, Adenokarzinom des Gastrointestinaltrakts) gefunden.

Laborbefunde

Thrombozytopenie, Verminderung des MCV, Präsenz von Schistozyten, Erhöhung von Fibrin/Fibrinogen-Monomeren und D-Dimeren auf Grund einer meist milden Verbrauchskoagulopathie.

29.3.2 Paraneoplastische Erythrozytose

Eine durch Erythropoetin (EPO) induzierte Erythrozytose kommt beim Nierenzellkarzinom, dem hepatozellulären Karzinom und dem cerebellaren Hämangioblastom vor. Zellen dieser Tumoren bilden EPO. Bei Kindern mit Wilms-Tumor wurde eine ektope EPO-Bildung nachgewiesen, nicht aber eine Erythrozytose. Das beruht auf der Bildung von zwar immunchemisch nachweisbarem, aber biologisch inaktivem EPO /10/.

Beim Nierenzellkarzinom haben, gemessen mit einem Immunoassay, 10–33 % der Patienten eine erhöhte EPO-Konzentration und 0–8 % eine Erythrozytose. Die Häufigkeit der Anämie ist weitaus häufiger als die Erythrozytose /11/. Die gemessene EPO Konzentration liegt meist im Bereich der Patienten mit Eisenmangelanämie (40–120 U/l) und nur selten darüber.

29.3.2.1 Paraneoplastische Veränderungen der Thrombozytenzahl

Etwa ein Drittel der Patienten mit malignen Tumoren haben eine Thrombozytose mit einer Thrombozytenzahl von mehr als 400 × 109/L /12/ z.B. bei Patientinnen mit epithelialem Ovarialkarzinom /13/.

Immun vermittelte Thrombozytopenien werden am Häufigsten bei Lymphomen diagnostiziert und nur gelegentlich bei soliden Tumoren.

29.3.3 Paraneoplastische Granulozytose

Die paraneoplastische Granulozytose tritt bei etwa 15 % der soliden Tumoren mit einer Leukozytenzahl von 12 bis 30 × 109/l auf. Bei einer Leukozytenzahl von > 40 × 109/l waren die Ursachen bedingt durch hämatopoetische Wachstumsfaktoren (69 %), Infektionen (15 %) paraneoplastisch (10 %), Glukokortikoide oder Vasopressoren (5 %) /14/.

29.3.4 Paraneoplastische Eosinophilie

Die paraneoplastische Eosinophilie ist entweder ein klonales Phänomen oder hat eine sekundäre Ursache (sekundäre Eosinophilie).

Die klonale Eosinophilie beruht auf einem Rearrangement von Genen (z.B. FIP1L1, PDGFR und FGFR1), das direkt durch den neoplastischen hämatologischen Prozess verursacht wird /15/.

Die sekundäre Eosinophilie beruht auf der Wirkung von Wachstumsfaktoren (z.B. IL-2, IL-5 und GMCSF)der eosinophilen Zellen. Häufigere Tumoren mit sekundärer Eosinophilie sind Lymphome, und Leukämien, aber auch solide Tumoren der Lunge, des Gastrointestinaltrakts und gynäkologische Tumoren /2/.

29.4 Paraneoplastische Hämostasestörungen

Störungen der Hämostase sind bei Patienten mit malignen Tumoren häufig, insbesondere bei den disseminierten Formen. Sie können eine Blutung oder eine Thrombose bewirken. Thrombosen treten häufiger bei den soliden Tumoren auf, Blutungen häufiger bei den hämatologischen Neoplasien. Siehe auch Beitrag 16.8 – Hämostase bei Tumorpatienten.

29.4.1 Hyperkoagulopathie und Thrombose

Vorwiegende Gerinnungsfaktoren, deren Aktivität erhöht ist, sind Fibrinogen, FV, FVIII:C, FIX und FX. Der Anstieg von Fibrinogen und die Reduzierung der Thrombozytenzahl sind bei Tumorpatienten mit disseminierter intravaskulärer Koagulopathie häufig. Bei vielen Neoplasien läuft eine leichte intravaskuläre Gerinnung ab und wird nur erkennbar durch Laborbefunde wie eine erhöhte Konzentration der D-Dimere, Abfall von Fibrinogen und das Auftreten von Fibrin/Fibrinogen-Spaltprodukten, z.B. von Fibrinopeptiden A und B. Auch kann im Extremfall eine fulminante disseminierte intravasale Gerinnung mit Blutung und Thrombosen auftreten /12/.

29.4.2 Blutung

Bei akuten Leukämien können Blutungen der eigentlichen Diagnosestellung vorangehen. Klinische Symptome sind dann häufig Petechien, Ekchymosen und Purpura. Diese sind bei 40–70 % der Patienten bei Diagnosestellung einer akuten Leukämie vorhanden. Blutungen sind bei 40 % der akuten Leukämien die Todesursache wurde aber übertroffen von Infektionen /12/.

Thrombozytopenien sind die wesentliche Ursache einer lebensbedrohenden Blutung bei akuten Leukämien und im Endstadium chronischer Leukämien.

Die bei hämatologischen Neoplasien auftretenden Störungen der Hämostase sind aufgeführt in

29.4.3 Störungen der Hämostase bei soliden Tumoren

Bei soliden Tumoren stehen auf Grund der Freisetzung prokoagulatorischer Substanzen aus den Tumoren und/oder einer Thrombozytose die Thrombosen und thromboembolischen Ereignisse im Vordergrund /16/. Die generelle Inzidenz für Thrombosen beträgt 15 %. Patienten mit malignen Tumoren entwickeln postoperativ häufiger tiefe Venenthrombosen als diejenigen ohne Krebs. Für Patienten mit einem malignen gastrointestinalen Tumor beträgt die Inzidenz einer postoperativen Thrombose oder einer venösen Thromboembolie (VTE) bis zu 40 %. Blutungen treten bei soliden Tumoren im Verlauf einer dissiminierten intravasalen Gerinnung und bei einer primären Aktivierung der Fibrinolyse auf.

Die venöse Thromboembolie kommt bei etwa 3 % der Patienten mit Bronchialkarzinom innerhalb von 2 Jahren nach Diagnose des Krebses vor /17/. Die Inzidenz beträgt 40–100 Fälle auf 1.000 Patientenjahre beim Bronchialkarzinom im Vergleich zu 1–2 Fällen auf 1.000 Patientenjahre in der Allgemeinbevölkerung. Das nicht-kleinzellige Bronchialkarzinom (NSCLC) ist mit einem höheren VTE-Risiko behaftet als das kleinzellige Karzinom (SCLC). Von den NSCLC geht das Adenokarzinom mit einem höheren VTE-Risiko einher als das Plattenepithelkarzinom /18/.

Störungen der Hämostase bei soliden Tumoren sind aufgeführt in Tab. 29-6 – Störungen der Hämostase bei soliden Tumoren.

29.5 Paraneoplastische endokrine Syndrome

Paraneoplastische endokrine Syndrome werden durch die ektope Sekretion von Hormonen oder Peptiden maligner Tumoren ausgelöst. Hormone, die von diesen Tumoren freigesetzt werden, rufen die Symptome endokriner Überfunktionszustände an einem Tumor fernen Ort des Organismus hervor /119/. Beispiele sind das SIADH, die Hyperkalziämie, das Cushing Syndrom und die Hypoglykämie. Die Ausbildung dieser Symptome und Syndrome korreliert nicht mit dem Tumorstadium und der Prognose /2/. Generell sind aber paraneoplastische endokrine Syndrome mit einer geringeren Lebenserwartung verbunden. Zu den klinischen Befunden, den assoziierten Tumoren und der Labordiagnostik siehe Tab. 29-7 – Paraneoplastische Hormonsynthese.

29.6 Paraneoplastische neurologische Syndrome (PNS)

Neurologische Manifestationen bei Krebspatienten können durch Metastasen, metabolische Störungen, Infektionen, vaskuläre Insulte oder die Tumortherapie durch Zytostatika oder durch Bestrahlungs-bedingt sein /20/. Die PNS werden induziert durch eine anti-Tumor Immunantwort mit der Bildung von Antikörpern, die sich gegen das Nervensystem richten und dort eine Funktionsstörung oder Schädigung verursachen. Eine Vielzahl von Antikörpern sind mit unterschiedlichen Syndromen und Tumoren assoziiert /21/. Die meisten PNS haben eine Prävalenz von weit unter 1 % und kommen vorwiegend beim kleinzelligen Bronchialkarzinom vor /21/. Siehe weiterführend Beitrag 25.6 – Neurologische Symptome in Kombination mit Autoantikörpern.

PNS sind durch paraneoplastische Autoantikörper bedingt. Erkrankungen mit der Präsenz paraneoplastisch bedingter Autoantikörper sind:

  • Die limbische Enzephalitis.
  • Die Myasthenia gravis; sie kommt bei 10–15 % der Patienten mit Thymom vor.
  • Das Lambert-Eaton-Myasthenie Syndrom (LEMS) mit einer Prävalenz von 3 % beim kleinzelligen Bronchialkarzinom (SCLC).
  • Die paraneoplastische periphere Neuropathie, die auch bei malignen monoklonalen Gammopathien mit einer Prävalenz von 10 % vorkommt.

Indikation

Ein PNS liegt vor, wenn:

  • Die klinischen Zeichen eines klassischen PNS bestehen.
  • Subakute neurologische Beschwerden sich entwickeln, die nicht durch reguläre neurologische Untersuchungen oder Laboruntersuchungen abklärbar sind.
  • Bei Karzinompatienten mit neurologischer Symptomatik, nicht erklärbar durch eine Metastasierung.

Die neuronalen paraneoplastischen Antikörper werden nach Nomenklaturen benannt:

  • Den ersten beiden Buchstaben des Namens des Indexpatienten wie Hu für Hull, Ma für Margret, Yo für Young. Es handelt sich um die ursprüngliche Bezeichnung nach Posner /20/.
  • Entsprechend der immunhistologischen Darstellung im indirekten Immunfluoreszenz Test (IIFT), also ANNA-1 für anti-nukleäre neuronale Antikörper 1.

Siehe Tab. 29-8 – Gut charakterisierte neuronale Antikörper assoziiert mit PNS und malignem Tumor

Klinische Befunde und Laborbefunde

Anamnese, Symptome und Verlauf des PNS sind global wie folgt:

  • Häufig treten PNS bei Patienten auf, bei denen zuvor keine Krebserkrankung bekannt war.
  • Das PNS beginnt akut oder subakut und schreitet über Wochen bis Monate fort, um sich dann zu stabilisieren. Die neurologische Symptomatik führt zu deutlichen Beeinträchtigungen.
  • Einige Syndrome sind neurologisch so charakteristisch für eine PNS, z.B. LEMS, dass sofort eine Krebserkrankung vermutet wird.
  • Ist das Zentralnervensystem betroffen, können folgende pathologische Laborbefunde vorhanden sein: Leichte Pleozytose, IgG-Erhöhung und oligoklonale Banden im Liquor cerebrospinalis (Lc) sowie Autoantikörper gegen neuronale Antigene im Lc und Serum. Die Antikörperspezifität im Lc ist höher als im Serum, was darauf hinweist dass diese im Lc gebildet wurden.

Pathophysiologie

PNS sind immun vermittelte Komplikationen. Der Tumor exprimiert ein Antigen, das normalerweise nur im Zentralnervensystem gebildet wird. Obwohl das Tumorantigen dem neuronalen Antigen identisch ist, erkennt das Immunsystem es als fremd und entwickelt eine Immunantwort. Die reaktiven T-Zellen und die anti-neuronalen Antikörper können aber erst eine Abwehrreaktion entfalten, wenn sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Onkoneurale Antigene sind in allen Tumoren von Patienten nachweisbar, die ein onkoneurales Antikörper positive PNS haben. Tumoren wie das kleinzellige Bronchialkarzinom enthalten immer onkoneurale Antigene, auch wenn keine Antikörperbildung oder ein PNS vorliegen.

29.7 Paraneoplastische Syndrome beim Bronchialkarzinom

Die meisten Patienten mit Bronchialkarzinom und PNS sind bei der Vorstellung symptomatisch. Die Manifestationen des PNS beim Bronchialkarzinom sind aufgeführt in:

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Tabelle 29-1 Paraneoplastische Störungen des Calcium- und Elektrolyt-Metabolismus /4/

Hyperkalziämie: Etwa 10–20 % der Patienten mit fortgeschrittenen malignen Tumoren entwickeln im Verlauf ihrer Erkrankung eine Hyperkalziämie. Die Wahrscheinlichkeit ist abhängig von der Dauer der Erkrankung, der Lokalisation des Tumors und von der Metastasierung.

Solide Tumoren: Häufig mit einer Hyperkalziämie gehen das Mammakarzinom, Bronchialkarzinom, Cholangiokarzinom und die Plattenepithelkarzinome von Kopf und Nacken einher. Schwere Hyperkalziämien treten besonders beim Nierenzellkarzinom und dem nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinom auf. Siehe auch Beitrag 6.2 – Calcium . Zwei Drittel der Patienten mit kleinzelligem Ovarialkarzinom haben eine paraneoplastische Hyperkaziämie.

Hämatologische Neoplasien: Am häufigsten sind die Hyperkalziämien bei Lymphomen und dem multiplen Myelom. Die Hyperkalziämie ist gewöhnlich moderat.

Bei Kindern mit malignen Tumoren tritt die Hyperkalziämie mit einer Häufigkeit von 0,4–0,7 % auf. Die meisten Hyperkalziämien sind bei rhabdoiden Tumoren der Niere und dem mesoblastischen Nephrom beschrieben /2/.

Die Tumorhyperkalziämie beruht in 80 % der Fälle auf einer neoplastischen Calciumresorption durch Knochenmetastasen. 20 % der Patienten mit soliden Tumoren und Hyperkalziämie haben keine Knochenmetastasen. In diesen Fällen sind humorale Faktoren dafür veranwortlich, z.B.:

  • PTHrP (Parathyroid related peptide). Mit Ausnahme des multiplen Myeloms tritt PTHrP weitaus häufiger bei soliden Tumoren als bei hämatologischen Neoplasien auf. Abhängig von der Bestimmungsmethode wird erhöhtes PTHrP bei 53–98 % nicht selektionierter Patienten mit Tumorhyperkalziämie gemessen /5/.
  • Osteolytisch wirkende Prostaglandine, insbesondere Prostaglandin E. Diese treten z.B. bei Patienten mit Bronchial-, Nieren- und Ovarialkarzinom auf.
  • Zytokine und Wachstumsfaktoren wie Interleukin-1, Tumornekrosefaktor-α, Kolonie-stimulierender Faktor oder Lymphotoxin, die über eine Stimulierung der Osteoklastenaktivität die Knochenresorption fördern.

Klinische Befunde bei Hyperkalziämie: Übelkeit, Erbrechen, Lethargie, Niereninsuffizienz und Koma.

Labordiagnostik: Eine Serumkonzentration von Calcium über 14 mg/dl (3,5 mmol/l) wird als schwerwiegend angesehen, Parathormon normal, PTHrP erhöht.

Therapie: Intravenöse Gabe von Bisphosphonaten (Pamidronat, Zoledronat) hemmen die Knochenresorption der Osteoklasten. Die Calciumwerte im Serum fallen nach 2-4 Tagen, erreichen einen Nadir nach 4-7 Tagen und bleiben bis zu 3 Wochen erniedrigt /24/.

Hypophosphatämie: Bei mesenchymalen Tumoren, dem Prostatakarzinom und dem multiplen Myelom kann eine onkogene Osteomalazie auftreten. Charakteristische Laborbefunde sind Hypophosphatämie, Hyperphosphaturie und eine erniedrigte Konzentration von 25 OH-Vitamin D im Serum.

Hypomagnesiämie: Es wird vermutet, dass die Hypomagnesiämie bei Tumorpatienten auf einem vermehrten Magnesiumbedarf der rasch proliferierenden neoplastischen Zellen beruht. Gedacht werden muss aber auch an nicht paraneoplastisch bedingte Hypomagnesiämien, z.B. durch verminderte tubuläre Rückresorption von Magnesium auf Grund einer Chemotherapie mit Cisplatin oder Antibiotikatherapie mit Aminoglykosiden.

Hyponatriämie /2/: Etwa 1–2 % der Patienten mit malignen Tumoren entwickeln das Syndrome of Inappropriate Antidiuretic Hormone secretion (SIADH). Es geht mit einer hypoosmotischen euvolumämischen Hyponatriämie einher. Im Gegensatz zur hypovolämischen Hyponatriämie durch exzessive Diurese, Nebennierenrinden Insuffizienz und der Salzverlustniere, bewirkt das SIADH eine euvolumämische Hyponatriämie.

Die ektope Bildung von antidiuretischem Hormon (ADH) erfolgt überwiegend durch das kleinzellige Bronchialkarzinom, seltener durch Karzinome des Pankreas, durch Thymome, Hepatome oder Lymphome. ADH wird häufig gemeinsam mit Neurophysin und Oxytocin sezerniert, die beide von einem gemeinsamen Vorläufermolekül abgespalten werden. Obwohl bei bis zu 50 % der Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom die ADH Konzentration erhöht ist, zeigen nur etwa 5 % die Symptome eines SIADH /25/.

Klinische Befunde der Tumorhyponatriämie: Die Symptome sind von der Geschwindigkeit des Abfalls der Na+ Konzentration abhängig. Milde Symptome sind Kopfschmerzen, Schwäche und Gedächtnis Schwierigkeiten. Ein Abfall der Na+ Konzentration unter 125 mmol/l innerhalb von 2 Tagen ist schwerwiegend und kann mit Krämpfen, einem veränderten mentalen Status, Koma einem respiratorisch bedingtem Kollaps und dem Tod einher gehen.

Labordiagnostik: Serum Na+ unter 130 mmol/l, Na+ im Urin > 40 mmol/l, Urinosmolalität > 100 mmol/kg, normaler zentraler Venendruck, normale Werte von Harnstoff und Harnsäure. Siehe auch Beitrag 8.5 – Osmolalität.

Hypokaliämie /4/: Die Hypokaliämie tritt in bis zu 75 % der Fälle im Verlauf einer Tumorerkrankung auf und hat die verschiedensten Ursachen wie inadäquate Aufnahme, renale oder extra renale Verluste oder ist durch K+-Verteilungsstörungen zwischen Intra- und Extrazellulärraum bedingt. Die Hypokaliämie kann ebenfalls das Symptom einer paraneoplastischen ACTH-Sekretion sein. Siehe Beitrag 8.7– Kalium.

Hyperkaliämie /4/: Eine Hyperkaliämie in Form der Pseudohyperkaliämie, definiert als eine Kalium-Differenz von über 0,4 mmol/l in Relation zum wahren Wert, tritt durch den Austritt von K+ aus Blutzellen auf bei Thrombozytosen und akuten sowie chronischen myeloproliferativen Syndromen und Leukämien mit hoher Zellzahl.

Tabelle 29-2 Direkte und paraneoplastische Ursachen der Tumoranämie /7/

Direkte Ursachen

Akuter oder chronischer exogener Blutverlust

  • Gastrointestinale Tumoren
  • Tumoren des Urogenitaltrakts
  • Zervikale und vaginale Tumoren
  • Kopf- und Nackentumoren

Blutung in den Tumor

  • Sarkome
  • Große Melanome, Hepatome, Ovarialtumoren, Nebennierenrindentumore

Verdrängung von hämatopoetischem Knochenmark

  • Leukämien
  • Lymphome
  • Multiple Myelome
  • Solide Tumoren (Mamma- und Prostatakarzinom)

Paraneoplastische Ursachen

Antikörper-vermittelte hämolytische Anämie

  • Wärmeantikörper
  • Kälteantikörper

Mikroangiopathische hämolytische Anämie

Tumoranämie (veränderte Zytokinsekretion)

Tabelle 29-3 Störungen der Hämostase bei hämatologischen Neoplasien /12/

Akute Leukämien: Blutungen können bei jeder akuten Leukämie auftreten, sind aber besonders häufig bei der akuten Promyelozytenleukämie (FAB M3), akuten myelomonozytären Leukämie (FAB M4) und der akuten granulozytären Leukämie (FAB M1 und M2).

Gerinnungsstörungen: Bei Infiltration der Leber besteht eine Synthesestörung der Vitamin K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X, aber auch von F V, F VIII:C, F XI, F XII, F XIII, Protein S, Protein C und Antithrombin.

Thrombozytopenie: Blutungen sind bei Thrombozytenzahlen über 10 × 109/l ungewöhnlich, aber bei unter 5 × 109/l häufig. Während der therapeutischen Remission sollte bei Thrombozytopenien unter 50 × 109/l täglich der Urin auf Erythrozyten und der Stuhl mit einem Guaiac-Test auf Blut untersucht werden. Thrombozytenzahlen unter 5 × 109/l erfordern die Thrombozytensubstitution.

Thrombozytenfunktion: Eine Dysfunktion der Thrombozyten ist bei akuten Leukämien selten.

DIC: Akute Leukämien können in bis zu 50 % der Fälle durch eine DIC verschlimmert werden. Das ist besonders in abnehmender Folge der Fall bei akuter promyelozytärer Leukämie (FAB M3), akuter myelomonozytärer Leukämie (FAB M4), akuter myeloblastischer Leukämie (FAB M1, M2) und der akuten lymphoblastischen Leukämie.

Chronische Leukämien: Blutungen sind bei den chronisch myeloischen und chronisch lymphatischen Leukämien nur ein geringes Problem, häufig sind aber lokale oder diffuse Thrombosen und Thromboembolien.

Gerinnungsstörungen: Chronische Leukämien mit Infiltration der Leber können, wie die akuten Leukämien, mit einer Verminderung Vitamin K-abhängiger, aber auch anderer Gerinnungsfaktoren einhergehen. Viele Patienten mit einer chronisch lymphatischen Leukämie haben eine verlängerte Prothrombinzeit.

Häufig ist auch ein erworbenes von Willebrand-Syndrom, meist vom Typ II. Es tritt auf bei den in Tab. 29-4 – Hämatologische Neoplasien mit erworbenem von Willebrand-Syndrom genannten hämatologischen Neoplasien. Ursache soll entweder ein zirkulierender Inhibitor gegen den von Willebrand-Faktor sein oder seine proteolytische Degradation.

Thrombozytopenie: Chronisch myeloische und chronisch lymphatische Leukämien gehen, ausgenommen gelegentlich in der Frühphase, mit einer Thrombozytenzahl > 50 × 109/l einher. In der terminalen Phase der chronisch lymphatischen Leukämie wird die Thrombozytopenie aber ein ernstes Problem.

Thrombozytenfunktion: Eine Dysfunktion der Thrombozyten tritt zu 30 % bei chronisch myeloischer Leukämie, zu 50 % bei Osteomyelofibrose und zu 70 % bei Polycythaemia vera auf.

DIC: Granulozyten und Lymphozyten können prokoagulatorisch aktive Substanzen in die Zirkulation abgeben. Eine fulminante DIC wird bei chronischen Leukämien seltener gesehen als bei akuten, bei der chronisch myeloischen Leukämie aber häufiger als bei der chronisch lymphatischen.

Maligne monoklonale Gammopathien: Störungen der Hämostase bei Paraproteinämien können Blutungen oder Thrombosen verursachen, Blutungen treten aber häufiger auf. Blutungen kommen bei 15 % der IgG-Myelome, 40 % der IgA-Myelome und zu über 60 % beim M. Waldenström oder dem IgM-Myelom vor.

Gerinnungsstörungen: Paraproteine binden an Gerinnungsfaktoren und können diese hemmen, z.B. den F VIII:C. Die spezifische Hemmung von Gerinnungsfaktoren durch Paraproteine zeigt Tab. 29-5 – Spezifische Hemmung der Blutgerinnung durch monoklonale Gammopathien. Die Thrombinzeit oder Reptilasezeit sind gute Indikatoren zur Erkennung einer Störung der Fibrinpolymerisation, die bei über 50 % der Patienten mit malignen Paraproteinämien auftritt.

Thrombozytopenie: Leichte Formen werden häufiger bei malignen Paraproteinämien gesehen.

Thrombozytose: Sie ist neben den Major-Kriterien klonale Plasmazellerkrankung und Polyradikulo-Neuropathie ein Minorkriterium /26/.

Thrombozytenfunktion: Die Dysfunktion der Thrombozyten ist häufiger als die Thrombozytopenie. Ungefähr 80 % der Patienten mit multiplem Myelom haben eine gestörte Plättchenaggregation. Es besteht aber eine schlechte Korrelation zwischen der Blutungszeit und den Störungen der Plättchenaggregation.

DIC: Bei maligner Paraproteinämie tritt eine DIC gewöhnlich nicht auf.

Solide Tumoren: Eine autoimmune Thrombozytopenie (AIT) kann in Assoziation mit soliden Tumoren vorkommen, insbesondere bei Patienten mit Bronchialkarzinom und Mammakarzinom. Die AIT ist beim Prostatakarzinom selten aber beim Nierenzellkarzinom und dem ovariellen Karzinom häufig. Bei der Hälfte der Patienten tritt die Thrombozytopenie bei Präsenz des Karzinoms auf, bei einem Viertel der Patienten schon vorher und bei einem weiteren Viertel erst während der Therapie.

Labordiagnostik: Nach einem Review /27/ verhalten sich die Thrombozytenzahlen folgendermaßen: Bei den Patienten, die schon vor Präsenz des Karzinoms eine Thrombozytopenie hatten, betrug bei 9 von 17 die Thrombozytenzahl ≤ 20 × 109/l. Bei denjenigen mit Thrombozytopenie mit Präsens des Karzinoms war bei 22 von 35 die Thrombozytenzahl ≤ 20 × 109/l und beim Rest ≤ 10 × 109/l. Bei der unter Therapie auftretenden AIT betrug die Thrombozytenzahl immer ≤ 20 × 109/l. Nur wenige Patienten hatten eine komplette Response nach chirurgischer oder Chemotherapie des Karzinoms. Ein Teil der Patienten hatte gleichzeitig anti-erythrozytäre Antikörper.

Myeloproliferative Syndrome: Myeloproliferative Erkrankungen gehen auf Grund der Thrombozytose gehäuft mit einer Thrombose einher. Beim einzelnen Patienten korreliert aber die Thrombozytenzahl und die erhöhte Plättchenaggregation nur schlecht mit der aktuellen Gefahr, ein thrombotisches Ereignis zu erfahren.

Tabelle 29-4 Hämatologische Neoplasien mit erworbenem von Willebrand-Syndrom /12/

  • Chronisch myeloische Leukämie
  • Chronisch lymphatische Leukämie
  • Haarzellleukämie
  • Myelodysplastisches Syndrom
  • Multiples Myelom
  • Polycythaemia vera
  • Essentielle Thrombozythämie
  • Osteomyelofibrose

Tabelle 29-5 Spezifische Hemmung der Blutgerinnung durch monoklonale Gammopathien /12/

Paraprotein

Hemmung

IgG

Faktoren II, VII, X und Thrombin

IgM, IgA

Faktoren V und VIII:C

Generell

Hemmung der Fibrinmonomer-Polymerisation zu einem stabilen Fibrinclot

Tabelle 29-6 Störungen der Hämostase bei soliden Tumoren

Hämostasestörung

Maligner Tumor

Hyperkoagulabilität und Thromboembolie

Solide Tumoren, die häufig mit Thrombosen einhergehen, sind nach Lit. /17/: Karzinome der Lunge (27,9 %), des Pankreas (18,4 %), des Magens (17 %), des Colons (15,7 %), von Uterus und Ovar (7,2 %) und der Prostata (7,1 %). Die Aktivierung erfolgt über zwei Prokoagulantien des Tumors /17/:

  • Tissue factor; es handelt sich um die F VII- und die Lipid-abhängigen Kofaktoren der F X-Aktivierung (z.B. beim Pleuramesotheliom und Ovarialkarzinom).
  • F X-Aktivator (Cancer procoagulant). Es handelt sich um eine Cysteinprotease, die in embryonalen Geweben wie Amnion-Chorion Zellen und in malignen Tumorzellen gebildet wird. Cancer procoagulant wird gebildet vom Schleim-bildenden Adenokarzinom, Kolonkarzinom, Magenkarzinom, Mammakarzinom, Plattenepithelkarzinom der Vagina, Nierenzellkarzinom, Hepatom, Melanom und Sarkom.

Blutungen

Blutungen treten bei soliden Tumoren im Rahmen einer DIC auf, die blande oder fulminant ablaufen kann. Die fulminante DIC mit lebensbedrohender Blutung tritt vermehrt bei Bronchialkarzinomen und Karzinomen von Magen, Gallenblase, Colon, Mamma, Ovar und dem malignen Melanom auf.

Die Aktivierung des Fibrinolysesystems durch eine Tumor-bedingte vermehrte Bildung von Urokinase-Typ-Plasminogenaktivator (u-PA) ist ausgeprägt beim Mammakarzinom sowie beim Prostata-, Pankreas- und kolorektalen Karzinom /18/.

Tabelle 29-7 Paraneoplastische Hormonsynthese /19/

ACTH: Das ektopische ACTH Syndrom wird zu über 50 % vom kleinzelligen Bronchialkarzinom verursacht, andere Tumoren sind: Karzinoid, Thymom, medulläres Schilddrüsenkarzinom, Phäochromozytom und Nephroblastom (Letzters bis zu 20 % der kindlichen Neoplasien, bei Erwachsenen selten). Durch die ektope ACTH Produktion, seltener die ektope Bildung von CRF (Corticotropin releasing factor) wird das Cushing-Syndrom hervorgerufen. Etwa 15 % der Cushing Syndrome beruhen auf einer ektopen ACTH Synthese. Aber nur bei weniger als 5 % der Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom manifestiert sich ein CushingSyndrom. Das Cushing-Syndrom wird klinisch leicht übersehen, da die Tumorpatienten nicht selten anstatt eines cushingoiden Habitus eher kachektisch sind /18/.

Labordiagnostik: Cortisol und ACTH sind im Serum erhöht, die Ausscheidung von freiem Cortisol im Urin ist vermehrt, es bestehen Hypokaliämie und Hyperglykämie.

Antidiuretisches Hormon (ADH): Die inappropriate Sekretion von ADH (SIADH) führt zur hyponatriämischen Hypovolämie durch den renalen Verlust von Na+. Das Krankheitsbild wird auch als Schwartz-Bartter Syndrom bezeichnet und wird durch eine ektope ADH-Bildung, vorwiegend des kleinzelligen Bronchialkarzinoms, aber auch dem Duodenalkarzinom, Pankreaskarzinom und Thymom verursacht.

Labordiagnostik: Hyponatriämie (unter 130 mmol/l), Hypoosmolalität (unter 275 mosmol/kg), erhöhte Ausscheidung von Na+ im Urin (über 40 mmol/l), unangemessen hohe Osmolalität des Urins (über 500 mosmol/kg) in Relation zur Serumosmolalität. Ausschluss von Hypothyreose, Nebennierenrinden-Insuffizienz und Volumendepletion /18/.

PTH related Polypeptid (PTHrP): PTHrP wird von Bronchialkarzinomen und anderen soliden Tumoren synthetisiert und verursacht eine Tumorhyperkalziämie. Siehe auch Beitrag 6.5 – Parathormon-related Protein (PTHrP.

GH, GHRH: Das Wachstumshormon (GH) und sein Releasing-Hormon können von Pankreaskarzinomen gebildet werden und eine Akromegalie und Hyperglykämie bewirken.

hCG: Eine erhebliche Zahl von Neoplasien bilden hCG oder Bruchstücke von hCG. Etwa 18 % der Patienten mit malignen Tumoren sollen hCG oder hCG Bruchstücke vermehrt bilden. Jedoch sind diese Konzentrationen so niedrig, dass sie keine biologische Wirkung entfalten. Jedoch können Riesenzelltumoren der Lunge, Magenkarzinome und Nierenzellkarzinome zu Serumkonzentrationen führen, die beim erwachsenen Mann eine Gynäkomastie bewirken.

Bei präpubertären Knaben führen hCG bildende Hepatoblastome zur vorzeitigen Pubertät durch Stimulierung testikulärer Leydigzellen zur Testosteronproduktion.

Vasoaktives intestinales Polypeptid (VIP): Die ektope Produktion von VIP führt zum Syndrom der wässrigen Diarrhoe, Hypokaliämie und Achlorhydrie (WDHA). Das WDHA Syndrom tritt in Zusammenhang mit vielen Tumoren auf, besonders aber dem VIPom des Pankreas. Bei Kindern ist das WDHA mit dem Ganglioneurom und dem Ganglioneuroblastom assoziiert. Zum VIP siehe auch Beitrag 14.5.5 – VIP und PACAP.

Tabelle 29-8 Gut charakterisierte neuronale Antikörper assoziiert mit PNS und malignem Tumor /2122/

Antikörper

Antigen

(kD)

Gene

Immunhistochemie

Tumor

Krankheit

Anti-Hu (ANNA-1)

35–40

HuD, HuC, Hel-N1

Kerne der Neurone des ZNS und PNS, Retina, NNR

SCLC zu 70 %, Neuroblastom, Prostata-Ca.

Paraneoplastische Enzephalomyelitis

sens. Neuropathie

Autonome Dysfunktion

Anti-Yo (PCA-1)

34, 62

CDR 34

CDR 62

Zytoplasma der Purkinje-Zellen

Ovarial-, Mamma-, Bronchial-Ca.

Paraneoplastische cerebel. Degeneration

Anti-Ri

55, 80

Nova

Kerne der Neurone peripherer Nerven

Mamma-, Eileiter-, Blasen-Ca., SCLC

Ataxie mit oder ohne Opsoklonus-Myoklonus

Anti-CRMP5 (Anti-CV2)

66

CRMP5 (POP66)

Zytoplasma von Oligodendrozyten, Neuronen

SCLC, Thymom

Enzephalomyelitis, cerebel. Degeneration, Chorea, sensorische Neuropathie

Anti-Amphysin

128

Amphysin

Präsynaptische Nervenendigungen

Mamma-Ca, SCLC

Stiff-person syndrome, Enzephalomyelitis

Anti-Ma2

41,5

Ma2

Neurone (Nukleolus)

Hoden-Ca

Limbische Hirnstamm-Enzephalitis

Anti-Recoverin

23, 65,

145, 205

Recoverin

Photorezeptoren der Retina

Ganglionzellen

SCLC, Melanom, gynäkolog. Ca.

Karzinom-, Melanom-assoziierte Retinopathie

Anti-Titin

3.000

Titin

Titin

Thymom

Myasthenia gravis

Bei den Antikörpern ist in ( ) die immunhistochemische Bezeichnung angegeben. Abkürzungen: Ca, Karzinom; PND, paraneoplastic neurologic disease; PNS, peripheres Nervensystem; SCLC, kleinzelliges Bronchialkarzinom; ZNS, Zentralnervensystem

Tabelle 29-9 Mit dem Bronchialkarzinom assoziierte paraneoplastische Syndrome /23/

Paraneopl. Syndrom

Klinische und Laborbefunde

SIADH

Neurologie: Subakute sensorische Neuropathie
Skelett: Hypertrophische Osteopathie
Niere: Glomerulonephritis
Metabolismus: Lactatazidose

Hyperkalzämie

Neurologie: Mononeuritis multiplex
Skelett: Trommelschlegel-Finger
Niere: Nephrotisches Syndrom
Metabolismus: Hypourikämie

Cushing Syndrome

Neurologie: Mononeuritis multiplex

Gynäkomastie

Neurologie: Lambert-Eaton Syndrom

Hypercalcitonin­ämie

Neurologie: Enzephalomyelitis

Erhöhungen von LH, FSH

Neurologie: Nekrotisierende Myelopathie

Hyperthyreose

Krebs assoziierte Retinopathie

Carcinoid Syndrom

 

Tabelle 29-10 Bronchialkarzinom assoziierte endokrine paraneoplastische Syndrome /23/

Ektopische Produktion

Klinische und Laborbefunde

ACTH

Das Cushing Syndrom bildet sich aufgrund ektopischer Bildung oder nicht physiologischer Prozessierung von ACTH im kleinzelligen Bronchialkarzinom (SCLC). Es tritt in 1 bis 5 % bei Patienten mit SCLC im fortgeschrittenen Stadium auf. Erhöhte ACTH Werte im Serum werden bei bis 50 % der Patienten mit SCLC nachgewiesen.

ADH

Etwa 1–5 % der Patienten mit Bronchialkarzinom haben Symptome des SIADH (Beitrag 8.6 – Arginin-Vasopressin, Copeptin). Erhöhte ADH Werte erklären das Vermögen eine Wasserbelastung auszuscheiden. Das SIADH verschwindet bei 80 % der Patienten innerhalb von 3 Wochen nach Beginn der zytotoxischen Chemotherapie.

PTHrP

Erhöhte Werte von Parathormon related Peptide (PTHrP), freigesetzt vom Bronchialkarzinom, bewirken eine erhöhte Knochenresorption. Siehe Beitrag 6.5 – Parathormon-related Peptide. Etwa 2–6 % der Patienten haben bei der Vorstellung eine Hyperkalziämie und 8–12 % im Verlauf der Erkrankung.

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