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Plasmaproteine

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18.1 Plasmaprotein-Diagnostik

Lothar Thomas

Unter dem Begriff Plasmaproteine werden Proteine des Blutplasmas verstanden, die zwischen dem Blut und den extrazellulären Flüssigkeitsräumen zirkulieren. Sie werden im Plasma, Urin, dem Liquor cerebrospinalis, dem Speichel, der Amnionflüssigkeit, in Punktaten (Ascites, Pleuraflüssigkeit) und den Faeces bestimmt. Unter physiologischen Bedingungen besteht eine konstante Verteilung zwischen den Flüssigkeitsräumen /1/. Zu den Plasmaproteinen werden auch die Immunglobuline, Enzyme und Enzyminhibitoren gerechnet.

Funktionell werden die Plasmaproteine klassifiziert in:

  • Transportproteine; sie binden und transportieren schwer wasserlösliche Substanzen, ein wichtiges Transportprotein ist Albumin.
  • Akute-Phase Proteine; sie sind mit der Entzündung assoziiert, ein wichtiges Akute-Phase Protein ist das C-reaktive Protein.
  • Proteine der Immunabwehr, z.B. Immunglobuline und Komplementfaktoren.
  • Proteine, die von den Geweben im Rahmen von Änderungen der Zellmembran (Shedding) abgeworfen werden wie der lösliche Transferrinrezeptor.
  • Faktoren und Inhibitoren der plasmatischen Gerinnung.
  • Onkofetale Proteine; sie werden von Tumoren oder physiologisch in der Fetalzeit gebildet (α-Fetoprotein).

Diagnostisch bedeutsame Plasmaproteine sind aufgeführt in Tab. 18.1-1 – Diagnostisch bedeutsame Plasmaproteine.

18.1.1 Synthese und Verteilung von Plasmaproteinen

Die Konzentration eines Plasmaproteins ist von der Synthese, dem Katabolismus, der Verteilung zwischen intra- und extrazellulärem Raum, dem Verlust in den dritten Raum (Ascites, Pleuraexsudat) oder von der Ausscheidung nach außerhalb (Proteinurie) abhängig /1/. Bei Verdacht auf Störungen wird untersucht auf:

  • Normo-, Hypo- oder Hyperproteinämie durch die Bestimmung von Totalprotein im Serum.
  • Dysproteinämie (Störung der Plasmaprotein-Zusammensetzung). Als Untersuchungsmethode dient die Serumprotein-Elektrophorese.
  • Konzentration des einzelnen Proteins vermittels immunturbidimetrischer oder immunnephelometrischer Bestimmung.

18.1.2 Plasmaprotein Synthese

Während die Immunglobuline (Ig) von den Plasmazellen gebildet werden, erfolgt die Synthese der Nicht-Ig überwiegend in den Hepatozyten. Ausnahmen sind β2-Mikroglobulin und der Transferrinrezeptor, die als Oberflächenproteine von Zellen abgeworfen werden, sowie der Komplementfaktor D, eine Protease, die für die Aktivierung des alternativen Komplementwegs eine Rolle spielt und von Adipozyten gebildet wird.

Die Plasmaproteine werden, wie die lysosomalen Proteine und die Proteine der Zellmembran, von den Polyribosomen des rauen endoplasmatischen Retikulums gebildet. Der generelle Mechanismus der Proteinsynthese ist in allen Körperzellen gleich. Die Synthese von Proteinen verläuft in den folgenden Schritten.

Transkription

Im Zellkern wird von der DNA, sie ist der Träger der genetischen Information, durch die RNA-Polymerase eine Kopie in Form der RNA hergestellt /2/. Nach Ausschaltung von Intervening sequences entsteht die messenger RNA (mRNA). Sie überträgt die Information, welches Protein synthetisiert werden soll, vom Zellkern in das Zytoplasma. Die Regulation der Transkription erfolgt durch regulatorische Proteine (Transkriptionsfaktoren), die an spezifische DNA-Sequenzen des zu regulierenden Gens binden und die Proteinsynthese im positiven oder negativen Sinne beeinflussen. Liegt z.B. eine Akute-Phase Reaktion vor, so binden proinflammatorische Zytokine an Rezeptoren der Zellmembran des Hepatozyten. Die Signalgebung der Rezeptoren führt zur Aktivierung nukleärer Proteine. Diese binden an entsprechende DNA-Sequenzen des Zellkerns und führen zu einer verstärkten Transkription von Proteinen, wie dem C-reaktiven Protein.

Translation

Die Basensequenz der mRNA wird in eine definierte Reihenfolge der Aminosäuren übersetzt. Die Translation erfolgt an den Ribosomen des endoplasmatischen Retikulums, dort lagert sich die mRNA an.

Proteinsynthese

Die Synthese der Proteine findet in den Ribosomen des endoplasmatischen Retikulums statt (ER). Die Ribosomen bestehen aus Ribonukleinsäuren und Proteinen, die vom Nukleolus gebildet werden. Die meisten Proteine erhalten bei der Synthese am N-terminalen Ende zwei zusätzliche Peptide, ein hydrophobes Peptid und ein Propeptid. Das hydrophobe Peptid besteht aus 15–30 Aminosäuren, dient als Leitpeptid und leitet das Protein durch die Membran des ER in dessen Lumen. Das Propeptid wird nach Ausschleusung des Proteins in das Lumen des ER sofort abgespalten. Die Faltung des Peptids in seine endgültige Tertiärstruktur erfolgt durch die Bildung von Disulfidbrücken im ER. Zur Sekretion bestimmte Proteine werden vom Lumen des ER in das Lumen des Golgi-Apparats transportiert. Das Propeptid bleibt am Protein, solange dies in den Vesikeln des Golgi-Apparats reift oder in sekretorischen Granula gespeichert ist. Vor Entlassung des Proteins aus den Organellen wird das Propeptid abgespalten /3/.

Ko- oder posttranslationale Proteinmodifikation

Modifikationen des Proteins beginnen bei seiner Passage durch das Lumen und die Zysternen des ER und im Golgi-Apparat. Die Mehrzahl der Plasmaproteine sind Glykoproteine, ein Teil Lipoproteine.

18.1.3 Glykoproteine

Die meisten Proteine werden posttranslational modifiziert durch Bindung von Zuckern oder Zuckerketten, letztere werden auch als Glykane bezeichnet /4/. Die Glykane sind bedeutsam für die Konformation, die Faltung, die Löslichkeit, die Stabilität, die Halbwertszeit und die Antigenität der Proteine. Die Glykane werden klassifiziert in:

  • N-gebundene Oligosaccharide. Die Proteine werden glykosyliert durch Bindung eines Kohlenhydratrests, der vorwiegend Mannose enthält, an die Amidgruppe von Asparagin. Dieser Schritt beginnt im Lumen des ER. In einem nachfolgenden, über mehrere Stufen verlaufenden Prozesses, erfolgt eine Umwandlung der Kohlenhydratketten in einer Weise, dass in endständiger Position häufig N-Acetyl-Neuraminsäure und präterminal Galactose gebunden ist.
  • O-gebundene Oligosaccharide. Die Proteine werden glykosiliert durch Bindung eines Kohlenhydratrests an die Hydroxylgruppe von Serin oder Threonin. Die O-Glykosilierung läuft im Golgi-Apparat ab.

Mikroheterogenität der Glykoproteine

Glykoproteine sind heterogen, denn sie bestehen aus einer Population mit verschiedenen Oligosacchariden (Glykoformen). Die Variation beruht auf einer variablen Zahl, einer verschiedenen Kettenlänge und differierenden Endsubstituenten der Kohlenhydratketten, die vom Aminosäureskelett ausgehen. Somit kann jedes Glykoprotein in unterschiedlicher Nettoladung vorkommen. Elektrophoretisch stellt sich das in einer Mikroheterogenität dar. So zeigt z.B. saures α1-Glykoprotein bei Isoelektrofokussierung bei saurem pH sieben Banden. Unterschiede in der Glykosilierung von IgG haben einen Einfluss auf die Immunregulation /5/.

18.1.4 Lipoproteine

Es handelt sich um Proteine, die kovalent mit Lipiden, z.B. in der Zellmembran, verknüpft sind. So bindet eine Fettsäure als Amid an N-terminales Glycin oder als Thioester an Cystin. Die Lipoproteine des Plasmas sind nicht kovalente Aggregate aus Lipiden und Proteinen.

Weitere ko- oder posttranslationale Modifikationen sind die Oxidation von C3 und C4 unter Bildung von Thioesterbindungen, die Phosphorylierung von z.B. α2HS-Glykoprotein, die Bindung von Phospholipiden.

18.1.5 Abgabe der Proteine in das Plasma

Nach posttranslationaler Modifikation werden sekretorische Plasmaproteine in Vesikeln, die sich vom Golgi-Apparat abteilen, gespeichert. Die Vesikel fusionieren mit der Zellmembran und die Proteine werden durch Exozytose in den extrazellulären Raum geleitet durch das Propeptid entlassen.

18.1.6 Plasmaprotein Verteilung

Plasmaproteine verteilen sich kontinuierlich vom vaskulären in den interstitiellen Raum und umgekehrt. Dies geschieht mittels Diffusion durch die Kapillarwände, den pinozytischen Transport durch Kapillarendothelien oder über die interzellulären Brücken der Gewebezellen /6/. Die Verteilung ist abhängig vom Molekulargewicht. Je höher dies ist, desto größer ist der intravaskuläre Anteil eines Proteins (Tab. 18.1-2 – Verteilung von Plasmaproteinen zwischen intravaskulärem und interstitiellem Raum). Große Proteine wie Fibrinogen, α2-Makroglobulin und IgM, verbleiben überwiegend im extravaskulären Raum und gelangen nur in geringen Ausmaß über die interzellulären Brücken zwischen den Endothelzellen oder durch Pinozytose in die Zirkulation. Der vorwiegende Rückstrom von extra- nach intravaskulär erfolgt aber über die Lymphwege. Glomerulär filtrierte Plasmaproteine werden von den Zellen des proximalen Tubulus durch Pinozytose zurückgenommen und in den Tubuluszellen degradiert.

Der Austritt von Plasmaproteinen vom intravaskulären in den extrazellulären Raum ist abhängig vom Organ und hoch in der Leber, sehr gering im Gehirn und wenig in den Liquor cerebrospinalis. Bei systemischen inflammatorischen Erkrankungen kann sich jedoch die Permeabilität der Gefäße stark ändern und zur Ausbildung von Exsudationen in Form von Ödemen führen.

18.1.7 Plasmaprotein Katabolismus

Der Abbau von Plasmaproteinen kann in allen Körperzellen erfolgen. Siehe auch Beitrag 18.2.7 – Pathophysiologie. Die freigesetzten Aminosäuren dienen den Zellen zur Neusynthese von Proteinen, nur die essentiellen Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Wesentlich im Abbau der Glykoproteine ist die Entfernung endständiger Sialinsäuren an Seitenketten der Kohlenhydrate, die Proteine vor dem Abbau schützen /7/. Die Entfernung von Sialinsäuren und die Reduzierung von Kohlenhydraten durch Membran gebundene oder zirkulierende Enzyme begünstigt die Pinozytose und die intrazelluläre Degradation durch Enzyme der Lysosomen /8/.

Organe und Gewebe mit einem wesentlichen Anteil am Abbau der Proteine sind:

  • Die Hepatozyten; sie können von den Plasmaproteinen leicht erreicht werden, da die Lebersinusoide keine Basalmembran haben und zwischen den Sinusendothelien große Fenster bestehen.
  • Die Nieren; niedermolekulare Proteine werden nach glomerulärer Filtration von der Bürstensaummembran der Tubuluszellen durch Pinozytose aufgenommen und intrazellulär abgebaut.
  • Die Endothelzellen der Kapillaren. Obwohl diese nur eine geringe Pinozytoseleistung haben, ist auf Grund der Größe des Kapillarbetts ihre katabole Potenz groß. Die Abbaurate der Plasmaproteine ist unterschiedlich und wird durch ihre Halbwertszeit beschrieben (Albumin 19 Tage, Coeruloplasmin 4 Tage, Transferrin 8 Tage, IgG 23 Tage, IgA und IgM 5 Tage).

Der Abbau von alternden Proteinen erfolgt auf nicht-enzymatischem Wege durch posttranslationale Modifikation auf Grund verschiedener Reaktionen /9/:

  • Glykierung; die Bindung von Glucose oder anderer reduzierender Substanzen an Proteine ist die häufigste Reaktion. Die Carbonylgruppen der Zucker und Aminogruppen des Proteins bilden eine Schiffsche Base, die rasch über eine molekulare Umlagerung ein stabiles Ketoamin bildet (Amadori-Produkt). Dieses wird in weiteren mit Oxidation einhergehenden Reaktionen in ein sogenanntes Advanced glycation product (AGE) umgewandelt. Glykiertes Hämoglobin ist ein typisches Amadori-Produkt. Siehe Abb. 3.6-3 – Reaktionsschema der Glykierung einer freien Aminogruppe des Hämoglobins mit Glucose und nachfolgender Amadori-Umlagerung.
  • Direkte Oxidation durch reaktive Sauerstoffspezies unter Bildung von Advanced oxidation protein products (AOPPs). Die wesentlichen AOPPs sind Methioninsulfoxid durch Oxidation von Methionin und 3-Nitrotyrosin durch die Nitrierung von Tyrosin.
  • Carbamylierung durch die Bindung von Isocyanidsäure an Aminosäuren, insbesondere an ε-NH2-Gruppen von Lysinresten. Die Isocyanide entstehen durch spontane Dissoziation von Harnstoff oder durch die Umsetzung von Thiocyanat durch die Myeloperoxidase in Gegenwart von H2O2.

Der Organismus ist bestrebt, die Konzentration von Toatalprotein im Intravasalraum konstant zu halten. So wird, bei Infektionskrankheiten, die erhöhte Konzentration von Akute-Phase Proteinen und Immunglobulinen (Ig) durch eine Verminderung der Konzentration an negativen Akute-Phase Proteinen (Albumin, Transthyretin, Transferrin, Apolipoproteine) ausgeglichen. Beim multiplen Myelom wird lange Zeit die monoklonale Ig-Vermehrung durch Unterdrückung der polyklonalen Ig-Bildung kompensiert.

18.1.8 Änderung der Plasmaproteinsynthese

Der tägliche physiologische Umsatz der Plasmaproteine beträgt 25 g und ist abhängig von dem für die Synthese von Proteinen zur Verfügung stehenden Aminosäurepool, der wiederum von vielen Variablen abhängig ist.

Verminderung der Synthese von Plasmaproteinen

Genetisch bedingt, Inflammation, Leberleiden (Leberzirrhose, akute Hepatitis), Protein-Mangelernährung, Hypothyreose, Malabsorptions-Syndrom, Alkoholismus, Lymphome, metastasierte Karzinome.

Gesteigerte Synthese von Plasmaproteinen

Inflammation, Fieber, Hyperthyreose, Hyperkortisolismus, vermehrte Ausschüttung von Wachstumshormon, Proteinverlust-Syndrom, Eisenmangel, Stimulation des Immunsystems und die klonale Vermehrung Ig-bildender Plasmazellen (multiples Myelom).

Genetische Einflüsse auf die Synthese von Plasmaproteinen

Genetische Einflüsse können sich in Form des Mangels oder der Vermehrung eines Proteins oder in einer mangelnden Funktion klinisch manifestieren. So kann ein Protein:

  • Nicht synthetisiert werden, z.B. IgA-Mangel.
  • Strukturanormal sein und zellulär nicht ausgeschleust werden (hereditärer α1-Antitrypsin-Mangel).
  • In strukturvarianter, funktionell nicht-intakter Form sezerniert werden, z.B. C1-Esteraseinhibitor beim hereditären angioneurotischen Ödem.

18.1.9 Diagnostische Bedeutung der Plasmaproteine

Einmalige Bestimmung

Die Konzentration und die Aktivität eines Plasmaproteins geben eine wichtige Information bei gezielten klinischen Fragestellungen, z.B.:

  • CRP bei Verdacht auf eine systemische Inflammation.
  • Haptoglobin bei vermuteter Hämolyse.
  • α1-Antitrypsin bei Lungenemphysem.

Auch der Befund der normalen Konzentration eines Plasmaproteins ist differentialdiagnostisch wertvoll, um bestimmte Krankheiten auszuschließen.

Plasmaproteinprofil

Das Profil der mehrerer Plasmaproteine und Änderungen der Konzentration im Verlauf einer Erkrankung gestatten eine differentialdiagnostische Aussage.

Verlaufsbeurteilung

Bei akuter Symptomatik oder unter Therapie ermöglicht die Höhe der Proteinkonzentration und Veränderungen während des Krankheitsverlaufs Hinweise zur Akuität, dem Grad der Schwere und Komplikationen des Zustandes. Der Zeitpunkt der Normalisierung hat prognostische Wertigkeit.

18.1.10 Indikation

Wichtige Indikationen zur Bestimmung von Plasmaproteinen zeigt Tab. 18.1-3 – Indikationen zur Bestimmung von Plasmaproteinen.

18.1.11 Untersuchungsmaterial

Durch den hohen intravaskulären Anteil kommt es zur Konzentrierung der Plasmaproteine vor der Blutentnahme und zu erhöhten Werten, wenn der Patient vor der Blutentnahme nicht mindestens 15 Minuten sitzt und die Stauung über 3 Minuten dauert. Die Untersuchung sollte am gleichen Tag erfolgen. Ist das nicht möglich, ist es besser, die Probe bei 4 °C aufzubewahren als bei –20 °C, wenn nicht bei –70 °C tiefgefroren werden kann. Die Aufbewahrung bei 20 °C führt bei vielen Proteinen zum Abfall der Konzentration der Proteine nach 36 h.

Bei der immunchemischen Bestimmung werden im Serum und im mit Lithiumheparinat antikoagulierten Plasma vergleichbare Werte erhalten /10/.

18.1.12 Bestimmungsmethode

Prinzip

Imunchemische Verfahren (Immunnephelometrie, Immunturbidimetrie) werden zur Bestimmung von Plasmaproteinen eingesetzt. Zur Bestimmung einer unbekannten Menge Plasmaprotein wird eine konstante Menge spezifischer Antikörper im Reaktionsansatz eingesetzt. Siehe auch Beitrag. 52.1.4 – Immunchemische Verfahren. Der kritische Faktor, der bestimmt, ob ein löslicher oder präzipitierender Immunkomplex gebildet wird, ist neben der Konzentration des zu bestimmenden Plasmaproteins das Verhältnis der Konzentrationen von Plasmaprotein zu Antikörper. Das Verhältnis ist beschrieben durch die Kurve von Heidelberger und Kendall (Abb. 52.1-5 – Präzipitationskurve). Beim Überschuss von Antikörpern werden lösliche Immunkomplexe gebildet. Die Messung der Konzentration von Immunkomplexen erfolgt turbidimetrisch oder nephelometrisch.

Bei der nephelometrischen Messung von Immunkomplexen wird die Stahlung eines Helium-Neon Lasers direkt durch die Messkuvette geschickt und dabei die Strahlung gestreut. Diese Strahlung wird anschließend mittels einer Anordnung von Linsen gebündelt und zu einem Photodetektor geschickt. Das erzeugte elektrische Signal verhält sich proportional zur gestreuten Strahlung. Die Konzentration des Plasmaproteins wird bestimmt durch Bezug der gestreuten Strahlung zu einer Kalibrationskurve. Diese setzt die gestreute Strahlung in Beziehung zur Konzentration des Plasmaproteins in der Probe. Bei der kinetisch nephelometrischen Bestimmung eines Plasmaproteins werden relative Streulichtänderungen in kurzen Zeitintervallen gemessen, während bei der Endpunktmessung die Immunreaktion zu einem definierten Zeitpunkt gemessen wird. Durch Hinzugabe weiterer Mengen von Antikörpern zum Reaktionsansatz kann festgestellt werden, ob die Messung im aufsteigenden Schenkel der Heidelberger und Kendall-Kurve erfolgte (siehe Abb. 52.1-5 – Präzipitationskurve). Das ist der Fall, wenn die Zugabe von Probe (Plasmaprotein) zu einer Zunahme des Meßsignals führt oder die Zugabe von Antikörpern keine Änderung des Meßsignals bewirkt.

Bei der immunturbidimetrischen Messung löslicher Immunkomplexe ermöglicht die Zugabe eines Beschleunigers zum Reaktionsansatz die kinetische Messung der Immunreaktion nach dem Fixed time Prinzip. Die Zunahme der Absorption, durch die sich bildenden Immunkomplexe, wird bei 334 oder 340 nm in einem bestimmten Zeitraum gemessen.

Die Kalibratoren für die Bestimmung von Plasmaproteinen sind standardisiert auf das Referenzmaterial BCR/IFCC/CAP RPPHS, auch bekannt als CRM 470.

Die untere Nachweisgrenze für immunnephelometrische und immunturbidimetrische Bestimmungen liegt bei 10 mg/l, kann aber um den Faktor 10–100 empfindlicher sein, wenn die für die Immunreaktion verwendeten Antikörper an Partikel gebunden sind, z.B. Latex enhanced assays.

18.1.13 Qualitätskontrolle

Seit Einführung des Referenzmaterials BCR/IFCC/CAP RPPHS, auch als CRM 470 (jetzt ERM-DA470) bekannt, das Referenzwerte für die in Tab. 18.1-4 – Plasmaproteine der ERM-Referenzmaterialien genannten Plasmaproteine enthält, hat sich die Richtigkeit der Plasmaprotein-Bestimmung verbessert /11/. Für CRP wurde ERM-DA472/IFCC zertifiziert. Die Nachfolge Referenzpräparation von ERM-DA470, genannt ERM-DA470k/IFCC konnte in gleicher Qualität reproduziert werden und wurde mit CRP und β2-Mikroglobulin gespiket /12/.

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18.2 Totalprotein (TP)

Lothar Thomas

Wird die Bestimmung der Konzentration oder Ausscheidung von TP durchgeführt, so sind folgende Annahmen erforderlich:

  • Jedes einzelne Protein verhält sich in der Bestimmungsmethode wie alle anderen Proteine der Probe.
  • Alle Proteine sind Polypeptidketten, deren Masse zu etwa 16 % aus Stickstoff besteht.
  • Die Proteine werden in der Bestimmungsmethode mit Albumin aus Rinderserum oder Humanserum verglichen, da dies als Kalibrator eingesetzt wird.

18.2.1 Indikation

Vorliegen von Symptome, Zuständen und Erkrankungen: Inflammation, Proteinurie, Ödeme, Polyurie, chronische Nierenerkrankung, chronische Lebererkrankung, chronische Durchfälle, maligner Tumor, Infektanfälligkeit, Knochenschmerz, unbestimmt lokalisierbarer Rheumatismus, Lymphome, äußere und innere Blutungen, Schwangerschaft, prä- und postoperativ, monoklonale Gammopathie, Schockzustand, Verbrennung, Intensivpatienten, zur Abklärung eines akuten Hämoglobinabfalls.

18.2.2 Bestimmungsmethode

Zur quantitativen Bestimmung von TP im Serum hat sich die Biuretreaktion bewährt. Die Bestimmung von TP im Harn, Liquor cerebrospinalis und anderen Körperflüssigkeiten wird nach verschiedenen Verfahren durchgeführt. Die zuverlässigste Methode in diesen Proben ist die Biuretreaktion nach Säurefällung der Proteine. Für Liquor cerebrospinalis und Harn werden auch Farbstoffbindungsmethoden wie die Coomassie-Methode und Streulichtverfahren angewendet.

Biuretreaktion

Prinzip: Anlagerung von Cu(II)-Ionen bei alkalischem pH an die Peptidbindungen von Proteinen und Peptiden. Die Intensität der dabei entstehenden Violettfärbung ist linear der Zahl der Peptidbindungen und damit der Konzentration von Protein in einem weiten Bereich. Voraussetzung für die Reaktion ist das Vorhandensein von mindestens zwei Peptidbindungen (Tripeptid). Das Biuretreagenz enthält Kupfersulfat, Natrium-Kalium-Tartrat, Kaliumjodid und Natronlauge. Die Cu(II)-Ionen werden bei alkalischem pH als Tartratkomplex in Lösung gehalten, Kaliumjodid verhindert die Autoreduktion von Cu(II).

Die Biuretmethode ist nicht standardisiert, die Molaritäten der Komponenten im Biuretreagenz sind in vielfacher Weise modifiziert, es gibt jedoch eine Candidate reference method /1/. Zur Kalibration wird Albumin aus Rinderserum empfohlen. Bei der manuellen Bestimmung wird 1 Teil Serum zu 50 Teilen Biuretreagenz gegeben und nach 30 min. Inkubation bei Raumtemperatur die Absorption der Probe und eines Proteinstandards gegen Biuretreagenz bei 546 nm gemessen.

Coomassie-Methode

Prinzip: Der Textilfarbstoff Coomassie Brillant Blau G 250 (CBB-G250) liegt in leicht saurer Lösung in seiner Leukoform vor und hat ein Absorptionsmaximum bei 465 nm. Mit Proteinen reagiert CBB-G250 schnell unter Ausbildung eines Protein-Farbstoff-Komplexes und Verschiebung des Absorptionsmaximums auf 595 nm /2/. Bei niedriger Proteinkonzentration ist die Absorption in etwa linear der Konzentration und akzeptabel zur Bestimmung von TP im Harn und Liquor.

Turbidimetrische Bestimmung

Prinzip: Die Proteine in proteinarmen Lösungen wie Liquor cerebrospinalis oder Harn werden durch Trichloressigsäure denaturiert und streuen Licht niedriger Wellenlänge. Das photometrisch gemessene Streulichtsignal ist in einem bestimmten Konzentrationsbereich proportional der Konzentration an TP /3/. Das Verfahren findet Anwendung für die Bestimmung von TP im Liquor cerebrospinalis und Harn /4/.

18.2.3 Untersuchungsmaterial

Serum, Plasma (Heparin), Harn, Liquor cerebrospinalis, Punktionsflüssigkeiten: 1 ml

18.2.4 Referenzbereich

Siehe Lit. /5, 6/ und Tab. 18.2 -1– Referenzbereiche für Totalprotein.

18.2.5 Bewertung

Abgehandelt wird in diesem Beitrag nur die klinische Interpretation von Veränderungen des TP im Serum und Plasma.

Abweichungen der Konzentration von TP im Serum vom Referenzbereich zeigen das Vorliegen einer Dysproteinämie an oder beruhen auf einer Hypo- oder Hyperproteinämie durch Störungen im Wasserhaushalt.

Differentialdiagnostisch können die Hypoproteinämie und Hyperproteinämie durch die zusätzliche Durchführung der Serumprotein-Elektrophorese und die Bestimmung des Hämatokrits unterschieden werden.

Die Dysproteinämie zeigt in der Elektrophorese eine quantitative Veränderung der Proteinfraktionen, der Hämatokrit ist nicht verändert.

De- und Hyperhydratation führen zur gleichmäßigen Vermehrung oder Verminderung der Serumproteine. In der Serumprotein-Elektrophorese tritt keine quantitative oder qualitative Verschiebung der Proteinfraktionen auf. Bei De- und Hyperhydratation ist aber der Hämatokrit erhöht oder erniedrigt.

18.2.5.1 Hypoproteinämie

Hypoproteinämien beruhen überwiegend auf einer Verminderung des Albumins, seltener sind sie durch eine Verminderung der Antikörperkonzentration bedingt (Tab. 18.2-2 – Erkrankungen und Zustände, die eine Hypoproteinämie verursachen können).

Klinische Symptome ausgeprägter Hypoproteinämien sind die Bildung von Ödemen und von Ergüssen in Körperhöhlen. Folgende Formen der Hypoproteinämie werden unterschieden:

  • Synthesestörung.
  • Protein-Mangelernährung.
  • Protein-Resorptionsstörung.
  • Protein-Verlustsyndrom.
  • Dilutionshypoproteinämie.

18.2.5.2 Hyperproteinämie

Hyperproteinämien sind seltener als Hypoproteinämien, denn bei Vermehrung der Globuline kommt es regulatorisch zur Verminderung des Albumins. Deshalb bleibt das Totalprotein bei den Hyperglobulinämien lange Zeit im Referenzbereich. Etwa 3,5 % der Proben im klinischen Patientengut haben eine Hyperproteinämie über 80 g/l.

Erst ausgeprägte monoklonale Gammopathien, schwere chronisch entzündliche und gewisse autoimmunologische Prozesse wie die autoimmune Hepatitis, verursachen eine Hyperproteinämie (Tab. 18.2-3 – Erkrankungen und Zustände, die eine Hyperproteinämie verursachen können).

18.2.6 Hinweise und Störungen

Probenahme

Soll im Liegen erfolgen, da bis zu 10 % höhere Werte bei der Probenahme in aufrechter Körperhaltung gemessen werden. Die Diskrepanz ist noch größer bei Patienten mit Ödemneigung. Nach über 3 Minuten Stauung zur Blutentnahme kann der Proteinwert um bis zu 10 % ansteigen. Blutentnahme nach aktiver Muskelarbeit kann um bis zu 12 % erhöhte Werte verursachen.

Serum und Plasma können zur Bestimmung von TP verwendet werden. Im Mittel ist das TP, bedingt durch Fibrinogen, bei Blutspendern um 2,5 g/l, bei ambulanten Patienten um 3,6 g/l, bei stationären um 4,6 g/l und bei stationären Patienten mit einem CRP über 50 mg/l, um 6,6 g/l im Plasma höher als im Serum /8/. Der Patient braucht bei der Blutentnahme nicht nüchtern zu sein.

Bestimmungsmethode

Die Biuretmethode wird in vielfacher Variation des Biuretreagenzes angewendet. Es können grob zwei Gruppen unterschieden werden /9/:

a) niedrige Konzentration von NaOH (0,1–0,2 mol/l) und hohe CuSO4 Konzentration (10–30 mmol/l).

b) hohe Konzentration von NaOH (0,5–0,8 mol/l) und niedrige CuSO4 Konzentration (4–6 mmol/l). Die Biuretreagenzien dieser Gruppe haben einen niedrigen Reagenzienblindwert, die Bestimmung ist nur bis zu einer Konzentration von 1,4 g/l im Ansatz linear.

Die Biuretmethode reagiert mit einigen Aminosäuren, Dipeptiden und anderen Substanzen, die mit Kupfer einen 5er oder 6er Ringkomplex bilden. Diese Komplexe haben ein höheres Absorptionsmaximum (blau) als Peptide und Proteine (purpurfarben) /10/.

Störfaktoren

Infusionslösungen: Proteinhaltige Infusionslösungen wie Oxypolygelatine und mit Harnstoffbrücken vernetzte Polypeptide aus abgebauter Gelatine sowie Dextrane gehen, abhängig von der Zusammensetzung des Biuretreagenzes, mit in die Bestimmungsreaktion ein. Polyglucose wie Dextran und Zuckerlösungen wie Glucose, Mannit, Sorbit und Fructose führen zu einer Farbvertiefung und täuschen erhöhte Proteinwerte vor, Dextran verursacht zusätzlich noch Trübungen. Hydroxyäthylstärke und Kunststoffe wie Polyvinylpyrrolidon gehen nicht in die Reaktion ein /9/.

Weitere störende Substanzen: Ammoniumsalze wie sie z.B. in Enzympräparationen vorhanden sind, können falsch-niedrige Werte durch Ausfällung von Protein bewirken. Tris(hydroxymethyl)-aminomethan führt zu falsch-hohen Werten, da es mit dem Biuretreagenz eine Protein ähnliche Farbreaktion ergibt.

Hämolyse: 0,8 g Hb/l täuschen 2 % Proteinerhöhung vor /11/. Bei Benutzung von Rinderserumalbumin als Standard täuscht jedes mg Hb der Probe etwa 2 mg Protein vor, da das Globin in die Biuretreaktion mit eingeht.

Lipämie: Stark lipämische Seren täuschen erhöhte Werte durch Trübung des Ansatzes vor und müssen vor der Bestimmung geklärt werden.

Bilirubin: Konzentrationen über 5 mg/dl (85 μmol/l) verursachen in der Biuretreaktion falsch hohe Proteinwerte, wenn kein Leerwert entsprechend dem Bestimmungsansatz (aber ohne Kupfersulfat) mitgeführt wird.

Röntgenkontrastmittel: Führen in Abhängigkeit von der Zusammensetzung zu falsch hohen Werten.

Coomassie-Methode und Streulichtverfahren: Während die Biuretreaktion für alle Proteine einen etwa gleichen prozentualen Absorptionskoeffizienten besitzt, ist das für die Coomassie-Methode nicht der Fall /11/. Mit dem Streulichtverfahren werden die Globuline gegenüber dem Albumin zu niedrig bestimmt /12/.

Stabilität

Im verschlossenen Gefäß bei Raumtemperatur bis zu 1 Woche, bei 4 °C bis 1 Monat, tiefgefroren über 1 Jahr.

18.2.7 Pathophysiologie

Das TP des Plasmas besteht aus über 100 in der Struktur bekannten Proteinen, die biologische Funktion von etwa 50 ist näher bekannt. Albumin, α1-, α2- und β-Globuline werden von den Parenchymzellen der Leber gebildet, die Proteine der γ-Globulinfraktion, die Immunglobuline, von den Plasmazellen. Die Halbwertszeit der Proteine beträgt von wenigen Stunden (Akute-Phase Proteine), bis zu 3 Wochen (IgG und Albumin).

Die Leber besitzt eine erhebliche Funktionsreserve zur Proteinsynthese (bei Albumin 3 fach, für Fibrinogen 6 fach), und bei erworbenen Lebererkrankungen sind bei Bildung der Proteine die Translation und Transkription gewöhnlich nicht gestört /13/.

Auf die Synthese der Proteine hemmend wirken Glucagon sowie Mangel- und Fehlernährung, insbesondere ein Mangel der Aminosäure Tryptophan.

Fördernde Wirkung auf die hepatische Proteinsynthese haben Glucokortikoide, Wachstumshormon, Insulin und die Schilddrüsenhormone.

Der hepatische Proteinabbau erfolgt nach Endozytose der Proteine in die Leberzelle. Dazu werden z.B. die Glykoproteine nach Entfernung der in terminaler Position der Kohlenhydratketten gelegenen N-acetyl-Neuraminsäure (NANA) an einen Asialoglykoprotein-Rezeptor derMembran von Hepatozyten gebunden und durch Pinozytose internalisiert.

Der Proteinabbau in den Hepatozyten erfolgt auf 2 Wegen:

  • In den Lysosomen durch Peptidasen und Proteasen bei saurem pH.
  • Im Zytosol durch proteolytische Enzyme bei neutralem pH. Die abzubauenden Proteine werden zur Degradierung an das im Zytosol vorhandene Protein Ubiquitin gebunden, somit markiert und in der markierten Form durch Proteasen über Peptide in Aminosäuren zerlegt /14/.

Eine Reduktion des hepatischen Abbaus von Proteinen kann resultieren aus:

  • Einer verminderten Zahl von Asialoglykoprotein-Rezeptoren des Hepatozyten. Dieser Zustand besteht bei Leberzirrhosen, hier ist die Konzentration der asialierten Glykoproteine im Plasma deshalb auch erhöht.
  • Der vermehrten Sialierung (kovalenten Bindung von NANA) an Proteine und dadurch bedingt eine verzögerte Desialierung und verminderte Aufnahme in die Hepatozyten. Die vermehrte Sialierung ist beschrieben für die GGT bei akuter alkoholischer Leberschädigung und für die AP bei primär biliärer Zirrhose.

Der Abbau des Albumins, eines nicht sialisierten Proteins, ist noch weitgehend unbekannt.

Die physiologische Bedeutung der Plasmaproteine besteht in der Aufrechterhaltung des kolloidosmotischen Drucks, in der Vehikelfunktion für Lipide, Stoffwechselprodukte, Hormone und Minerale; nicht wenige haben enzymatische Aktivität.

Viele krankhafte Geschehen im Organismus bewirken eine Veränderung der Zusammensetzung der Protein im Plasma (Dysproteinämie), führen aber häufig nicht zu Proteinwerten außerhalb des Referenzbereichs.

Die Plasmavolumen bedingten Änderungen der Konzentration von TP, wie sie nach Infusion oder starken Durchfällen gesehen werden, sind am synchronen Verhalten von Hämatokrit- und TP-Wert erkennbar.

Absolute Veränderungen des TP im Plasma beruhen entweder auf einer Abnahme des Albumins oder Zu- bzw. Abnahme der Immunglobuline. Die Proteine, die elektrophoretisch in der α1-, α2- und β-Globulinfraktion wandern, unterliegen selten Veränderungen, die zu einer Hypo- oder Hyperproteinämie führen. Eine absolute Vermehrung des Albumins kommt nicht vor.

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18.3 Serumprotein-Elektrophorese

Lothar Thomas

Serumprotein-Elektrophoresen (SPE) werden zur Diagnostik von Dysproteinämien durchgeführt. Die Auftrennung der Serumproteine erfolgt bei alkalischem pH auf Grund der Nettoladung, dem isoelektrischen Punkt und dem Molekulargewicht der Proteine. Zur Diagnostik erfolgt die Proteintrennung:

  • Auf Zelluloseazetatfolie in die sechs Fraktionen Präalbumin, Albumin, α1-, α2-, β- und γ-Globuline beim Gesunden.
  • Im Agarosegel, dort werden beim Gesunden 8–11 Fraktionen dargestellt.
  • Mit der Kapillarzonen-Elektrophorese, die beim Gesunden bis zu 8 Proteinfraktionen auftrennt.

18.3.1 Indikation

Diagnose und Verlaufsbeurteilung von:

  • Monoklonalen Gammopathien.
  • Akuten und chronischen Entzündungsreaktionen.
  • Protein-Verlustsyndromen (Niere, Gastrointestinaltrakt, Haut, Präsenz von Ex- und Transsudaten).

Pathologische Resultate von Basisuntersuchungen:

  • Erhöhte Blutsenkungsreaktion.
  • Proteinurie.
  • Erhöhung oder Erniedrigung des Totalproteins im Serum.

18.3.2 Bestimmungsmethode

Zonenelektrophorese auf Zelluloseazetatfolie /12/

Prinzip: Die elektrophoretische Trennung der Serumproteine erfolgt auf einem vorbehandelten Zelluloseazetat-Träger, der so in die Elektrophoresekammer eingelegt wird, dass beide Enden mit dem Elektrodenpuffer in Kontakt stehen. Nach Aufgabe der Probe mit einem Auftragestempel, aufgetragen wird überwiegend kathodisch versetzt, wird über ein Netzgerät Gleichstrom angelegt. Die Auftrennung der Proteine erfolgt bei konstanter Spannung (200 bis 250 V) und einer Laufzeit von etwa 20 min in Pufferlösung vom pH 8,2–8,6. Die Serumproteine wandern anodenwärts unter zonenförmiger Auftrennung in die Fraktionen Präalbumin, Albumin, α1-, α2-, β- und γ-Globuline. Die Anfärbung der Proteine auf der Folie wird mit Proteinfarbstoffen (Ponceaurot S, Amidoschwarz 10B) durchgeführt; unspezifisch an die Folie adsorbierter Farbstoff wird in Entfärbebädern ausgewaschen. Die quantitative Bewertung des Elektropherogramms erfolgt nach Transparentmachung der Folie photometrisch mit einem Auswertegerät.

Dies liefert folgende Ergebnisse:

  • Extinktions-Orts-Kurve, sie ergibt sich aus der optischen Dichte der einzelnen Proteinfraktionen (Abb. 18.3-1 – Zonen-Elektrophorese auf Zelluloseazetat-Träger).
  • Prozentwerte, sie repräsentieren den Anteil der einzelnen Proteinfraktionen an der optischen Dichte des gesamten Elektropherogramms.
  • Proteinkonzentration der einzelnen Fraktionen in g/l, bezogen auf das Totalprotein der Probe.

Agarosegel-Elektrophorese /3/

Prinzip: Die Durchführung der Serumprotein Auftrennung ist vergleichbar der Zelluloseazetatfolien-Elektrophorese, die Trennzeit ist mit 30–60 min jedoch länger. Auf Grund der hohen Elektroendosmose erfolgt eine stärkere Auftrennung der Serumproteine (Abb. 18.3-2 – Elektrophoretische Auftrennung der Serumproteine auf Agaroseträger).

Die Agarosegel-Elektrophorese ist eine grundlegende Methode der Proteintrennung, an die weiterführende Techniken zur empfindlichen Darstellung von Proteinen angeschlossen werden, z.B. immunchemische Verfahren wie bei der Immunelektrophorese, die Immunfixations-Elektrophorese oder die Bestimmung von Enzymaktivität zur Isoenzymdarstellung.

Kapillarzonen-Elektrophorese (KZE) /4/

Prinzip: Die Trennung geladener Proteine erfolgt in flüssigem Medium bei pH 9,9 in einer engporigen Kapillare (20–200 μm), an die eine hochvoltige Spannung (7.000 V) angelegt ist. In diesem System ist der elektroosmotische Trenneffekt auf die einzelnen Proteinfraktionen größer als deren elektrophoretische Mobilität. Es erfolgt eine Auftrennung Richtung Kathode. Dort werden die Proteinfraktionen durch UV-Messung der Peptidbindungen quantifiziert. Anhand eines Datenverarbeitungsprogramms wird eine der Zonenelektrophorese vergleichbare Extinktions-Orts-Kurve aus folgenden acht Fraktionen erstellt: Albumin, α1-Globulin, α2-Globulin, β1-Globulin, β2-Globulin oder aber β-Total, γ-Globulin.

Im Unterschied zur Zelluloseazetatfolien-Elektrophorese und Agarosegel-Elektrophorese wandern in der KZE die Lipoproteine mit der Albuminfraktion.

18.3.3 Untersuchungsmaterial

Serum: 1 ml

18.3.4 Referenzbereich

Siehe Tab. 18.3-1 – Referenzbereiche der Serumprotein-Elektrophorese.

18.3.5 Bewertung

Die Anwendung der Serumprotein-Elektrophorese ist eine effektive Diagnostik zur Erkennung von Dysproteinämien.

18.3.5.1 Dysproteinämie

Dysproteinämien sind quantitative oder qualitative Veränderungen der Proteinzusammensetzung des Serums und stehen in enger Beziehung zu einer großen Zahl von Krankheiten. Dysproteinämien sind in der Serumprotein-Elektrophorese vorwiegend dann erkennbar, wenn Proteine oder Gruppen von Proteinen betroffen sind, die bei Krankheiten gekoppelt im Sinne der Vermehrung oder Verminderung reagieren, wie Albumin, die Akute-Phase Proteine, die Gruppe Transthyretin-Transferrin und die Immunglobuline.

Albumin

Albumin reagiert in Richtung einer Verminderung der Konzentration bei allen Zuständen mit Vermehrung der Globuline (α, β, γ), so dass das Totalprotein zumeist im Referenzbereich bleibt.

Akute-Phase Proteine

Akute-Phase Proteine wandern in den Globulinfraktionen α1 und α2 und sind erhöht bei akuten Entzündungszuständen um 50–300 % , vermindert bei akuten Hepatitiden, chronisch-aktiven Lebererkrankungen und Proteinverlust-Syndromen.

Transthyretin-Transferrin

Präalbumin, auch Transthyretin genannt, wandert anodisch der Albuminfraktion und normalerweise liegen 50–70 % des Transthyretins in einem Komplex gebunden mit dem Retinol-bindenden Protein vor. Beide Proteine sind vermindert bei einer Proteinmangel Ernährung oder wenn generell ein Energiemangelstatus besteht durch Hungerzustände oder bei Intensivpatienten.

Transferrin wandert in der β-Globulinfraktion, ist erhöht beim Eisenmangel,vermindert beim Proteinmangel und Energiemangel und bei der akuten und chronischen Inflammation. Auch ist das der Fall bei der Anämie chronischer Erkrankungen.

Die Proteingruppe Transthyretin-Transferrin reagiert bei allen akuten und chronisch-aktiven Entzündungszuständen im Sinn einer Verminderung und wird als Anti-Akute-Phase-Proteine oder negative Akute-PhaseProteine bezeichnet.

Immunglobuline

Diese Immunproteine haben Antikörperfunktion und bilden die γ-Globulinfraktion, teilweise auch die β-Globulinfraktion. Vermehrungen der Immunglobuline werden als Gammopathien bezeichnet.

Polyklonale Gammopathien

Polyklonale Gammopathien verursachen eine breitbasige γ-Globulinvermehrung und beruhen auf einer die humorale Immunabwehr aktivierenden Erkrankung.

Monoklonale Gammopathien

Monoklonale Gammopathien bilden einen schmalbasigen M-Gradienten im Globulinbereich. Ursache ist die exzessive Bildung eines Immunglobulins (Ig) oder Ig-Bruchstücks durch eine Plasmazellfamilie. Klinisch liegt vorwiegend eine monoklonale Gammopathie unbestimmter Signifikanz, ein multiples Myelom oder ein M. Waldenström vor.

Oligoklonale Gammopathien

Es handelt sich um die selektive Vermehrung von Ig einer oder mehrerer Ig-Klassen oder Ig-Subklassen, aber beider Ig-Typen. Die γ-Globulinfraktion zeigt einen oder meist mehrere Gipfel (Sägeblattform).

Isolierte Proteinveränderungen

Isolierte Proteinveränderungen werden mit Ausnahme von Albumin, α1-Antitrypsin und IgG nicht mit der SPE, besser jedoch mit der KZE erfasst.

Extragradienten

Extragradienten sind vom gewöhnlichen Verteilungsmuster der Proteine abweichende Proteingipfel. Sie treten in der SPE mit einer Häufigkeit von etwa 0,7 % auf und sind entweder überzählig, also atypisch zwischen den normalen Proteinfraktionen gelegen oder direkt einer Fraktion aufgesetzt. Sie werden erkennbar, wenn ihre Proteinkonzentration 2 g/l übersteigt. Ursache ist die extreme Vermehrung eines Plasmaproteins oder ein technischer Fehler bei der Durchführung der SPE. Gradienten, die schmalbasig sind, bestehen aus monoklonal synthetisiertem Ig, Leichtketten oder Schwerketten. Sie sind überwiegend im γ- und β-Globulinbereich lokalisiert und werden als M-Gradienten bezeichnet (M = monoklonal = Myelom = M-Bildung des Gradienten mit der Albuminfraktion im Elektropherogramm).

18.3.5.2 Klinische Bedeutung der SPE

Die SPE erlaubt keine direkte Diagnosestellung; aus dem Vorliegen einer Dysproteinämie und dem Muster des Elektropherogramms (Konstellationstyp) sind jedoch folgende Feststellungen möglich:

  • Zuordnung von Erkrankungen oder Krankheitsgruppen zu charakteristischen Konstellationstypen.
  • Erkennung der entzündlichen Aktivität einer Erkrankung.
  • Verlaufsbeurteilung des Krankheitszustands.

Auf Grund der quantitativen Bestimmung einzelner Plasmaproteine hat die SPE viel an Bedeutung verloren und wurde und wird angewendet:

Die Extinktions-Ortskurven typischer Dysproteinämien zeigt Abb. 18.3-3 – Extinktions-Orts-Kurven von Serumprotein-Elektrophoresen.

18.3.6 Hinweise und Störungen /8/

Untersuchungsmaterial

Serum muss verwendet werden, da das Fibrinogen im Plasma zur Bildung eines Extragradienten im β-Globulinbereich führt.

Referenzbereich

Die SPE ist nicht standardisiert. Die Zelluloseazetatfolien-Elektrophorese mit Ponceaurot S-Färbung und die KZE zeigen in etwa vergleichbare Referenzbereiche.

Kapillarzonen-Elektrophorese (KZE)

Vorteile gegenüber der Zelluloseazetatfolien-Elektrophorese und der Agarosegel-Elektrophorese sind:

  • Die deutlich geringere Impräzision /46/.
  • Es besteht eine gute Überstimmung für die quantitative Albuminbestimmung zwischen der KZE und der immunnephelometrischen Untersuchung /4/.

α1-Antitrypsin (AAT)-Mangel: Die KZE ist nicht geeignet zum Screening des AAT-Mangels, wenn der untere Referenzbereichswert als Grenzwert der α1-Fraktion zur Beurteilung herangezogen wird (Tab. 18.3-1 – Referenzbereiche der Serumprotein-Elektrophorese). Aber bei einem Wert ≤ 0,21 g/l wurden in einer Studie /9/ 86 % der ZZ-Phänotypen und 29 % der MZ-Phänotypen diagnostiziert (siehe auch Beitrag 18.5 – α1-Antitrypsin (AAT)).

Hämolytisches Serum: Verursacht einen kleinen Gipfel im anodische Teil der γ-Globulinfraktion.

KZE und Diagnostik monoklonaler Gammopathien: Zur Diagnostik monoklonaler Gammopathien ist die KZE empfindlicher als die Zelluloseazetatfolien-Elektrophorese (Sensitivät 74 %) und die Agarosegel-Elektrophorese (Sensitivität 86 %). Die diagnostische Sensitivität beträgt jedoch nur 95 % im Vergleich zur Immunfixations-Elektrophorese /10/.

Schwierigkeiten hat die KZE in der Diagnostik /11/:

  • Niedriger Konzentration von monoklonalem IgA (Gesamt-IgA unter 3,2 g/l). Die nicht erkennbaren monoklonalen IgA wandern in der β-Fraktion und sind unter dem C3- oder dem Transferringipfel verborgen.
  • Niedriger Konzentration von monoklonalem IgM (Gesamt-IgM unter 2,1 g/l).
  • Freier Leichtketten im Serum.
  • Des monoklonalen IgD.
  • Monoklonaler Ig, die in der Agarosegel-Elektrophorese gut erkennbar sind, aber einen hohen isoelektrischen Punkt haben, also im kathodischen Teil der γ-Globulinfraktion wandern.

Spezifität der SPE bei monoklonalen Gammopathien

Monoklonale Gammopathien sind in der SPE durch die Präsenz von M-Gradienten oder Hypogammaglobulinämien erkennbar. Nicht selten aber treten auch Extragradienten auf, hinter denen sich ebenfalls ein monoklonales Immunprotein verbergen kann. Das Labor muss solche Elektropherogramme abklären durch Erweiterung des Untersuchungsauftrags (Reflex testing) und zusätzlich die Immunfixations-Elektrophorese durchführen. In einer Studie /12/ war bei 5.992 SPEs in 13,2 % der Fälle ein Reflex testing erforderlich. Dabei wurden zahlreiche monoklonale Gammopathien detektiert, die bei alleiniger Beurteilung des M-Gradienten als Kriterium monoklonaler Gammopathien übersehen worden wären (Tab. 18.3-4 – Reflex testing bei Abnormalitäten in der Serumprotein-Elektrophorese).

Störung der SPE durch monoklonale Antikörper-Therapien

Therapeutisch eingesetzte monoklonale Antikörper sind entweder chimäre Mensch-Maus-Antikörper wie Rituximab (Rituxan), Siltuximab, Infliximab (Remicade), Cetuximab (Erbitux) oder humanisierte Antikörper wie Trastuzumab (Herceptin), Bevacizumab (Avastin), Adalimumab (Humira). Es handelt sich um IgG Typ Kappa monoklonale Antikörper, die unter Therapie eine Konzentration von etwa 100 mg/l und mehr erreichen. Sie sind mit der Immunfixations-Elektrophorese und KZE nachweisbar und wandern in der SPE in der Mitte der γ-Globulinfraktion, ausgenommen Rituximab und Trastuzumab die im kathodischen Teil der γ-Globulinfraktion wandern /13/.

Etwa 3 Monate nach Beendigung der Therapie (5 Halbwertszeiten) sind sie nicht mehr nachweisbar.

Stabilität

Serum im verschlossenen Gefäß bei Raumtemperatur 1 Tag, bei 4 °C bis zu 1 Woche.

Qualitätskontrolle

Für die laborinterne Kontrolle der Präzision von Tag zu Tag und die Richtigkeitskontrolle erweisen sich flüssige Kontrollseren einem Humanserum vergleichbar.

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18.4 Albumin

Lothar Thomas

Albumin ist das wichtigste Bindeprotein und Transportprotein im Plasma. Seine physiologischen Funktionen sind:

  • Aufrechterhaltung des Kolloid-osmotischen Drucks der Gefäße.
  • Bindung und Transport von Metaboliten, Metallionen, Bilirubin, freien Fettsäuren, Phospholipiden, Aminosäuren, Hormonen (Steroidhormone, Schilddrüsenhormone) und Medikamenten.
  • Substrat zur Bereitstellung von Aminosäuren für die Gewebe durch Hydrolyse von Albumin.
  • Antioxidative Wirkung.
  • Bindung und Abtransport von bei der Zellregeneration anfallender Substanzen.

Klinische Bedeutung hat die Bestimmung von Albumin:

Nachfolgend wird nur die Bedeutung des Albumins im Serum abgehandelt.

18.4.1 Indikation

  • Verlaufsbeurteilung der Leberfunktion bei Leberzirrhose oder akuter schwerer Leberzellschädigung.
  • Abklärung von Oedemen.
  • Prognostische Vorhersage bei älteren, hospitalisierten Patienten und der Mortalität bei Patienten mit Polytraumen und in der Intensivmedizin.
  • Index des Ernährungsstatus in Entwicklungsländern.

18.4.2 Bestimmungsmethode

Immunnephelometrie, Immunturbidimetrie, Bromkresolgrün- oder Bromkresolpurpur-Methode /1/

18.4.3 Untersuchungsmaterial

Serum, Heparinplasma: 1 ml

18.4.4 Referenzbereich

Siehe Lit. /2/ und Tab. 18.4-1 – Referenzbereich von Albumin im Serum.

18.4.5 Bewertung

Klinisch bedeutsam sind Verminderungen der Konzentration von Albumin, da Hyperalbuminämien auf Grund einer absoluten Vermehrung der Albuminmenge des Organismus nicht vorkommen.

18.4.5.1 Hypoalbuminämie

Hypoalbuminämien können beruhen auf /3/:

  • Einer verminderten Synthese, z.B. gestörte Leberfunktion, Proteinmangel-Ernährung.
  • Vergrößerung des Verteilungsraums, z.B. bei Capillary leakage, Sepsis, Schock.
  • Verlust in den dritten Raum, Oedeme, Ascites, Pleuraerguss.
  • Verlust nach außerhalb, z.B. nephrotisches Syndrom, Verbrennungen, exsudative Enteropathie.
  • Einer Akute-Phase Reaktion, die Albuminsynthese wird zu Gunsten der Akute-Phase Proteine herunter geregelt. Albumin ist ein negatives Akute-Phase Protein.
  • Einer Schwangerschaft, da das Plasmavolumen um 40 % zunimmt.
  • Einer angeborenen Störung der Synthese von Albumin.

Die Konzentration des Albumins im Serum wird auch als globaler, grober Indikator des Gesundheitsstatus und Ernährungsstatus einer Person angesehen. Dies gilt insbesondere für alte Menschen und chronisch Kranke. Das ist nicht verwunderlich, da das Albumin bei vielen klinischen Störungen mit einer Verminderung reagiert. In größeren Bevölkerungsstudien wurde Albumin mit Gesundheits-bezogenen Variablen assoziiert. Wenn auch die Studien teils inkonsistent sind, zeigen sie, dass soziodemographische, den Lebensstil betreffende und Krankheits-bezogene Faktoren mit einer Hypoalbuminämie in Beziehung stehen /4/.

Erkrankungen und Zustände mit Hypoalbuminämie sind aufgeführt in Tab. 18.4-2 – Erkrankungen und Zustände mit Hypoalbuminämie.

18.4.6 Hinweise und Störungen

Die Bromkresolgrün-Methode zeigt höhere Werte als die Immunturbidimetrie und Immunnephelometrie aber um etwa 10 % niedrigere Werte im Li-Heparinat-Plasma im Vergleich zu Serum /15/.

Erfolgt die Blutentnahme nicht am liegenden Patienten oder nach mindestens 15-minütigem Sitzen, ist auf Grund der Hämokonzentration mit einer 5–10 %igen Erhöhung der Konzentration von Albumin zu rechnen.

18.4.7 Pathophysiologie

Albumin hat ein MG von 66,3 kD, wird in der Leber synthetisiert und hat als einziges Plasmaprotein seiner Größe keinen Kohlenhydratanteil. Die tägliche Syntheserate beträgt 150–250 mg/kg Körpergewicht, dafür werden etwa 12–20 % der Kapazität der Proteinsynthese der Leber benötigt /16, 17/.

Die funktionellen Albumindomänen sind dargestellt in Abb. 18.4-1 – Struktur von Albumin und funktionelle Domänen. Der N-terminale Teil des Albumins ist die Bindungsstelle für Übergangsmetalle wie Eisen, Kobalt, Nickel und Kupfer in ihrer zweiwertigen Form. Das N-terminale Ende, bestehend aus der Aspartat-Alanin-Histidin-Sequenz ist instabil. Unter Hypoxämie wie z.B. beim akuten Myokardinfarkt werden freie Radikale gebildet und es entwickelt sich eine Azidose. Unter diesen Bedingungen wird Albumin modifiziert (Ischemia modified albumin, IMA) und die gebundenen Übergangsmetalle werden freigesetzt /18/. Die Konzentration von IMA wird gemessen anhand seiner Bindungsfähigkeit für Kobalt im sogenannten Albumin-Kobalt-Bindungstest. IMA bindet weniger Kobalt als normales Albumin.

Neben der Bindung von Metallen transportiert Albumin Fettsäuren und hat antioxidative und detoxifizierende Kapazität. Diese Eigenschaften sind durch den Thiolrest des Cystein 34 bedingt (Abb. 18.4-1– Struktur von Albumin und funktionelle Domänen). Bei Patienten mit Schlaganfall, mit Leberversagen und mit spontaner bakterieller Peritonitis führt die Therapie mit Albumin zu einer Verbesserung des Zustands und es wird angenommen, dass dies auf den antioxidativen und detoxifizierenden Eigenschaften von Albumin beruht /7/.

Die Albuminsynthese wird gebremst durch:

  • Den Anstieg des onkotischen Drucks in der extrazellulären Flüssigkeit der Leber.
  • Die verminderte Verfügbarkeit von Aminosäuren.
  • Die Stimulation der Synthese von Akute-Phase Proteinen durch IL-6.

Stimulierend auf die Synthese von Albumin wirken Thyroxin, Glucokortikoide und anabole Steroide.

Der austauschbare Albuminpool beträgt 3,5–5,0 g pro kg KG, entsprechend 250–350 g, bezogen auf eine 70 kg schwere Person. 35–40 % sind extravaskulär, davon der größte Teil in der Haut und der Muskulatur. Die Leber selbst hat nur etwa 0,3 g gespeichert. Das von den Hepatozyten synthetisierte Albumin geht über die Lebervene in den Kreislauf. Etwa das 10 fache der täglich synthetisierten Menge gelangt vom intravaskulären in den interstitiellen Raum und wird über die Lymphgefäße wieder zurückgeführt.

Nach 30 minütigem Liegen fällt gegenüber Stehen der Albuminwert im Plasma um etwa 15 % ab.

Die Halbwertszeit des Albumins beträgt 19 Tage. Etwa 0,1 g gehen täglich über den Darm verloren und etwa 15 mg über die Nieren. Der Katabolismus des Albumins erfolgt wie derjenige anderer Plasmaproteine durch viele Gewebe und hier insbesondere durch Pinozytose der Endothelzellen von Kapillaren. Bei Hypoalbuminämie ist der Abbau vermindert, obwohl die fraktionelle Degradation normal ist. Die Konzentration von Albumin im Plasma ist im Wesentlichen von Störungen der Verteilung abhängig, weniger von Synthesestörungen. Bei Entzug von Nahrung fällt die Konzentration frühestens nach einer Woche unterhalb den Referenzbereichswert. Bei Proteinmangelernährung korreliert das Ausmaß der Ödeme nur schwach mit der Albuminkonzentration.

Stärkerer Albuminverlust nach außen, z.B. beim nephrotischen Syndrom, führt zur gesteigerten Synthese. Da die Synthese von Albumin gekoppelt mit der von Cholinesterase verläuft, ist die Aktivität letzterer im Serum erhöht. Absolute Erhöhungen von Albumin im Serum kommen nicht vor. Erhöhte Werte beruhen fast immer auf einer Pseudohyperalbuminämie, z.B. bei Exsikkose.

Viele Medikamente binden an Albumin. Hypoalbuminämie kann deshalb mit einer Erhöhung des freien, pharmakologisch aktiven Anteils eines Medikaments verbunden sein. Stark Albumin gebundene Pharmaka sind z.B. Phenytoin und Valproinsäure. Hypoalbuminämie kann bei Patienten, diese Medikamente einnehmen, trotz gleich bleibender Dosierung zur Erhöhung der pharmakologischen Wirkung führen. Auch kann sich das Bindevermögen des Albumins für Pharmaka ändern, so nimmt es für Phenytoin und Salizylsäure bei Niereninsuffizienz ab.

Genetische Strukturvarianten des Albumins werden in der Serumprotein-Elektrophorese auffällig oder bei Bestimmung der Schilddrüsenhormone. So liegt z.B. bei der familiären dysalbuminämischen Hyperthyroxinämie eine Erhöhung von Gesamt-T4 bei normalem FT4 vor. Ursache ist ein abnormales Albumin mit erhöhter Bindefähigkeit für T4.

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18.5 α1-Antitrypsin (AAT)

Lothar Thomas

AAT gehört zur Familie der Serinprotease-Inhibitoren, auch als Serpine bezeichnet. Serpine binden an Serinproteasen wie Elastase, Chymotrypsin, Trypsin und Thrombin unter Bildung irreversibler Komplexe und inaktivieren die Proteasen. AAT auch α1-Proteinaseinhibitor (α1-PI) genannt, wird vom Gen SERPINA1 kodiert. Etwa 120 genetische Varianten des AAT sind bekannt. Die Diagnose des Mangels an AAT erfolgt meist nach der Diagnose einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), einer Lebererkrankung oder in manchen Ländern im Rahmen des Neugeborenen-Screenings bzw. wenn eine familiärer AAT-Mangel bekannt ist.

Für die klinische Diagnostik werden die allelischen Varianten des AAT in drei Kategorien eingeteilt /1/2/:

  • Normal (M; M1, M2, M3, M4) mit normaler Konzentration von AAT im Serum.
  • Mangelvarianten wie die Mutante. Pi*Z (Glu342Lis) oder Pi*S (Glu 264Val) oder auch Varianten durch Mutationen oder Deletionen mit niedriger aber noch messbarer Konzentration von AAT, z.B. MMalton, MHerleen, MWürzburg.
  • Nullvarianten (Q0). Bei diesen ist kein AAT messbar. Sie resultieren aus Nonsense-Mutationen oder Frameshift-Mutationen und führen zu vorzeitigen Stopcodons.

Von klinischer Bedeutung ist nur der Mangel von AAT, nicht die Erhöhung. Ursachen die eine AAT-Erhöhung bewirken können, müssen aber bei der Beurteilung der AAT-Konzentration berücksichtigt werden.

18.5.1 Indikation

Die American Thorax Society/European Respiratory Society (ATS/ERS) /2/ empfehlen die Untersuchung auf AAT-Mangel bei:

  • Patienten mit COPD, Asthma, nicht erklärbarer Lebererkrankung und nekrotisierender Panniculitis.
  • Personen mit einer persistierenden Einschränkung des Luftflusses.
  • Geschwistern von Personen mit bekanntem AAT-Mangel.

18.5.2 Bestimmungsmethode

Drei Stategien werden zur Diagnostik des AAT-Mangels verfolgt:

  • Bestimmung der AAT-Konzentration im Serum. Ist die Konzentration unterhalb eines bestimmten Grenzwertes erfolgt die Phänotypisierung des AAT-Mangels.
  • Phänotypisierung des AAT zur Bestimmung des Musters der Isoformen. Ein Nachteil ist, dass PI*Null-Allele nicht identifiziert werden können, da bei dieser Variante kein Protein synthetisiert wird.
  • Genotypisierung von SERPINA1 [Serpin peptidase inhibitor, clade A (alpha-1 antiproteinase, antitrypsin), member 1].

Manche Laboratorien führen keine AAT-Typisierung mehr durch, sondern gleich die molekularbiologische AAT-Genotypisierung wenn die AAT-Konzentration einen bestimmten Grenzwert unterschreitet.

AAT-Konzentration

Serumprotein-Elektrophorese: AAT ist das mit Farbstoffen für die Darstelung von Protein maßgeblich anfärbbare Protein der α1-Globulinfraktion. Beim homozygoten AAT-Mangel kann die α1-Globulinfraktion stark vermindert sein oder fehlen. Eine normale α1-Globulinfraktion schließt den AAT-Mangel nicht aus. Siehe auch Beitrag 18.3.6 – Hinweise und Störungen.

Radiale Immundiffusion, Immunnephelometrie, Immunturbidimetrie: Prinzip siehe Beitrag 52.1.5 – Direkte Antigen- oder Antikörper-Bestimmung.

Proteinase-Inhibitor (PI)-Kapazität

Prinzip: Zugabe von Patientenserum zu einer Trypsin-katalysierten Reaktion hemmt die Aktivität einer vorgelegten Trypsinmenge in Abhängigkeit von der AAT-Konzentration in der Patientenprobe /3/. In der Testreaktion setzt das verbleibende aktive Trypsin aus hinzugegebenem Substrat (Benzoyl-Arginin-p-Nitroanilid oder Tosyl-glycyl-lysin-4-nitranilidacetat) das p-Nitroanilin frei, dessen Absorptionszunahme bei 405 nm photometrisch gemessen wird. Die Bestimmung der PI-Kapazität wird vorwiegend unter therapeutischen Gesichtspunkten bestimmt.

AAT-Phänotypisierung

Die Feststellung des AAT-Phänotyps eines Patienten erfolgt mittels Isoelektrofokussierung (IEF) im Polyacrylamidgel mit einem pH-Gradienten von 3,5–5,0. Auf Basis ihrer Wanderung in einem pH-Gradienten stellen sich die Varianten (Isoformen) des AAT dar. Z0 (Null), ZZ und SZ, die wesentlichen der 100 PI-Varianten mit pathogener Bedeutung, sind gut zu differenzieren /4/. Es stellen sich multiple Baden unterschiedlicher Mobilität dar. Sie reflektieren die differente Glykosilierung des AAT. Artefakte wie Alter der Probe und Lagerungsbedingungen beeinflussen die Interpretation.

AAT-Genotypisierung

Die genomische DNA wird aus EDTA-Vollblut isoliert und eine PCR mit nachfolgender Schmelzpunktanalyse durchgeführt. Es werden Primer gegen Gene, die das Z-Allel und das S-Allel enthalten, eingesetzt /5/. Die meisten kommerziellen Tests zur molekularen Identifizierung erkennen die häufigen AAT-Varianten PI*S und PI*Z. Mehr als 30 Varianten, die ebenfalls mit einem AAT-Mangel einhergehen werden aber nicht erkannt.

18.5.3 Untersuchungsmaterial

  • AAT-Konzentration: Serum 1 ml
  • PI-Kapazität: Citratplasma 2 ml
  • DNA-Analytik: EDTA-Blut 5 ml

18.5.4 Referenzbereich

AAT-Konzentration /6/

0,9–1,8 g/l* (18–35 μmol/l)

α1-PI-Kapazität /3/

1,4–2,4 kIU/l

* Angabe der 5. und 95. Perzentilen. Umrechnung: mg/l × 19,6 = μmol/l

18.5.5 Bewertung

AAT wird überwiegend von den Hepatozyten synthetisiert, aber auch von Monozyten, Alveolarmakrophagen und Granulozyten. Die Konzentration im Serum ist vom Genotyp abhängig.

18.5.5.1 AAT-Erhöhung

AAT zeigt im Rahmen der Akute-Phase Reaktion gewöhnlich Konzentrationsanstiege bis maximal 3 fach. Werte über 5 g/l werden bei Patienten mit Plattenepithel- und Adenokarzinom gemessen. Außer bei Tuberkulose treten bei keiner Lungenerkrankung Werte in dieser Höhe auf /7/. Eine Konzentrationserhöhung um den Faktor 1–2 kann auch in der Schwangerschaft und bei der Einnahme oraler Kontrazeptiva erfolgen

18.5.5.2 AAT-Mangel

AAT-Allele werden autosomal kodominant vererbt und mehr als 100 genetische Varianten sind beschrieben. Das normale Allel ist PI*M mit sechs Subtypen M 1–M 6. In der Normalbevölkerung haben über 90 % das Allel PI*M. Die normalen Subtypen unterscheiden sich durch den Austausch einzelner Basen in der DNA was zu einer Änderung der Aminosäuren führt. Bei Personen mit PiMM ist die Konzentration und Inhibitorkapazität von AAT normal.

Klinische Symptome des AAT-Mangels betreffen die Lungen, die Leber und die Haut. Symptome, die an den Mangel von AAT denken lassen sollten, sind:

  • Eine nicht erklärbare COPD.
  • Lebererkrankungen ohne Nachweis von Markern einer Virushepatitis oder Alkohol-bedingten Genese.
  • Eine nekrotisierende Panniculitis.

Zur Diagnostik des AAT-Mangels ist ein Algorithmus aufgeführt /13/. Siehe Abb. 18.5-1 – Algorithmus zur Diagnostik des AAT-Mangels.

Die Mehrzahl der Patienten mit verminderter AAT-Konzentration und einer COPD oder einer durch AAT-Mangel bedingten Lebererkrankung sind entweder homozygot für Pi*Z, compound heterozygot für S- und Z-Allele (PISZ) oder haben ein Null-Allel.

Etwa 3,4 Mio. Menschen weltweit (1 auf 1.500 bis 1 auf 10.000, abhängig von der Bevölkerungsgruppe) haben einen schweren AAT-Mangel und 116 Mio. sind Träger eines PI*Z-Allels oder PI*S-Allels mit der höchsten Prävalenz in Europa /8/.

Unterschieden werden Personen:

  • Mit einem schweren AAT-Mangel auf Grund einer Homozygotie (PIZZ) oder compound Heterozygotie (PISZ) oder von Null-Allelen. Diese Personen haben ein erhöhtes Risiko der COPD im 3.–5. Lebensjahrzehnt und im späteren Alter für eine chronische Lebererkrankung.
  • Mit einem milden bis moderaten AAT-Mangel und geringen Risiko der COPD. Es handelt sich um Personen mit Genotypen die heterozygot für AAT-Mangelallele sind wie PIMZ (Odds-Ratio 2,31 im Vergleich zu PIMM) oder dem PI*S-Allel /9/. Letzteres ist in vielen europäischen Populationen häufiger als das PI*Z-Allel. Charakteristika ausgewählter AAT-Varianten sind aufgeführt in Tab. 18.5-1 – AAT-Mangel und assoziierte Erkrankungen.

Bei vielen Patienten bleibt ein AAT-Mangel unentdeckt und das mittlere Intervall zwischen der ersten Symptomatik und der Diagnose beträgt 8 Jahre. Die Patienten sind bei Diagnosestellung im Mittel 46 Jahre alt und haben schon mindestens drei Arztbesuche auf Grund ihrer Symptomatik absolviert /8/. Insgesamt werden nur etwa 5 % der AAT-Mangelfälle erkannt, Ursachen sind, dass viele Patienten asymptomatisch sind und nur 1 % der Patienten mit COPD einen AAT-Mangel haben /1/.

18.5.5.3 Bewertung der AAT-Konzentration

Die als Screening angewendete Bestimmung der Konzentration des AAT ist ein wichtiges Kriterium zur Feststellung des AAT-Mangels. Der untere Referenzbereichswert sollte nicht als Grenzwert für das Screening verwendet werden, da eine Überlappung der Proteinkonzentration von PiMM-Personen und Mangeltypen besteht. Generell wird zwar ein schwerer AAT-Mangel bei einer Konzentration über 1,0 g/l ausgeschlossen /8/, aber Typen mit einem leichten Mangel, die ebenfalls ein COPD-Risiko haben, können übersehen werden. So wurden in der Swiss Cohort Study on Air Pollution and Lung Diseases in Adults (SAPALDIA) /9/ bei einer AAT-Konzentration ≤ 1,13 g/l insgesamt 95 % der AAT-Varianten detektiert darunter alle klinisch wichtigen. Bei Einteilung der Patienten in Subgruppen anhand der AAT-Konzentration ergab sich die in Tab. 18.5-2 – AAT-Konzentration und SERPINA1 Genvarianten aufgeführte Genotyp-Verteilung.

Die Prävalenz des ZZ-Phänotyps beträgt nach einer Schwedischen Studie /10/ 1 auf 1.639 Neugeborene, nach einer Studie /11/ in den USA 1 auf 5.097. Die Absenkung der AAT-Konzentration dieser Personen beträgt unter 35 % des Mittelwertes von PIMM-Personen, entsprechend unter 0,70 g/l. Das gilt auch für die Phänotypen SZ, SNull, Null Null.

Etwa 5–7 % der Bevölkerung weisen ein Mangelallel oder ein stummes Allel auf (MZ, M0) was mit einer leichten bis mittelschweren Verminderung, entsprechend einem AAT-Wert unter 1 g/l, assoziiert ist (Tab. 18.5-3 – Klinische Manifestationen des AAT-Mangels).

Bei Abklärung der neonatalen Cholestase schließt eine normale AAT-Konzentration eine Lebererkrankung nicht aus. Das ist durch seltene heterozygote Varianten bedingt. Deshalb wird bei neonataler Cholestase und Verdacht auf einen AAT-Mangel die elektrophoretische AAT-Phänotypisierung oder Genotypisierung empfohlen /12/.

Ursache einer noch im Referenzbereich liegenden AAT-Konzentration bei Trägern eines Mangelallels kann die Akute-Phase Funktion des Proteins bei Entzündungen sein, da dann vermehrt AAT synthetisiert wird. Solche Fälle werden durch eine gleichzeitige Erhöhung des C-reaktiven Proteins erkannt.

Wird bei einer AAT-Konzentration unter 1,0 g/l nur eine Phänotypierung mittels IFE durchgeführt, so werden mit der Genotypisierung noch bis zu 22 % der Personen mit Mangelallelen (Mheerlen, Q0amersfoort, Mwürzburg, Q0soest) diagnostiziert /14/.

Die Substitution von Patienten mit AAT-Mangel erfolgt mit hoch gereinigtem AAT. Es werden wöchentlich 60 mg/kg KG verabreicht. Diese reichen aus, um eine Serumkonzentration des AAT von im Mittel 0,3 g/l aufrecht zu erhalten /15/. Weitere Information siehe Lit. /26/.

18.5.6 Hinweise und Störungen

Probennahme

Antikoagulantien, wie Citrat-Puffer, Kaliumoxalat, Natriumfluorid oder EDTA, führen sowohl bei Bestimmung der Konzentration als auch der Trypsininhibitor-Kapazität zu falsch-niedrigen Werten, Heparin stört nicht /21/.

Bestimmungsmethode

Bei der Genotypisierung von Personen mit AAT-Mangel mit kommerziellen Assays werden nur Personen mit PI*Z- und PI*S-Allelen erfasst, nicht aber Personen mit Null-Allellen oder andere seltenen Varianten.

Referenzbereich

Bei Ermittlung des Grenzwertes der AAT-Konzentration, unterhalb dessen eine Geno- und oder Phänotypisierung weiterführend durchgeführt werden soll, muss der Hersteller des Reagenzes berücksichtigt werden, da doch deutliche Unterschiede bei den Herstellern bestehen. In der Literatur schwanken die Grenzwerte zwischen ≤ 1,1 und ≤ 1,0 g/l /89/.

18.5.7 Pathophysiologie

AAT, ein Glykoprotein mit der Masse von 51 kD, kommt in etwa gleicher Konzentration im Plasma und der interstitiellen Flüssigkeit vor. Syntheseorte sind neben den Hepatozyten die Alveolarmakrophagen und die Monozyten. Die tägliche Bildungsrate beträgt 34 mg/kg KG, die Halbwertszeit 6–7 Tage.

AAT ist ein Mitglied der Serpinfamilie. Zu dieser gehören /22/:

  • Antithrombin, das eine Inaktivierung der freigesetzten Proteasen des Gerinnungssystems wie Thrombin und F Xa bewirkt.
  • Der C1-Esteraseinhibitor, der die Aktivierung des Komplementsystems kontrolliert.
  • Der Plasminaktivator (PA)-Inhibitor (PAI). Der PAI hemmt den PA, welcher Plasminogen in Plasmin umwandelt und somit die Fibrinolyse aktiviert.
  • Das AAT. Als α1-Proteinase-Inhibitor hemmt es die Serinproteasen Trypsin, Chymotrypsin, sowie die pankreatische Elastase und besonders die Elastase der polymorphkernigen Granulozyten. Die Elastase bricht Bindegewebsstrukturen wie Kollagen und Elastin auf. Das ist erforderlich zur Eiterbildung und Verflüssigung eines Entzündungsherds. In der Umgebung des Entzündungsherds begrenzt jedoch AAT die Elastasewirkung, damit die Gewebeschädigung nicht so weit ausgedehnt wird.

Die Serpine unterscheiden sich von anderen Familien der Proteaseinhibitoren durch die komplexe Art der Hemmung der Proteasen, die mit einer drastischen Änderung ihrer Struktur einhergeht (Abb. 18.5-2 – Inaktivierung einer Serinprotease durch α1-Antitrypsin). So führen Mutationen im Gen SERPINA1 zur Veränderung der Konformation des Proteins, so dass dies zwar noch im endoplasmatischen Retikulum synthetisiert, aber nicht mehr sezerniert werden kann. Es kommt zur Ausbildung einer Konformationserkrankung mit der Ausfällung von Proteinaggregaten im Hepatozyten und dessen Degeneration. Außerdem resultiert ein AAT-Mangel /22/.

AAT wirkt vorwiegend auf epithelialen und serösen Oberflächen, und die Entwicklung des Lungenemphysems beim AAT-Mangel beruht auf einem Ungleichgewicht zwischen Elastase und AAT. Das Ungleichgewicht resultiert aus einer Aktivierung der Granulozyten durch den Plättchen-aktivierenden Faktor, der von Makrophagen und Granulozyten abgegeben und als Entzündungsmediator die Granulozyten zur Abgabe von Peroxidasen und Elastase stimuliert.

Ein erheblicher Teil der Mutanten im Gen SERPINA1 hat keinen Einfluss auf die Expression und Funktion des Proteins. Einige Allele kodieren jedoch für ein AAT, das entweder in verminderter Konzentration in der Zirkulation auftritt oder dysfunktionell ist.

Auf Grund ihres Pathomechanismus werden Krankheits assoziierte Allele klassifiziert in /13/:

  • Mangelallele wie PI*Z. Diese Glu342Lys-Mutation ändert die Proteinstruktur des AAT-Proteins. Es resultiert eine Aggregation und Polymerisation des Moleküls im endoplasmatischen Retikulum der Hepatozyten mit Ausfällung und Bildung von Einschlusskörperchen in den Hepatozyten.
  • PIS-Protein-Allel. Das Protein dieser Glu264Val-Mutation polymerisiert, wird aber sezerniert und relativ rasch aus dem Blut eliminiert, so dass die Konzentration im Serum nur 60 % des Normalwerts ausmacht.
  • Nullallele; diese produzieren entweder kein Transkript, ein verstümmeltes AAT oder ein instabiles AAT, so dass schon eine Degradation vor der Sekretion aus der Zelle stattfindet /23/.
  • Dysfunktionelle Allele kodieren für ein AAT, das nicht an Elastase bindet, dafür aber an andere Proteine, wie an Antithrombin.

Siehe auch Tab. 18.5-4 – Charakteristika ausgewählter α1-Antitrypsin-Varianten.

Personen des Phänotyps PISS bilden immer so viel AAT, dass sich kein schwerer AAT-Mangel und nur selten klinische Symptome manifestieren.

Personen mit dem Allel PI*Z, haben eine Verminderung der AAT-Konzentration und der Inhibitorkapazität gegenüber der Elastase der polymorphkernigen Granulozyten. Es resultiert eine ungebremste Elastaseaktivität mit der Entwicklung einer COPD. Die Z-Variation des AAT hat eine instabile Konformation, die zur Polymerisation mehrerer Moleküle von AAT und zur Bildung von Einschlusskörperchen in den Hepatozyten führt.

Bei Trägern von PI*Z-Allelen auftretende Lebererkrankungen beruhen also nicht auf einem Mangel von AAT, sondern auf einer pathologischen Polymerisation von AAT. Die β-Kette des AAT-Moleküls im rauen endoplasmatischen Retikulum hat eine veränderte Konformation, wodurch das gesamte Molekül instabil ist. Somit ist es der Peptidkette eines zweiten AAT-Moleküls möglich, sich in die Struktur des ersten Moleküls einzulagern unter Bildung eines Dimers (Abb. 18.5-3 – Polymerisation von zwei AAT-Molekülen). Der gesamte Vorgang kann sich vervielfältigen, so dass es zur Bildung von Polymeren kommt, die nicht mehr vom endoplasmatischen Retikulum ausschleusbar sind und präzipitieren. Die sich bildenden Einschlusskörperchen unterliegen einer Degradation und die Entwicklung einer Nekrose des Hepatozyten hängt möglicherweise vom Gleichgewicht zwischen Aggregation des AAT und Abbau der Einschlusskörperchen ab. So nimmt die Aggregatbildung mit steigender Temperatur zu, was eine Erklärung dafür ist, dass Neugeborene des ZZ-Phänotyps mit Fieber häufiger eine Lebererkrankung ausbilden als fieberfreie.

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18.6 Alkoholbiomarker

Lothar Thomas

Laboruntersuchungen zum Nachweis der leichten, schweren und/oder kontinuierlichen Aufnahme von Alkohol (Äthanol)bieten die Möglichkeit den Alkoholkonsum zu objektivieren. Unterschieden werden /1/:

  • Direkte Marker, sie entstehen wenn Äthanol im Organismus metabolisiert wird oder mit körpereigenen Substanzen reagiert.
  • Indirekte Marker, die sich durch den chronischen Alkoholkonsum verändern, z.B. Anstieg der GGT oder des mittleren zellulären Volumens (MCV) der Erythrozyten.

Ein Überblick zu den Biomarkern Alkohol, Ethylglucuronid, Carbohydrate-deficient transferrin und einigen indirekten Markern wird gegeben.

18.6.1 Äthanol

Alkohol ist Äthanol (chemische Formel CH3CH2OH), hat ein MG von 46 D und eine Dichte von 0,79. Wurde ein anderer Alkohol konsumiert muss er spezifisch indentifiziert und seine medizinische Wirkung bewertet werden /2/.

Aufgeführt sind:

In diesem Beitrag wird ein Überblick gegeben zu den Alkoholmarkern Äthanol, Ehtylglukuronid, Carbohydrate- deficient transferrin und einige indirekte Biomarker.

18.6.2 Ethylglucuronid (EtG)

Beim anaeroben Metabolismus von Äthanol wird, katalysiert durch die UDP-Glucuronyltransferase, EtG gebildet (Abb. 18.6-2 – Struktur von Ethylglucuronid). EtG ist wasserlöslich, nicht volantil, stabil und noch lange im Urin nachweisbar nach der kompletten Elimination von Äthanol. EtG wird bis zu 200 fach im Urin konzentriert und bleibt bis zu 90 Std. nach der letzten Aufnahme von Alkohol nachweisbar Bedingt durch diese Eigenschaften ist EtG ein guter diagnostischer Marker bei medizinischen Fragestellungen betreffend des Alkoholkonsums /3/.

18.6.3 Carbohydrate-deficient transferrin

Transferrin (Tf), das Fe3+-transportierende Protein, besitzt in der Regel eine Struktur mit zwei verzweigten Kohlenhydratketten. Die vier Verzweigungen des Tf tragen an ihren Enden jeweils einen Sialinsäurerest. Intaktes Tf ist ein Tetrasialotransferrin (Abb. 18.6-3 – Struktur von Transferrin und Disialotransferrin). Der längerfristige kontinuierliche Konsum von Alkohol mit einer Trinkmenge ab 60–80 g reinem Alkohol täglich stört die Glykosilierung von Tf. Es resultiert der Anstieg von Tf-Isoformen, denen ein oder zwei N-Glykane (z.B. Disialo-Tf, Monosialo-Tf und Asialo-TF) fehlen (Abb. 18.6-3). Diese, mit dem chronischen Alkoholismus in Beziehung stehende Formen, werden kollektiv Carbohydrate-deficient transferrin (CDT) genannt. Die quantitative Bestimmung von CDT wird zur Diagnostik des chronischen Alkoholmissbrauchs angewendet. CDT ist zur Zeit der beste indirekte Marker bei dieser Problematik, denn im Vergleich zu anderen Labortests ist die Rate falsch positiver Resultate am niedrigsten /4/.

18.6.4 Indikation

Abhängig vom Fenster zwischen dem letzten alkoholischen Getränk und der Probenahme können unterschiedliche Biomarker noch positiv sein /25/.

  • Atemtest: Akuter Alkoholkonsum innerhalb von 10–12 h nach dem letzten Getränk.
  • Alkohol im Blut oder Urin: Akuter Alkoholkonsum innerhalb von 10–12 Std. nach dem letzten Getränk.
  • Ethylglucuronid im Blut: Bis zu 20 h nach dem letzten Getränk
  • Ethylglucuronid im Urin: Bis zu 24 Std. nach dem Trinken kleiner Alkoholmengen und bis zu 130 Std. nach exzessiver Alkoholaufnahme.
  • CDT im Serum: Chronisch exzessives Trinken.

18.6.5 Bestimmungsmethode

Alkohol im Vollblut, Serum und Plasma

Prinzip der Alkoholdehyrogenase-Methode: In der Vorwärtsreaktion wird Äthanol in Gegenwart von NADP zu Aldehyd und NADPH2 oxidiert. Die Reaktion wird durch die Alkoholdehydrogenase (EC 1.1.1.2) katalysiert.

Ethylglucuronid im Urin

High performance liquid chromatography gekoppelt mit der Tandem Massenspektrometrie /6/.

Immunoassay: Siehe Lit. /7/

CDT Immunoassay im Serum oder Plasma

Prinzip: Der CDT Immunoassay basiert auf der Anwendung eines monoklonalen Antikörpers, der sich spezifisch gegen CDT Isoformen richtet, denen eine oder mehrere Verzweigungen fehlen /8/. Parallel wird mit einem zweiten Immunoassay die Konzentration von Tf bestimmt. Polystyrolpartikel sind mit dem monoklonalen Antikörper gegen CDT überzogen und können durch CDT beladene Polystyrolpartikel agglutiniert werden.

Ist CDT in der Probe, so hemmt es die Agglutination der mit monoklonalen Antikörpern gegen CDT überzogenen Partikel in Abhängigkeit von der CDT Konzentration der Probe. Die Zunahme der nephelometrisch gemessenen Lichtstreuung wird registriert. Die simultane Bestimmung von Tf ermöglicht die Berechnung von %CDT.

18.6.6 Untersuchungsmaterial

Serum: 1 ml

Urin: 5 ml

18.6.7 Referenzbereich

Grenzwerte zur Unterscheidung von Patienten mit und ohne Alkoholabhängigkeit:

  • Äthanol im Serum/Plasma: 5 mg/l. Grenzwert für die kürzliche Alkoholaufnahme; das Ende der Alkoholaufnahme liegt nicht länger als 1 Tag zurück /2/.
  • Ehylglucuronid im Urin: 100–200 μg/l. Jede Aufnahme von Alkohol in der Nacht wird am nächsten Morgen detektiert /9/.
  • CDT im Serum/Plasma: Im homogenen Immunoassay relativer Grenzwert ≤ 2,5 % /8/.

18.6.8 Bewertung

Alkoholmarker werden angefordert zur Objektivierung des Konsums, zur Feststellung eines schädlichen Missbrauchs und zur Kontrolle der Abstinenz von Alkohol. Für die Auswahl des Markers ist es wichtig zu wissen, welche Alkoholmenge konsumiert wurde und wie breit das zeitliche Fenster zwischen der letzten Alkoholaufnahme und der Gewinnung des Untersuchungsmaterials ist.

Die Strategien zur Feststellung des Konsums von Alkohol werden in direkte und indirekte Verfahren eingeteilt /10/.

  • Direkte Verfahren (Alcohol Use Disorder Identification Test, AUDIT) fördern die Selbstaussage des Patienten.
  • Indirekte Verfahren sind klinische Tests, indirekte Fragebogenverfahren und Laboruntersuchungen.

Laboruntersuchungen sind zwar hilfreich um Personen, die Alkohol trinken, zu erkennen müssen aber immer in Kombination mit der Anamnese, klinischen Untersuchungen und der direkten Evaluation in Einklang gebracht werden /11/.

18.6.8.1 Definitionen

Der Alkoholkonsum ist folgendermaßen definiert nach den Guidelines for Americans 2015–2020 of the US Department of Health and Human Services and US Department of Agriculture:

  • Moderates Trinken entspricht bis zu 1 Standard drink täglich für Frauen und bis zu 2 Standard drinks bei Männern.
  • Ein Tag des schweren Trinkens (heavy drinking day) ist definiert als über 3 Standard drinks für Frauen und über 4 für Männer.
  • Binge drinking (Rauschtrinken oder Trinken im Rahmen eines Trinkgelages) ist ein Trinkverhalten, dass die Alkoholkonzentration im Blut auf Werte von 0.08 g/dL (17.4 mmol/L) bringt. Das ist typischerweise der Fall, wenn innerhalb von 2 h von Frauen 4 und von Männern 5 Standard drinks aufgenommen werden.
  • Der schwere Alkoholismus umfasst Binge drinking an 5 Tagen oder mehr innerhalb des vergangenen Monats.
  • Leichtes Trinken mit geringem Risiko der Ausbildung einer Alkohol abhängigen Erkrankung umfasst maximal 3 Standard drinks pro Tag und nicht mehr als 7 drinks pro Woche bei Frauen. Für Männer umfasst leichtes Trinken nicht mehr als 4 drinks pro Tag oder 14 drinks pro Woche.
  • Alkoholkrankheit ist eine chronisch wiederkehrende Erkrankung des Gehirns. Sie ist charakterisiert durch die Unfähigkeit den Konsum von Alkohol zu stoppen und zu kontrollieren, obwohl das mit sozialen, beruflichen und gesundheitlichen Folgen verbunden ist.

Zur Definition des Standard drinks siehe Tab. 18.6-2 – Was ist ein Standard drink?

18.6.8.2 Äthanol: Marker des akuten Alkoholkonsums

Die Alkoholbestimmung im Atemtest oder die Bestimmung von Alkohol im Blut oder Urin kann Alkohol nur nachweisen wenn das Zeitfenster zwischen letzter Alkoholaufnahme und der Probennahme keine 12 Std. überschreitet. Somit ist eine Alkoholaufnahme nur in einem Fenster von 12 Std.möglich /12/.

18.6.8.3 Ethylglucuronid: Marker des kurzfristigen Alkoholkonsums

Ethylglucuronid (EtG) wird im Blut innerhalb von 45 min nach dem Trinken von Alkohol nachgewiesen und das Zeitfenster zum Nachweis im Serum ist bis zu 8 Std. länger im Vergleich zu Äthanol. Im Urin beträgt das Zeitfenster bis zu 24 Std., auch wenn nur kleine Mengen Alkohol getrunken werden. Das Zeitfenster verbreitert sich auf bis zu 130 Std. nach exzessivem Trinken /13/.

Die Ergebnisse einer Dose ranging alcohol challenge study haben folgende Resultate erbracht /9/:

  • Jedes abendliche oder nächtliche Trinken von Alkohol wird am nächsten Morgen nachgewiesen, wenn ein EtG-Entscheidungswert von 100 or 200 μg/L gewählt wird. 24 Std. nach dem Trinken ist die Nachweisrate niedrig nach leichtem Trinken aber hoch nach stärkerem Alkoholkonsum.
  • Nach 48 Std. ist die Nachweisrate gering wenn 6 drinks oder weniger getrunken wurden.
  • Eine Erhöhung des Entscheidungswerts auf 500 μg/L vermindert deutlich die Sensitivität der EtG Bestimmung.

Die Ergebnisse einer Studie zum Nachweis von EtG im Urin bei Trinkern mit leichtem und hohem Alkoholkonsum erbrachte folgende Ergebnisse /14/:

  • Bei einem Entscheidungswert von 100 μg/L wurde ein niedriger Alkoholkonsum zu > 76 % nach 2 Tagen und zu 66 % nach 5 Tagen erkannt.
  • Bei dem 100 μg/L Entscheidungswert wurden 84 % der schweren Alkoholiker am 1. Tag nach dem Trinken und 79 % am 5. Tag erkannt.
  • Bei dem 200 μg/L Entscheidungswert wurden > 55 % der leichten Trinker und > 66 % der schweren Trinker bis zum 5. Tag erkannt.
  • Der 500 μg/L Entscheidungswert identifizierte 68 % der leichten und 78 % der schweren Eintagstrinker mit einer Detektionsrate an den Tagen 2–5 für leichte Trinker < 58 % und für schwere < 71 %.

EtG im Urin ist ein geeigneter Marker in Programmen des Entzugs und der Entwöhnung von Alkohol und auch bei Abstinenzkontrollen vor einer geplanten Transplantationen der Leber oder die Aufnahme auf die Warteliste /1/.

18.6.8.4 Carbohydrate-deficient transferrin: Marker des chronischen exzessiven Alkoholmissbrauchs

Carbohydrate-deficient transferrin (CDT) ist die spezifischste Kenngröße des chronischen und exzessiven Alkoholmissbrauchs. Mit hoher Prävalenz tritt CDT in erhöhter Konzentration im Serum auf, wenn ein Abusus von Alkohol von 50–80 g Alkohol/Tag an wenigstens 7 aufeinander folgenden Tagen erfolgt. Unter Abstinenz fällt CDT mit einer Halbwertszeit von etwa 14 Tagen in den Referenzbereich /15/. Bei unverändertem Konsum von Alkohol schwankt %CDT nur gering. Während des Alkoholentzugs ist die relative Veränderung des %CDT in Bezug zum Ausgangswert in der Longitudinalbeurteilung aussagekräftig /16/.

Die diagnostische Sensitivität von %CDT zur Erkennung des chronischen Alkoholmissbrauchs beträgt 30–50 % für Frauen und 50–70 % für Männer /15/.

Die diagnostische Spezifität des %CDT ist über 90 % und somit deutlich über derjenigen der GGT. %CDT ist somit derzeit die beste Kenngröße zum Ausschluss eines chronischen Alkoholmissbrauchs /15/.

Geschlechtsabhängigkeit

Die CDT-Konzentration (U/l, mg/l) zeigt eine Abhängigkeit vom Geschlecht, was beim %CDT nicht der Fall ist /16/.Schwangere zeigen einen Trend zu höherer Konzentration von CDT, der jedoch so gering ist, dass er für die klinische Beurteilung des %CDT belanglos ist /17/.

Vorteile der Bestimmung von %CDT

Zwischen der Serumkonzentration von CDT und derjenigen von Tf besteht keine Korrelation /15/. Zur Kompensation von Veränderungen der Konzentration von Tf, bedingt durch Störungen im Elektrolyt- und Wasserhaushalt oder Verminderung oder Erhöhung der Konzentration von Tf, wird der prozentuale Anteil des CDT am Tf (%CDT) als Beurteilungskriterium empfohlen. Vorteile des %CDT gegenüber der Konzentrationsangabe sind:

  • Die Reduzierung falsch positiver Befunde (Zunahme der diagnostischen Spezifität) bei Personen mit normalem Alkoholkonsum aber erhöhter Konzentration von Tf, z.B. bei Eisenmangel /18/.
  • Die Verminderung falsch negativer Befunde (Erhöhung der diagnostischen Sensitivität) bei Personen mit chronischem Alkoholmissbrauch und niedriger Konzentration von Tf in Folge akuter oder chronischer Infektionen, der Hämochromatose und von Tumorerkrankungen /15/.

GGT und %CDT

Zwischen der Aktivität der GGT und dem %CDT besteht keine Korrelation. Die kombinierte Bestimmung von CDT und GGT ist sinnvoll, auf Grund der hohen diagnostischen Sensitivität der GGT und der guten diagnostischen Spezifität von CDT.

%CDT und MCV

Es besteht keine Korrelation zwischen %CDT und dem MCV-Wert und eine kombinierte Bestimmung von %CDT und MCV ist nicht sinnvoll, da beide eine gute diagnostische Spezifität haben /15/.

18.6.9 Hinweise und Störungen

Probennahme

Venöse Blutentnahme: Keine spezielle Vorbereitung des Patienten, keine Beeinflussung des CDT durch Nahrungsaufnahme und Tageszeit. Die intraindividuelle tägliche Schwankung des %CDT beträgt 8 %.

Bestimmungsmethode

Bei den chromatographischen und elektrophoretischen Verfahren bewirkt der Phänotyp D des TF ein falsch hohes und der TF-Phänotyp B ein falsch niedriges %CDT. Das ist bei dem homogenen CDT-Immunoassay nicht der Fall. Auch Seren von Leberkranken stören dieses Verfahren nicht.

Einflussgrößen

CDT ist weitestgehend unbeeinflusst von Pharmaka. Disulfiram®, ein zur Behandlung der Alkoholabhängigkeit eingesetzter Inhibitor der Aldehyddehydrogenase, beeinflusst CDT nicht. Falsch-positive %CDT Befunde sind aufgeführt in Tab. 18.6-6 – Erkrankungen und Zustände, die zu falsch positiven CDT-Befunden führen können.

EtG kann in geringen Mengen nachgewiesen werden und positiv sein nach der Exposition von Alkohol, der nicht als Getränk aufgenommen wurde. Das kann positive Ergebnissen bezugnehmend des Trinkverhaltens vortäuschen. Bei in Medizinberufen Tätigen, die täglich mehrmals die Händedesinfektion mit Alkohol enthaltenden Desinfektionsmitteln durchführen, kann EtG positiv sein. Unter Anwendung eines Entscheidungswerts von 200 ug/l werden solche falsch-positiven Resultate vermieden /9/.

Stabilität

CDT ist im Serum bei Raumtemperatur bis zu 30 Std., bei 4 °C bis zu 7 Tage, bei –22 °C mehrere Monate bis Jahre stabil; Anstieg des CDT um 25 % nach 3 Tagen bei Raumtemperatur. Wiederholtes Einfrieren und Auftauen ist ohne Einfluss auf das CDT.

EtG ist bei 4 °C in einem verschlossenen Gefäß relativ stabil.

18.6.10 Pathophysiologie

Alkohol

Einige wichtige Daten zu Alkohol in Getränken /19/:

  • Die Angabe der Alkoholmenge in Getränken erfolgt in Volumen %. Multipliziert man den Vol %-Wert mit der Dichte von Äthanol, erhält man den Prozentgehalt des Getränkes in Gramm (Tab. 18.6-7 – Gleichung 1).
  • Die konsumierte Alkoholmenge in Gramm wird berechnetnach Tab. 18.6-7– Gleichung 2.
  • Die Berechnung der Konzentration an Blutalkohol aus der getrunkenen Alkoholmenge erfolgt unter Einbeziehung des Reduktionsgewichts. Es handelt sich um einen Korrekturfaktor, der bezogen auf das Körpergewicht die unterschiedliche Verteilung von Alkohol in den Geweben berücksichtigt. Die Multiplikation des Körpergewichtes mit 0,7 ergibt den Verteilungsraum des Alkohols (Reduktionsgewicht). Dividiert man das Reduktionsgewicht durch die Alkoholmenge erhält man die Alkoholkonzentration des Blutes in (‰); Tab. 18.6-7– Gleichung 3.
  • Aus dem Promillewert kann in den ersten Stunden nach Alkoholaufnahme die getrunkene Alkoholmenge berechnet werden (Tab. 18.6-7– Gleichung 4).
  • Die Alkoholkonzentration im Serum (mmol/l) wird in die Blutalkoholkonzentration (‰) umgerechnet nach Tab. 18.6-1– Gleichungen 5.

Ethylglucuronid (EtG)

Beim nicht oxidativen Metabolismus von Äthanol werden Substanzen gebildet, die als direkte Alkoholmarker bezeichnet werden. Diese Gruppe umfasst EtG, Ethylsulfat und Phosphatidyläthanol. EtG wird durch Glukuronidierung von Äthanol gebildet. Die molekulare Masse beträgt 222 g/Mol, die molekulare Formel ist C8H14O7 und die Halbwertszeit der Elimination beträgt 2–3 Stunden. Die Serumkonzentration von EtG ist eine Funktion zweier gegenläufiger Einflüsse; der konsumierten Alkoholmenge und dem Zeitfenster zwischen Alkoholaufnahme und der Probenahme. Die Urinkonzentration von EtG ist von der Diurese abhängig. Ist der Alkohol in einer großen Flüssigkeitsmenge enthalten wie z.B. in Bier, resultiert ein steiler Abfall der EtG Konzentration im Urin. Deshalb ist eine Mindestanforderung, dass die Creatininkonzentration des zu untersuchenden Urins mindestens 20 mg/dl (1,77 mmol/l) beträgt.

Carbohydrate-deficient transferrin (CDT)

Tf ist ein Glykoprotein mit einer Polyptidkette von 679 Aminosäureresten und trägt zwei N-gebundene Kohlenhydratketten an Position 413 and 611 (Abb. 18.6-3 – Struktur des Transferrins (oben) und von Disialotransferrin). Es gibt drei Ursachen einer Tf-Heterogenität:

  • Die Variation von Aminosäuren der Polypeptidkette, bedingt durch einen genetischen Polymorphismus. Mit der Stärkegel-Elektrophorese kann der Wildtyp TfC von dem rascher anodisch wandernden Typ TfB und dem langsamen kathodischen Typ TfD differenziert werden. Alle genetischen Varianten zeigen eine reguläre Eisenbindung.
  • Im Eisengehalt. Von den vier Isoformen trägt diferric Tf das Eisen in der N-terminalen und C-terminalen Domäne, monoferric Tf das Eisen in der N-terminalen oder C-terminalen Domäne, und dem Apo-Tf fehlt das Eisen. Die N-terminal Domäne hat eine Dominanz in der Eisenbindung.
  • In den Kohlenhydratketten. Jede der beiden Oligosaccharidketten der N-terminalen Domäne variiert strukturell in der Verzweigung durch eine bi- oder triantenäre Struktur und am Schluss jedes Zweiges sitzt eine Sialinsäure.

Die folgenden CDT-Isoformen werden unterschieden: Asialo-Tf (< 0,5 %), Monosialo-Tf (< 0,9 %), Disialo-Tf (< 2,5 %), Trisialo-Tf (4,5–9,0 %), Tetrasialo-Tf (64–80 %), Pentasialo-Tf (12–18 %), Hexasialo-Tf (1,0–3,0 %) und Heptasialo-Tf (< 1,5 %). Der isoelektrische Punkt der Isoformen ist von der Anzahl der Sialinsäurereste abhängig.

Der Alkohol induzierte Anstieg von CDT beruht auf Äthanol- und/oder Acetaldehyd-induzierten Synthesestörung der N-Kohlenhydratketten des Tf. So werden erniedrigte Aktivitäten der Galactosyl-Transferase und der N-Acetyl-Glucosaminyl-Transferase im Serum von Alkoholikern gemessen.

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18.7 Coeruloplasmin: M. Wilson und weitere Kupfer-bedingte Erkrankungen

Lothar Thomas

Coeruloplasmin (Cp) ist das Kupfer (Cu)-transportierende Protein in den Körperflüssigkeiten. Ein Molekül Cp bindet 6 Atome Cu. Etwa 90 % des Cu im Plasma liegen in Form des Cp-Cu-Komplexes vor und sind die Quelle der Cu-Versorgung peripherer Organe wie Gehirn und Nieren.

Cp wird in der Leber synthetisiert. Die Hepatozyten geben Cp als Cu-tragendes Protein in die Zirkulation ab. Cp ist ein Akute-Phase Protein und wandert in der Serumprotein-Elektrophorese in der α2-Globulinfraktion.

Weitere Funktionen von Cp sind (siehe auch Beitrag 10.4 – Kupfer):

  • Regulation des Valenzstatus von Eisen und anderen Metallionen, so wird durch die Ferroxidase-Aktivität von Cp Fe2+ zu Fe3+ oxidiert.
  • Beeinflussung des Redoxstatus des Plasmas und somit ein antioxidativer Effekt durch Verhinderung der Metall­ionen-katalysierten Oxidation von Lipiden der Zellmembran.
  • Oxidation von Stickstoffmonoxid (NO) und Beeinflussung von dessen Homöostase (siehe Beitrag 19.2 – Oxidativer Stress).

Diagnostisch bedeutsam ist die Konzentration von Cp im Serum, denn eine niedrige Konzentration ist auf den M. Wilson und die Menkes Erkrankung hinweisend.

Zur Diagnostik des M. Wilson ist die Konzentation von Cp im Serum nur unter Kenntnis der Ausscheidung von Cu im Urin zu bewerten. Siehe auch Beitrag 10.4 – Kupfer.

18.7.1 Indikation

  • Ausschluss eines M. Wilson bei allen Kindern mit Verdacht auf Autoimmunhepatitis oder nicht alkoholischer Fettleber (NAFLD). Kinder ab 5 Lj. mit sonographisch erkennbarer Fettleber oder jeder Form von akut auftretendem Leberversagen sind verdächtig auf M. Wilson /12/.
  • Hepatitismarker negative Lebererkrankung im Jugend- und Erwachsenenalter (Verdacht auf M. Wilson).
  • Patienten mit extrapyramidalen, cerebellaren oder cerebralen Symptomen, auftretend als subakute oder chronische Symptomatik. Die häufigste initiale Symptomatik sind Schwierigkeiten beim Sprechen und Schlucken (Verdacht auf M. Wilson).
  • Neurodegenerative Symptome und Zeichen einer Bindegewebserkrankung bei Säuglingen und Kleinkindern (Verdacht auf Menkes Erkrankung).

18.7.2 Bestimmungsmethode

Immunoassay, immunnephelometrische und immunturbidimetrische Verfahren.

18.7.3 Untersuchungsmaterial

Serum: 1 ml

18.7.4 Referenzbereich

Siehe Lit. /3, 4/ und Tab. 18.7-1 – Referenzbereiche von Cp

18.7.5 Bewertung

Von klinischer Bedeutung ist nur die Verminderung der Konzentration von Cp im Serum. Bei Beurteilung des Cp-Werts müssen aber Krankheiten und Zustände berücksichtigt werden, bei denen es zur Erhöhung des Cp kommen kann und die eine Verminderung der Konzentration maskieren können.

18.7.5.1 Erhöhung der Konzentration von Cp

Erhöhungen der Cp-Konzentration bis zum 3-fachen des oberen Referenzbereichswerts können im Rahmen der Akute-Phase Reaktion bei Entzündungen, insbesondere bei bakteriellen Infektionen, auftreten. In der Serum-Protein-Elektrophorese kommt es zu einer Erhöhung der α2-Globulinfraktion.

Die Einnahme von oralen Kontrazeptiva oder in der Menopause von Östrogenen führt, in Abhängigkeit von der Dosis, zu einer 20–30 %igen Erhöhung von Cp im Serum. In der Schwangerschaft kann Cp bis zum Dreifachen erhöht sein.

18.7.5.2 Verminderung der Konzentration von Cp

Krankheiten, die mit einer Verminderung von Cp im Serum einhergehen können, sind der M. Wilson, der nutritive Kupfermangel, die Menkes Erkrankung und weitere neurologische Erkrankungen, die durch Kupfer bedingt sind /5/.

18.7.5.3 Morbus Wilson (Wilson’s disease; WD)

WD (primärer Cu-Überschuss) kann als Erkrankung der Leber, als neurologische Störung oder als psychiatrische Erkrankung klinisch auffällig werden. WD ist unbehandelt unerbittlich progressiv. Es handelt sich um eine autosomal rezessive Störung des Kupferstoffwechsels mit Beladung von Hepatozyten, Iris und der Nieren mit Cu. Es liegt eine verzögerte Cu-Ausscheidung in die Galle vor und der Einbau von Cu in Cp ist gestört. Die meisten Patienten präsentieren sich mit vorwiegend hepatischer oder neurologisch -psychiatrischer Symptomatik. Letztere kann mit einer symptomatischen oder asymptomatischen Leberbeteiligung einhergehen. Es liegt eine Störung im Wilson-Gen ATP7B vor, dass die Cu-transportierende ATPase im Hepatozyten kodiert /6/.

Lebererkrankung bei WD

Bei Kindern kann der hepatische WD sich von der Fettleber bis zur Leberzirrhose manifestieren.

Klinische Befunde: Die akute Erkrankung wird durch eine schwere Störung der Gerinnung, eine hepatische Enzephalopathie und eine intravaskuläre Hämolyse auffällig.

Laborbefunde: Das Enzymmuster der Leber zeigt moderate Erhöhungen von ALT, AST und AP und eine Progression zur Niereninsuffizienz. Der Quotient des Anstiegs von AP/Total-Bilirubin ist < 4 und der Quotient AST/ALT > 2,2. Insgesamt haben diese Quotienten eine 100 prozentige Sensitivität und Spezifität zur Diagnose der akuten Lebererkrankung bei WD.

Neurologische Störungen bei WD

Die Störungen umfassen entweder eine vermehrte Bewegung mit Tremor und Dystonie oder die Bewegung ist vermindert, vergleichbar der Parkinson’schen Rigidität /6/.

Psychiatrische Störungen bei WD

Die Symptomatik ist stark variabel, aber geläufig ist die Depression /6/.

Laborbefunde zur Diagnostik der WD / 6,  7/

  • Coeruloplasmin im Serum: Konzentrationen von 11–14 mg/dl sind beschrieben, Konzentration < 5 mg/dl sind streng verdächtig auf die WD.
  • Ausscheidung von Cu im Urin innerhalb von 24 h: > 40 mg
  • Kayser-Fleischer Kornealring
  • Hepatische parenchymale Cu-Menge: > 250 μg/g Trockengewicht
  • ATP7B-Mutationen: Mehr als 500 ATP7B-Mutationen sind beschrieben. Meist handelt es sich um Missense Mutationen, kleine Deletionen oder Insertionen in der kodierenden Region oder um Spleiß-Mutationen /8/. Bei Kaukasiern in Europa und Nordamerika ist die Punktmutationen H1069Q die häufigste Mutation von ATP7B und 50–80 % der WD-Patienten haben mindestens ein H1069Q Allel.

Mutationen, die auf einem komplett fehlenden oder nicht funktionierende ATP7B Protein beruhen, resultieren in einer frühen, typisch schweren hepatischen WD. Diese Mutationen sind aber eher selten /8/. Siehe auch Tab. 18.7-2 – Häufige Mutationen von ATB7B.

Sichere Genotyp-Phenotyp Korrelationen für andere Mutationen von ATP7B zeigen kein klares Bild. In einer Studie /9/ wurden Mutationen in beiden Chromosomen bei 57 % der WD-Patienten diagnostiziert. Etwa 15 % der Patienten zeigten keine Mutation, was auf nicht detektierte Mutationen in der Promoterregion und Exonen, die nicht analysiert wurden, zurückgeführt wird.

Es besteht eine Assoziation zwischen der Präsenz der ATP7B H1069Q-Mutation, der Häufigkeit neurologischer Symptomatik und dem Alter. So zeigten WD-Patienten mit der Mutation H1069Q in homozygoter, heterozygoter Ausprägung und ohne Mutation /10/:

  • Eine neurologische Symptomatik zu jeweils 63 %, 43 % und 15 %.
  • Ein mittleres Alter von jeweils 20,9 und 15,9 und 12,6 Jahren.

In einer anderen Untersuchung /9/ hatten WD-Patienten mit neurologischer Symptomatik ein Alter von 20,2 ± 10,8 Jahren und die mit hepatischen Beschwerden 15,5 ± 9,6 Jahre. Die Diagnosestellung bei den Patienten mit neurologischer Symptomatik dauerte 44,4 Monate, bei denen mit Hepatopathie 14,4 Monate /11/.

Prävalenz des M. Wilson

Ergebnisse einer Studie /12/ weisen auf einen unerwartet hohen Anteil (etwa 1 : 40) von ATP7B heterozygoten Mutationsträgern hin, was einer Prävalenz von 1 : 7.000 der WD in der Bevölkerung Großbritanniens entspricht.

Vorgehensweise bei Verdacht auf M. Wilson

Der Nachweis der WD beruht auf der richtigen Zuordnung einiger für die Hepatitis und neurologischen Verlaufsformen klinischen Symptomatik und auf Laboruntersuchungen. In einer retrospektiven Untersuchung /10/ bei 173 Patienten mit WD im mittleren Alter von 17 J. mit vorwiegender hepatischer Symptomatik und im mittleren Alter vom 24 J. mit vorwiegend neurologischer Symptomatik zum Zeitpunkt der Diagnose wurden die in Tab. 18.7-3 – Häufigkeit positiver Befunde bei M. Wilson-Patienten gezeigten Häufigkeiten diagnostischer Parameter gefunden.

Das Spektrum der Laboruntersuchungen nach den Empfehlungen der American Association for the Study of Liver Diseases (AASLD) ist aufgeführt in Tab. 18.7-4 – Diagnose des M. Wilson nach den AASLD Leitlinien.

Einen diagnostischen Algorithmus /1/ zeigt Abb. 18.7-1 – Ablauf zur Diagnostik des M. Wilson bei Patienten mit nicht erklärbarer Lebererkrankung.

Kein labordiagnostischer Parameter allein beweist eine WD oder schließt sie aus. Die genetische Diagnostik von Mutationen erfasst bei Totalsequenzierung nicht das gesamte Gen und auch die Bestimmung des Cu-Gehaltes der Leber hinterlässt Zweifel bei nicht eindeutig erhöhten Werten /2/.

Das Spektrum der Krankheit umfasst die Erkrankung der Leber und eine neurologische Symptomatik. Alle Kinder, die in früher Kindheit eine genetisch festgestellte WD haben, zeigen eine hepatische Symptomatik. Neurologische Symptome des WD treten gewöhnlich bei Erwachsenen in der zweiten und dritten Dekade auf.

Die AASLD (die führende Organisation von Wissenschaftlern und Fachleuten des Gesundheitswesens, die sich für die Prävention und Heilung von Lebererkrankungen einsetzen) empfiehlt einen Verdacht auf M. Wilson zu haben wenn /3/:

  • Im Kindesalter das klinische Bild einer autoimmunen Hepatitis besteht.
  • Erwachsene eine atypische autoimmune Hepatitis haben oder diese schlecht auf eine Therapie mit Kortikosteroiden ansprechen.
  • Patienten eine nicht alkoholische Fettlebererkrankung haben oder aber auf diese hinweisende Befunde.
  • Ein akutes Leberversagen mit Coombs negativer Hämolyse und niedriger alkalischer Phosphatase vorliegt.

Ein Scoring System zur Diagnostik der WD, erstellt auf dem internationalen WD Meeting in Leipzig 2001 ist gezeigt in Tab. 18.7-5 – Scoring-System zur Diagnostik des Wilson Erkrankung.

Die Erkrankung der WD und anderer Leiden, die mit einer Verminderung der Cp-Konzentration einhergehen ist aufgeführt in Tab. 18.7-6 – Erkrankungen, die mit einem Coeruloplasmin-Mangel einhergehen können.

18.7.6 Hinweise und Störungen

Bestimmungsmethode

Cp ist ein labiles Protein und wird im Serum und während der Bestimmung leicht fragmentiert. Die Immunnephelometrie und Immunturbidimetrie sind weniger von diesem Problem betroffen als die radiale Immundiffusion /3/. Die Bestimmung von Cu im Serum und Urin sollte mit dem Verfahren der Atomabsorption erfolgen.

Stabilität

Lagerung bei 4 °C, falls die Bestimmung innerhalb von 3–4 Tagen erfolgt. Längerfristige Lagerung nur tiefgefroren /3/.

18.7.7 Pathophysiologie

Die Bevölkerung der Industrienationen nimmt täglich 5 mg Cu mit der Nahrung über den oberen Gastrointestinaltrakt auf. Da viele Nahrungsmittel reich an Cu sind, gibt es praktisch keinen Cu-Mangel. Über den Portalkreislauf wird Cu in 4 h von der Leber aufgenommen und innerhalb von 24 Std. erscheinen 6–8 % Cu an Cp gebunden im Plasma (siehe auch Beitrag 10.4 – Kupfer).

Cp ist ein Glykoprotein des MG von 132 kD und hat einen Kohlenhydratanteil von etwa 9 %. Das Cp-Molekül hat 6 Cu-Atome gebunden.

Cp wird im Hepatozyten als ApoCp gebildet, die Cu-Atome werden posttranslational inkorporiert und dann die Kohlenhydrat Seitenketten gebunden.

Der Einbau von Cu-Atomen in ApoCp erfolgt vermittels der P1-Typ-ATPase (ATP7B). Die Cu-Atome im Cp sind vorwiegend im Cu(II) Status. Der Eintritt von Cu-Atomen vermittels des CTR1-Rezeptors in die Zelle ist nicht der begrenzende Schritt für die zelluläre Aufnahme von Cu. Es scheint wahrscheinlich, dass eine Reduktase erforderlich ist, die Cu(I) für die Aufnahme generiert /14/.

ApoCp hat intra- und extrazellulär nur eine Halbwertszeit von wenigen Stunden im Vergleich zu 4 Tagen von Cp.

Die Homöostase des Organismus von Cu ist kritisch, da die Leber das einzige Organ ist, das enteral absorbiertes Cu wieder eliminiert. Dies geschieht durch Ausscheidung in die Galle. Jedes überschüssig aufgenommene Atom Cu wird wieder ausgeschieden, so dass der Cu-Pool des Organismus konstant bleibt /9/. Da Cu in die Galle als nicht absorbierbarer Komplex ausgeschieden wird, unterliegt es keinem enterohepatischen Kreislauf.

Die physiologischen Funktionen von Cp sind:

  • Regulation des Transports, der Verfügbarkeit und des Redoxpotentials von Eisen (Fe) auf Grund seiner Ferrooxidaseaktivität. Wird Funktionseisen für die Erythropoese benötigt, erfolgt die Freisetzung von Fe3+ aus Ferritin durch Reduktion zu Fe2+. Da aber das Transportprotein Transferrin nur Fe3+ binden kann, wird Fe2+ sofort von Cp zu Fe3+ oxidiert. Auch alles von der Darmschleimhaut resorbierte Fe2+ wird bei Übertritt in die Zirkulation zu Fe3+ von Hephaestin oder Cp oxidiert vor der Bindung an Transferrin.
  • Verhinderung der Metallionen-katalysierten Oxidation von Membranlipiden. Die Oxidation soll viele Krankheitszustände wie Atherosklerose oder Neurotoxizität mit verursachen. Cp reagiert entweder direkt mit den Superoxidanionen oder oxidiert Fe2+ oder Cu2+ und verhindert so deren katalytische Wirkung zur Lipidoxidation und Schädigung von Zellstrukturen /3/.

In Abwesenheit von divalenten Kationen oder bei saurem pH wird Cp paradoxerweise vom Antioxidanz zum Oxidanz. So soll es bedeutsam sein bei der Monozyten/Makrophagen induzierten Oxidation von LDL. Somit könnte bei Monozyten/Makrophagen-Stimulation vermehrt gebildetes Cp die Atherosklerose fördern.

Die Hepatozyten spielen eine entscheidende Rolle im Cu-Stoffwechsel des Organismus. Über das intrazelluläre Cu-Transportprotein ATP7B reguliert der Hepatozyt die Cu-Aufnahme, denn nach Bindung von Cu an den Transporter ATP7B vermittelt dieser:

  • Die Bindung von Cu an Cp.
  • Nach der Sättigung des Cp mit Cu die Cu-Ausscheidung in die Galle.

Beim M. Wilson ist die Cu-Balance der Zelle gestört durch eine Mutations bedingte Fehlfunktion des Cu-Transporters ATP7B. Es resultiert eine intrazelluläre Cu-Anreicherung und wenn alles Metallothionein im Cytoplasma und Cp gesättigt sind, wirkt das freie Cu toxisch. Folgen dieser toxischen Wirkungen sind mitochondriale Strukturveränderungen, DNA-Synthesestörungen, eine veränderte Proteinsynthese und die Verminderung von Glutathion. Die gesamten Vorgänge können zur Nekrose des Hepatozyten und der Freisetzung von Cu führen. Da diese Vorgänge bei den meisten Patienten langsam ablaufen, bleibt die Erkrankung klinisch oft inapparent.

Beim M. Wilson kann die Leber Apo-Cp bilden, aber es findet kein Einbau des Cu in das Cp-Molekül statt und Cu lagert sich primär in den Hepatozyten und sekundär in anderen Geweben ab. Vor dem 5. Lj. werden keine klinischen Manifestationen gefunden. Diese entwickeln sich gewöhnlich um das 15. Lj.

Folgende Phasen des Verlaufs eines M. Wilson werden unterschieden /12/:

  • Cu-Akkumulation; das Cu reichert sich diffus im Zytosol des Hepatozyten an. Der Cu-Gehalt der Leber ist erhöht, die Aminotransferasen sind normal oder nur leicht erhöht und werden oft nur zufällig erhöht gefunden bei klinisch asymptomatischen Patienten.
  • Cu-Umverteilung. Es ist eine kritische Schwelle der Cu-Akkumulation im Cytosol erreicht und es erfolgt die Umverteilung von Cu in die Lysosomen. Dabei wird auch Cu ins Plasma abgegeben. Bei den meisten Patienten erfolgt die Umverteilung langsam und sie bleibt klinisch inapparent. Bei einigen ist die Umverteilung rasch und es wird viel Cu ins Plasma abgegeben. Es resultiert eine chronisch aktive Hepatitis, die im Leberversagen enden kann. Ursache der Hepatitis oder des Leberversagens sind eine intravasale Hämolyse auf Grund der Freisetzung großer Mengen Cu in das Plasma und toxisch bedingte hepatozelluläre Nekrosen. Differentialdiagnostisch bedeutsam ist beim Leberversagen des M. Wilson eine relativ zum Bilirubin nur gering erhöhte ALT, der Quotient AST/ALT ist über 2 und die AP ist eher erniedrigt /14/.
  • Entwicklung einer Leberfibrose und Anreicherung von Cu in extrahepatischen Organen.

Patienten, bei denen die Cu-Umverteilung im Hepatozyten klinisch inapparent verläuft, zeigen histologisch schon früh Zellkernveränderungen der periportalen Hepatozyten und eine Steatosis ähnlich der alkoholischen Fettleber. Es erfolgt dann die Entwicklung einer Leberfibrose bis hin zur Zirrhose. Unter den extrahepatischen Veränderungen dominieren neurologische. Am Auge manifestiert sich der Kayser-Fleischer-Cornealring. Auf Grund einer Splenomegalie hat ein Teil der Patienten eine Leuko- und Thrombozytopenie.

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18.8 Haptoglobin und Hämopexin: Hämolyse

Lothar Thomas

Extrazelluläres Hämoglobin (Hb) und Zell-freies Häm sind toxische Produkte hämolysierter Erythrozyten. Die Leber synthetisiert die Scavenger-Proteine Haptoglobin (Hp), das extrazelluläres Hb bindet und Hämopexin (Hx), das extrazelluläres Häm bindet.

Hp bindet Hb unter Bildung des groß molekularen Hp-Hb-Komplexes. Gebunden als Komplex bleibt Hb innerhalb des Gefäßsystems und ein Übertritt in die interstitielle Flüssigkeit wird verhindert. Die Entfernung der Hp-Hb-Komplexe aus dem Gefäßsystem erfolgt durch Bindung an den Rezeptor CD163, der vorwiegend auf den Makrophagen von Milz und Leber lokalisiert ist /1/.

Die Bindung von Häm an Hx hemmt die prooxidativen und proinflammatorischen Wirkungen von zellfreiem Häm und begünstigt die Rezeptor vermittelte Aufnahme von Häm durch die Leber und die Milz /2/.

18.8.1 Indikation

Haptoglobin

Diagnostik und Verlaufsbeurteilung hämolytischer Erkrankungen.

Hämopexin

Genetische und nicht-genetische Erkrankungen, z.B. Sepsis, Sichelzellanämie, hämolytisch urämisches Syndrom, hämolytische Schübe bei Malaria und Dengue /3/.

18.8.2 Bestimmungsmethode

Quantitative Bestimmung

Immunnephelometrie, Immunturbidimetrie. Prinzip siehe Beitrag 18.1 – Plasmaprotein-Diagnostik.

Hp-Subtypisierung

Polyacrylamidgel-Elektrophorese, Isoelektrofokussierung.

18.8.3 Untersuchungsmaterial

Serum: 1 ml

18.8.4 Referenzbereich

Siehe Lit. /4, 5, 6/ und Tab. 18.8-1 – Referenzbereiche für Haptoglobin und Hämopexin.

18.8.5 Bewertung

Diagnostische Aussagekraft haben erniedrigte und erhöhte Konzentrationen von Hp, sowie der Hp-Phänotyp. Erniedrigte Werte sind der Indikator einer in vivo Hämolyse. Erhöhte Konzentrationen im Serum beruhen meist auf der Akute-Phase Funktion des Hp und kommen bei Entzündungen, Infektionen und Autoimmunopathien vor. Bestimmte Hp-Phänotypen sind Risikofaktoren systemischer Erkrankungen.

Hx ist im Serum weitaus weniger häufig verändert als Hp, und zwar fast meist im Sinne der Verminderung bei Hämolysen stärkeren Ausmaßes. Hx wird gewöhnlich bei schweren hämolytischen Reaktionen bestimmt

Erhöhungen von Hx sind selten und klinisch nur beim Melanom bedeutsam.

18.8.5.1 Haptoglobin

Hämolytische Reaktion

Die Konzentration von Hp im Serum ist vom Hp-Typ der jeweiligen Person abhängig. Die Allelfrequenzen (HP1 und HP2) sind weltweit sehr different /7/. So variiert die Häufigkeit der Frequenz von HP1 um 7 % in Teilen von Indien und um 70 % in Teilen Westafrikas. Die Häufigkeit Frequenz von HP1 in Europa schwankt zwischen 31 und 40 %,und zwischen 20 und 40 % bei Asiaten. Die Häufigkeit von HP1 in Nordamerika beträgt bei den Kaukasiern 41 %, bei den Schwarzen 52 % und bei den Asiaten und Orientalen 31 %.

Die Verteilung der Phänotypen von Hp in Süddeutschland ist für Hp 1-1 14 %, Hp 2-1 48 % und für Hp 2-2 38 % /8/.

Da die Phänotypen von Hp mit einer unterschiedlichen Konzentration von Hp im Serum assoziiert sind, ist der Referenzbereich des Hp sehr breit. Es ist deshalb ohne elektrophoretische Phänotypisierung und Anwendung des Phänotyp-spezifischen Referenzbereichs nicht möglich:

  • Leichte chronische Hämolysen zu erkennen.
  • Den Schweregrad einer hämolytischen Reaktion allein durch die Hp-Konzentration abzuschätzen.

Normale Konzentrationen von Hp sind trotz leichter hämolytischer Reaktion zu erwarten, wenn durch eine gleichzeitig vorliegende entzündliche Erkrankung die Synthese des Hp als Akute-Phase Protein vermehrt ist. Das ist der Fall, wenn auch das C-reaktive Protein (CRP) erhöht ist. Deshalb sollte zur Diagnostik einer hämolytischen Reaktion vermittels der Hp-Bestimmung zusätzlich auch die Bestimmung des CRP durchgeführt werden (Tab. 18.8-2 – Beurteilung von Haptoglobin in Kombination mit C-reaktivem Protein).

Untersuchungen zur Diagnose und Verlaufsbeurteilung hämolytischer Erkrankungen sind aufgeführt in Tab. 18.8-3 – Untersuchungen zur Diagnostik und Verlaufsbeurteilung hämolytischer Anämien.

Eine Klassifizierung von hämolytischer Anämien ist aufgeführt. in Tab. 18.8-4 – Klassifikation hämolytischer Anämien.

Das Verhalten von Hp bei Hämolyse und die Assoziation verschiedener Hp-Haplotypen mit Erkrankungen sind dargestellt in Tab. 18.8-5 – Haptoglobin bei Hämolyse und Haptoglobin-Haplotyp assoziierte Erkrankungen.

Weitere Erkrankungen mit einer Hp-Verminderung

  • Akute und chronische Lebererkrankungen.
  • Malabsorptions Syndrom.
  • Angeborene Hp-Verminderung, z.B. bei 30 % der Schwarzen in Nigeria, 1/1.000 bei Kaukasiern.

Erkrankungen mit erhöhter Hp-Konzentration

  • Akute-Phase Reaktion, z.B. akute und chronisch-aktive Entzündungen, akute Gewebenekrosen, maligne Tumoren.
  • Intra- und extrahepatische Cholestase, Morbus Hodgkin, nephrotisches Syndrom, rheumatoide Arthritis, Eisenmangelanämie.
  • Neosynthese unbekannter Ursache wie das multiple Myelom und die Amyloidose /9/.

18.8.5.2 Hämopexin (Hx)

Die Hx-Konzentration im Serum ist erniedrigt, wenn auf Grund stärkerer Hämolyse die Hp-Konzentration auf nicht messbare Werte abgefallen ist. Gebunden werden Hämderivate nur, wenn deren Konzentration im Serum 6 mg/l überschreitet.

Hx verschwindet auch bei starker Hämolyse nie vollständig aus dem Serum /10/. Hx und Hp funktionieren gestaffelt, zuerst ist Hp vermindert, dann Hx. Ursachen eines abweichenden Verhaltens sind aufgeführt in Tab. 18.8-6 – Ursachen eines abweichenden Verhaltens von Hp und Hx.

Neugeborene haben eine Hx-Konzentration von etwa 20 % des Erwachsenenwerts, die Hx-Konzentration ist kein Kriterium zur Abschätzung der hämolytischen Reaktion in der Neonatalperiode /11/.

Zur Beurteilung des Ausmaßes der Hämolyse ist Hx besser geeignet als Hp. Folgende Fakten sprechen für die Bestimmung von Hx:

  • Hp ist zu empfindlich, ist vom Hp-Phänotyp abhängig und auch bei schwacher bis mäßiger Hämolyse schon deutlich erniedrigt.
  • Als Akute-Phase Protein nimmt Hp bei entzündlichen Geschehen zu und kann dadurch eine hämolytische Reaktion maskieren.
  • Hx ist auch bei massiver Hämolyse noch messbar.

Erniedrigungen von Hx ohne hämolytische Reaktion

  • Chronische Lebererkrankung.
  • Porphyria cutanea tarda.
  • Malabsorptions Syndrom.

Erkrankungen mit erhöhtem Hx

Schnell wachsende Melanome verursachen einen zum Tumorwachstum korrelierbaren Anstieg des Hämopexins. Bei erfolgreicher Behandlung kehren die Werte in den Referenzbereich zurück /12/.

18.8.5.3 Häm induzierte oxidative Modifikation von Hämopexin

Entzündungen in Kombination mit Erkrankungen und Verletzungen, die mit einer deutlichen Hämolyse einhergehen, sind assoziiert mit oxidativem Stress, getriggert durch Häm vermittelte Reaktionen. Die Konzentration und Funktion vieler Plasmaproteine ist in einer solchen Situation vermindert durch oxidative Reaktionen, bedingt durch reaktive Oxygen Spezies (ROS). Häm-Hx-Komplexe sind nicht anfällig für ROS. Die Bindung von Häm an Hx schützt vor der Toxizität des Häms bei hämolytischen Ereignissen, der Sepsis und der Sichelzellerkrankung. Die Verminderung von freiem Häm durch Bildung von Häm-Hx Komplexen vermindert die Häm induzierte inflammatorische Reaktion.

Apo-Hx wird durch reaktive Nitrogen Spezies (RNS) und ROS, die kovalent mit Aminosäuren reagieren, geschädigt. Es wird angenommen, dass bei einer Inflammation Apo-Hx in weniger durchbluteten Regionen des Organismus, die RNS und ROS bildende Immunzellen und Endothelzellen enthalten, verändert wird, so dass es seine antioxidative Funktion nicht mehr erfüllen kann. Die Ursache soll eine Nitrierung der Bindungsstelle von Hx für die Bindung von Häm sein /3/.

18.8.6 Hinweise und Störungen

Bestimmungsmethode

Bei der radialen Immundiffusion haben Hp 2-1 und Hp 2-2 langsamere Diffusionsraten als Hp 1-1, da sie stärker polymerisiert sind.

Referenzbereich

Die Konzentration von Hp steigt von der Geburt, bis etwa zum 40. Lj. kontinuierlich an. Frauen haben höhere Werte als Männer.

18.8.7 Pathophysiologie

Haptoglobin

Das Gen HP existiert in zwei allelen Formen HP1 und HP2 und somit gibt es drei Proteine (Hp-Phänotypen) Hp 1-1, Hp 2-1 und Hp 2-2. Die Phänotypen zeigen weltweit eine differente Verbreitung, wahrscheinlich die Folge einer genetischen Drift und natürlichen Selektion /13/.

Das Protein Hp ist ein Glykoprotein, bestehend aus vier Polypeptidketten, zwei leichten α-Ketten und zwei schweren β-Ketten. Für die α-Kette besteht ein genetischer Polymorphismus, die Synthese wird durch die beiden zuvor genannten Allele kodiert. Über einen β-Ketten-Polymorphismus ist wenig bekannt. Die Struktur der Hp-Moleküle zeigt Abb. 18.8-1 – Struktur von Haptoglobin.

Hp bindet Oxy-Hb, Met-Hb, isolierte Hb-α-Ketten, α/β-Dimere und Häm freies HbH, nicht jedoch desoxygeniertes Hb, Häm, HbH, isolierte Hb-β-Ketten oder Myoglobin. Seine physiologische Funktion ist die Verhinderung eines renalen Hb- und damit Eisenverlusts, da im Vergleich zum Hb der Hp-Hb-Komplex wegen seines hohen Molekulargewichts glomerulär nicht filtriert wird /14/. Hp wird primär von der Leber exprimiert, aber auch von Lungen, Nieren, Milz, Thymus und Herz gebildet.

Jede Verkürzung der Lebenszeit von Erythrozyten führt zur gesteigerten Hämolyse. Der Ort der Lyse hängt sowohl vom Ausmaß des hämolytischen Prozesses als auch vom Schädigungsmodus des einzelnen Erythrozyten ab /15/. Im Plasma binden, abhängig vom Phänotyp, 1,5 mg Hp etwa 1 mg Hb. Die Clearance des Hp-Hb-Komplexes durch das retikulo-endotheliale System beträgt etwa 15 mg pro 100 ml Plasma und Stunde. Fällt mehr Hb an, als Hp von der Leber synthetisiert wird, sinkt die Hp-Konzentration ab, der sensitivste Indikator einer Hämolyse. Bei Leberparenchymschäden mit reduzierter Syntheseleistung kommt es frühzeitig zu einer Hp-Erniedrigung. Laufen gleichzeitig entzündliche Vorgänge ab, reagiert Hp als Akute-Phase Protein und trotz eines milden hämolytischen Prozesses wird auf Grund einer erhöhten Syntheserate der gesteigerte Hp-Verbrauch kompensiert, so dass der Serumwert im Referenzbereich bleibt.

Elimination von freiem Hämoglobin (fHb) durch Hp

Bei intravaskulärer Hämolyse mit dem Wechsel von Zell-gebundenen Hb zum freien Hb (fHb) ändert Hb auch seine Funktion. Vom O2/CO2-Transporter wird es zu einer hoch toxischen Substanz.

Die negativen Wirkungen von fHb resultieren aus /13/:

  • Der Toxizität des Eisens im Häm, das mit H2O2 unter Bildung toxischer Radikale reagiert.
  • Der Potenz ein Fänger von NO zu sein unter Bildung einer irreversiblen Verbindung von Met-Hb und Nitrat. NO ist ein Signalmolekül und reguliert die Relaxation der glatten Muskulatur, die Expression endothelialer Adhäsionsmoleküle und die Aktivierung und Aggregation von Thrombozyten. Durch die Präsenz von fHb ist die biologische Aktivität von NO vermindert. Daraus können pathologische Vorgänge resultieren wie Dystonie der glatten Muskulatur, endotheliale Dysfunktion und Thrombosierungen. So besteht bei 50 % der Sichelzell-Patienten eine endotheliale Dysfunktion auf Grund der beständigen Präsenz von fHb.

Die Wirkungen von fHb werden durch die Bindung an Hp neutralisiert. Der Hb-Hp-Komplex wird an den Rezeptor CD 163 der Makrophagen gebunden und internalisiert (Abb. 18.8-2 – Verwertung von Eisen aus dem Haptoglobin-Hämoglobin-Komplex). Im Makrophagen wird der Globinanteil des Hb in den Lysosomen degradiert während Häm im Zytosol durch die Hämoxygenase 1 zu Fe2+, CO und Biliverdin abgebaut wird. Fe2+ induziert die Synthese von Apoferritin in das Fe2+ nach Oxidation zu Fe3+eingebaut wird. Fe2+ wird somit an der Bildung von reaktiven Sauerstoffspezies über die Fenton-Reaktion gehindert.

Bei schweren Hämolysen (extrakorporale Zirkulation, Sichelzellanämie) ist der Hp-CD163 Mechanismus mit der Entsorgung von Hb überlastet und fHb und Häm sind im Plasma präsent. Beide verursachen einen Hämolyse assoziierten inflammatorischen Status, charakterisiert durch eine toxische Zellschädigung durch reaktive Sauerstoff Spezies (ROS) und reaktive Stickstoff Spezies (RNS). Etwa 50 % der Patienten mit Sichelzellanämie haben eine endotheliale Dysfunktion bedingt durch die konstante Anwesenheit von fHb und Häm .

Bei inflammatorischen Zuständen wird die Synthese von Hp und CD163 durch Interleukin-6 hochreguliert zur Steigerung der Entsorgungskapazität für fHb.

Während Hp nicht an CD163 bindet, ist das bei fHb mit niedriger Affinität der Fall. Voraussetzung ist, dass fHb nicht durch H2O2 oxidiert wurde /16/. Ist Hb an Hp gebunden, kann es nicht mehr oxidiert werden, da es geschützt ist. Im Unterschied zur hochaffinen Ca2+-abhängigen Bindung des Hp-Hb-Komplexes an CD163 ist die niedrigaffine Bindung von nicht oxidiertem fHb ein Weg zur Hb-Entsorgung bei hoher Konzentration von fHb.

Zwischen den Hp-Phänotypen bestehen Unterschiede in der Funktionalität der Entsorgung von fHb, auch was die Interaktion mit CD163 betrifft. Das Vermögen eines Schutzes gegen die fHb vermittelte Oxidation soll beim Phänotyp Hp 1-1 besser sein als bei Hp 2-2. Das könnte eine Erklärung für die unterschiedlich mit den Hp-Haplotypen assoziierten Erkrankungen sein.

Elimination von freiem Hämoglobin (fHb) durch Hx und Albumin

Bei erschöpfter Hp-Bindungskapazität tritt im Plasma fHb auf. Dies wird entweder oxidiert zu Met-Hb und dissoziiert dann in den Häm- und Globinanteil oder die Oxidation des Häm findet nach der Dissoziation statt. In beiden Fällen liegen Hämatinderivate mit Fe3+ vor, die mit hoher Affinität an Hx und mit niedrigerer an Albumin gebunden werden (Abb. 18.8-3 – Intravasaler Hämoglobin- und Hämatintransport bei Hp-Überschuss und Hp-Mangel). Albumin wird erst bei der Freisetzung großer Hb-Mengen in Anspruch genommen, es färbt dann das Serum als Methämalbumin kaffeebraun. Albumin transportiert, wie Hx, die Hämatinderivate in das retikuloendotheliale System. Erfolgt bei der Zerstörung der Erythrozyten eine direkte enzymatische Abspaltung des Häm vom Hb, wie z.B. bei der hämorrhagischen Pankreatitis, findet vorwiegend ein Verbrauch von Hx statt, Hp kann unbeeinflusst bleiben.

Die Oxidation des Hb zu Met-Hb und der weitere Abbau erfolgen durch das retikuloendotheliale System. Der Nachweis von Met-Hb im Plasma ist immer das Zeichen einer massiven Hämolyse.

Freies Plasma-Hb wird mit einer Clearancerate von 5 ml/min glomerulär filtriert. Im proximalen Tubulus wird Hb reabsorbiert und das aus dem Hb frei werdende Hämeisen als Ferritin und Hämosiderin gespeichert und wieder verwertet. Kommt es auf Grund deutlicher Hämolyse zu einer Überladung der Tubulusepithelien, degenerieren diese, schilfern ab und erscheinen als Hämosiderin beladene, mit der Berliner-Blau-Reaktion anfärbbare Epithelien, im Urin. Hämosiderinurie ist deshalb ein wertvolles Indiz akuter und chronischer Hämolysen stärkeren Ausmaßes.

Eine Hämoglobinurie tritt auf, wenn auf Grund massiver Hämolyse die tubuläre Reabsorptionskapazität erschöpft ist.

Hämopexin

Hx hat ein MG von 80 kD und wird wie Hp, in der Leber gebildet. Während Hb ausschließlich von Hp gebunden wird, erfolgt die Bindung von Häm und Hämderivaten nur durch Hx und Albumin. Hx hat eine hohe Affinität zu Häm und Hämderivaten und entfernt diese aus dem Plasma nach der Spaltung von Hb in den Häm- und den Globinanteil. Hx spricht erst bei stärkerer Hämolyse an, und zwar dann, wenn kein Hp mehr verfügbar ist. Hx ist kein Akute-Phase Protein. Ein Mangel an Hx entwickelt sich z.B. bei Patienten mit Sepsis in lebensbedrohlichen Situationen.

Bei Erkrankungen, die mit einer Inflammation einhergehen, steigt die Konzentration von Hx im Serum an und es besteht eine erhöhte Aktivität der NO-Oxidase und ein oxidativer Stress. In solchen Zuständen ist Hx einer erhöhten Konzentration von ROS und RNS ausgesetzt und es wird vermutet, dass die erhöhte Konzentration von modifiziertem Hx eine physiologische Antwort auf eine Schädigung von Funktionen ist, bei denen Hx funktionell ist, z.B. die Bindung von Häm an Hx-Rezeptoren der Gefäße und Gewebe. Die protektive extrazelluläre Funktion von Hx ist bei einer durch Hämüberschuss getriggerten Inflammation vermindert. Denn das Vermögen von apo-Hx zur Bindung von Häm ist vermindert durch die Wirkung von RNS, die eine Nitrierung von Tyrosinresten im Peptid YYCFQGNQFLR der Bindungsstelle für Häm verursachen /3/.

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18.9 Immunglobuline (Ig)

Lothar Thomas

Immun kompetente Personen haben ein erworbenes Immunsystem, das in zwei funktionell miteinander kooperierende, unabhängige Einheiten unterteilt wird:

  • Das Thymus (T)-abhängige System; es besteht aus einer heterogenen Gruppe von Zellen, die ihre Funktion in der Immunregulation und der Elimination von Antigenen haben. Das T-System ist primär für die zelluläre Immunität verantwortlich.
  • Das Bursa (B)- oder Knochenmark-abhängige System; es besteht aus B-Zellen, von denen einige nach einem antigenen Stimulus zu Plasmazellen differenzieren und dann Ig synthetisieren.

Bei den Ig handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Proteinen mit Antikörperfunktion. Ihre Bildung ist eine adaptive Antwort auf die antigene Struktur, die von ihnen gebunden werden soll. Die Struktur der Antikörperbindungsstelle wird, entsprechend der Konfiguration des Antigens, mit dem der Antikörper reagiert, passend synthetisiert.

Die Ig haben folgende Effektorfunktionen:

  • Nach der Bindung von Antigen phagozytosefähige Immunkomplexe zu bilden.
  • An Membranrezeptoren von Immunzellen zu binden und diese zu aktivieren.
  • Mit Plasmaproteinen, z.B. Komplementkomponenten, zu reagieren und diese zur Elimination des Antigens zu aktivieren.

18.9.1 Struktur und Funktion der Ig

Ig haben eine gemeinsame Grundstruktur, bestehend aus zwei schweren (H-) und zwei leichten (L-)Ketten (Abb. 18.9-1 – T-Form des IgG-Moleküls in freier Lösung und V-Form bei Antigenbindung). Die Ketten sind durch Disulfidbrücken miteinander verbunden. Die aminoterminalen Enden der leichten und schweren Kette des Ig-Moleküls bilden die variable Region. In dieser Region unterscheiden sich die Ig in der Aminosäuresequenz, denn sie ist für die Spezifität gegenüber einer antigenen Determinanten verantwortlich. Innerhalb der variablen Region gibt es weniger und stark variable Bereiche der Aminosäuresequenz. Die stark variablen Bereiche werden auch hypervariable Regionen bezeichnet /12/.

Die schweren Ketten des Ig-Moleküls bestehen aus einer variablen und einer konstanten Region. Jede der beiden Polypeptidketten besitzt mehrere globuläre Regionen, auch Domänen genannt, mit beträchtlicher Homologie der Aminosäuren.

Die N-terminale Domäne der H- und L-Ketten enthält eine variable Aminosäuresequenz (V-Region), die für die Antigenspezifität verantwortlich ist. Die N-terminalen Aminosäuren der V-Region bilden eine funktionelle Tasche, in die das Epitop des Antigens hineinpasst. Es besteht eine Komplementarität der Oberflächen von Antigenbindungsstelle und Epitop, so dass Vertiefungen des einen durch Ausbuchtungen des anderen ausgefüllt werden. Die Komplementarität besteht physikalisch und chemisch. Die Kontakte von Bindungsstelle und Epitop umfassen van der Waal’sche Kräfte, Bindungen über Wasserstoffbrücken zwischen polaren Gruppen und Ionenpaar Bindungen zwischen unterschiedlich geladenen Seitenketten /45/.

Die konstanten Regionen der Schwerketten besitzen Domänen (CH-Regionen), die gewisse strukturelle und antigene Unterschiede haben und auf Grund derer eine Unterscheidung in Ig-Subklassen möglich ist.

Die Domänen haben z.B. bei den Molekülen der Klasse IgG folgende Funktionen /45/:

  • Die erste (CH1) und die zweite Domäne (CH2) bilden die Hinge (Scharnier)-Region. Durch diese Region kann das Ig-Molekül von der T-Form, in der es sich in Lösung befindet, in die V-Form bei Antigenbindung übergehen.
  • Die CH2-Domäne bindet das Komplementprotein C1q, das den klassischen Weg des Komplement-Systems aktiviert.
  • Die dritte Domäne CH3 vermittelt die Bindung des Fc-Stücks an den Fc-Rezeptor von Immunzellen wie Granulozyten, Monozyten/Makrophagen und Antigen-dependent cytotoxic cells (ADCC-Zellen).
  • Die Kombination von CH2 und CH3 soll als weitere Domäne die Bindung des IgG-Moleküls auf Granulozyten und NK-Zellen bewirken.

Papain spaltet das Ig-Molekül in drei Fragmente:

  • Zwei identische Fab-Fragmente, bestehend aus der kompletten L-Kette, der variablen Region und eines Teils der konstanten Region der H-Kette.
  • Ein Fragment, bestehend aus der konstanten Region der beiden über Disulfidbrücken verbundenen Schwerketten. Da dieses Fragment kristallisiert, wird es auch als Fc-Fragment (Fragment crystallizable) bezeichnet.

Siehe Abb. 18.9-1 – T-Form des IgG-Moleküls in freier Lösung und V-Form bei Antigenbindung.

18.9.1.1 Leicht (L)-Ketten

Unterschieden werden der die Typen der L-Ketten Kappa und Lambda. Jedes Ig-Molekül hat entweder zwei Kappa- oder zwei Lambda-L-Ketten, da B-Zellen nur einen L-Ketten-Typ bilden können. Die L-Ketten haben ein MG von etwa 22 kD und bestehen aus einer aminoterminalen variablen und einer carboxyterminalen konstanten Region. Durch ein Cysteinmolekül in der konstanten Region ist über eine Disulfidbrücke die L-Kette mit einem Cysteinmolekül der Schwerkette verbunden. Bei den IgG-Molekülen werden ungefähr doppelt so viele Kappa-Typen als Lambda-Typen gebildet. L-Ketten eines Typs, die auf Grund maligner Entartung der B-Zelle nicht an Schwerketten gebunden und dann frei sezerniert werden, bezeichnet man als monoklonale freie Leichtketten und wenn sie im Urin nachweisbar sind als Bence-Jones Protein. Auf Grund der Cysteinmoleküle neigen freie Leichtketten zur Dimerisierung.

Polyklonal gebildete freie Leichtketten sind vom Typ Kappa und Lambda, werden gemeinsam vermehrt im Serum und Harn z.B. bei verstärkter Antikörperbildung nachgewiesen wie das z.B. bei Infektionskrankheiten der Fall ist.

18.9.1.2 Schwer (Heavy, H)-Ketten

Die Struktur der H-Ketten ist bestimmend für die Klasse eines Ig-Moleküls. Die Unterschiede der einzelnen Ig-Klassen betreffen ihre Aminosäuresequenz, das Molekulargewicht, den Kohlenhydratanteil, die Antigenität, die allotypische Heterogenität und die elektrophoretische Beweglichkeit. Unterschieden werden 5 Haupt-Ig-Klassen. Jedes Molekül hat jeweils zwei identische H-Ketten: IgG hat γ-Schwerketten, IgA α-Schwerketten, IgM μ-Schwerketten, IgD δ-Schwerketten und IgE ε-Schwerketten.

18.9.1.3 J-Kette

Die J-Kette ist ein Peptid zur Verbindung von zwei Ig-Molekülen der gleichen Klasse (Verbindungsstück). Die Ig der Klassen M und A zeigen einen Polymorphismus. IgM kommt vorwiegend als Pentamer, IgA als Dimer vor. Die Verbindung von IgM-Monomeren und IgA-Monomeren untereinander erfolgt jeweils nur durch eine J-Kette. J-Ketten sind Glykoproteine des MG von 15 kD und binden über Disulfidbrücken nahe dem carboxyterminalen Ende der Schwerketten (Abb. 18.9-2 – Struktur der Immunglobuline).

18.9.1.4 Sekretorische Komponente

Das sekretorische IgA, das von den Plasmazellen des Respirations-, Urogenital- und Gastrointestinaltrakts gebildet und in die Sekrete abgegeben wird, enthält als Dimer ein Sekretstück, es schützt das Ig-Molekül vor der Degradation durch Peptidasen (Abb. 18.9-2– Struktur der Immunglobuline). Das Sekretstück ist ein Glykoprotein des MG von 60 kD. Das dimere IgA wird erst bei Durchdringen der Epithelschicht an die sekretorische Komponente gebunden, die von den Epithelzellen gebildet wird. Bei Mangel an sekretorischem IgA ist die sekretorische Komponente nachweisbar.

18.9.1.5 Heterogenität der Antikörper

Die Heterogenität der Antikörper kann in eine isotypische, allotypische und idiotypische Variation unterteilt werden.

Isotypische Variation

Isotypen der Ig haben die gleichen konstanten Domänen. Isotypische Variationen sind die Unterschiede in den H-Klassen, L-Typen und Domänen, die bei allen Gesunden einer Spezies vorliegen. Die Synthese der Isotypen wird von Genen kodiert, die bei allen Menschen vorhanden sind.

Allotypische Variation

Es handelt sich um die Allel-bedingte Variation der Ig innerhalb einer Spezies. Allotypen kommen meist als Varianten der konstanten Regionen der H-Ketten vor. So ist z.B. der Gm-Faktor für die Regulation der konstanten Region der H-Ketten von IgG verantwortlich. Mehr als 25 verschiedene Gm (Genetic marker)-Allotypen sind bekannt. Die allotypischen Varianten sind oft das Ergebnis eines Austauschs von Aminosäure in den H-Ketten.

Idiotypische Variation

Idiotypen haben die gleichen variablen Domänen. Die idiotypische Variation betrifft die Diversität an der Antigenbindungsstelle. Das von einem Plasmazellklon gebildete Ig ist normalerweise vollkommen identisch, also von einem einheitlichem Idiotyp. Eine Änderung, z.B. ein Aminosäureaustausch in der variablen Region der Antigenbindungsstelle, kann zur idiotypischen Variation führen. Die Antikörper unterscheiden sich selbst dann, wenn sie dem gleichen Isotyp und Allotyp angehören. Wahrscheinlich sind viele monoklonale Ig idiotypische Variationen.

18.9.2 Ig-Klassen

Im Serum Gesunder sind die Ig-Klassen IgG, IgA, IgM, IgD und IgE in abnehmender Konzentration vorhanden /1, 2, 3/. Innerhalb der IgG-Klasse werden die Subklassen IgG1, IgG2, IgG3 und IgG4 differenziert, in der Klasse IgA die Subklassen IgA1 und IgA2 und in der Klasse IgM die Subklassen IgM1 und IgM2.

Die physikochemischen und biologischen Eigenschaften der einzelnen Ig-Klassen sind aufgeführt in Tab. 18.9-1 – Physikochemische und biologische Eigenschaften der Ig-Klassen.

18.9.2.1 IgG-Antikörper

IgG besteht aus zwei identischen H-Ketten mit einem MG von etwa 50 kD und zwei identische L-Ketten des MG von etwa 22 kD. IgG sind bei Erstinfektion (primäre Antikörperantwort) gewöhnlich die Zweitantikörper und die Erstantikörper bei wiederholter Infektion mit dem gleichen Erreger (sekundäre Antikörperantwort). Etwa die Hälfte des IgG im Organismus ist im Plasma, die andere Hälfte ist in den Körperflüssigkeiten verteilt. In der Serumprotein-Elektrophorese wandert IgG in der γ-Globulinfraktion, wobei unter Standardbedingungen die Subklassen IgG2 und IgG4 anodisch und IgG1 und IgG3 kathodisch wandern. Das fetale IgG entstammt dem mütterlichen Blut und hat in den ersten 20 SSW eine Konzentration, die etwa 10 % derjenigen der Mutter entspricht.

Infektionen des Feten in dieser Zeit bewirken keinen IgG-Anstieg. In der SSW 22–28 nimmt die Permeabilität der Plazenta stark zu, so dass ab dieser Zeit die fetale IgG-Konzentration der mütterlichen entspricht. Während die Konzentrationen an IgG1, IgG3 und IgG4 gleich sind, ist die fetale IgG2-Konzentration niedriger als die mütterliche. Nach der Entbindung wird das mütterliche IgG mit einer Halbwertszeit von etwa 30 Tagen vom Kind katabolisiert, so dass die Konzentration im Monat 3–4 nur noch 3,5–4,0 g/l beträgt. Durch Start der kindlichen IgG-Synthese steigt dann die IgG-Konzentration im Serum langsam an, erreicht am Ende des 1. Lj. eine Konzentration von 7–8 g/l und vor dem 16. Lj. die Erwachsenenwerte (Abb. 18.9-3 – Verhalten der Ig-Konzentration in der Fetalzeit und im Kindesalter/2/.

Die Synthese der IgG-Subklassen im Verlaufe einer Immunantwort ist von der Natur der Antigene, ihrer Eintrittspforte und der Dauer der Antigenexposition abhängig. So ist die Antikörperantwort gerichtet gegen:

  • Proteinantigene, wie Bakterien und Viren, geprägt durch IgG1 und IgG3 und CD4+T-Zell vermittelt.
  • Polysaccharidantigene, z.B. bekapselte Bakterien wie S. pneumoniae, Gruppe A-Streptokokken, aber auch H. influenzae, vorwiegend IgG2- und teilweise IgG1-gebunden und nicht CD4+T-Zell-vermittelt.
  • Polyvalente Antigene, wie Schlangengift, Parasiten, Insekten und Nahrungsmittel, bei chronischer Antigenstimulation geprägt von IgG4. Die Antikörper binden, vergleichbar den IgE-Antikörpern, an Zellmembran-Rezeptoren von Mastzellen.
  • Native DNA, gebunden an IgG1- und IgG3-Autoantikörper.
  • Spender spezifische HLA-Antigene vermittelt durch IgG3 (Spender spezifische HLA-Antikörper bei Abstoßung eines transplantierten Organs).

Die Antwort der IgG-Subklassen kann durch Interleukine reguliert und moduliert werden, auch spielt die Ausstattung der Geweberegion mit Subpopulationen von B-Zellen eine Rolle. So dominieren im Blut beim Gesunden B-Zellen mit zytoplasmatischem IgG1 und IgG2, in den Tonsillen dagegen B-Zellen mit IgG1 und IgG3.

Das Fc-Stück des IgG-Moleküls hat durch Bindung an die Fc-Rezeptoren von Immunzellen eine wichtige Bedeutung in der Immunabwehr. Das Fc-Stück vermittelt:

  • Die Aufnahme von Bakterien, die mit IgG-Molekülen beladen sind, durch Makrophagen. Das Fc-Stück der IgG-Moleküle wird von den Fc-Rezeptoren des Makrophagen gebunden und das Bakterium in Form des Mechanismus eines Reißverschlusses vom Makrophagen umflossen und inkorporiert.
  • Die Clearance von IgG-haltigen Immunkomplexen nach eben geschildertem Mechanismus.
  • Die Antikörper abhängige zytotoxische Reaktion durch Effektorzellen wie Monozyten, Makrophagen, Granulozyten und Lymphozyten. Diese Zellen tragen Fc-Rezeptoren, an die das Fc-Stück der IgG beladenen Zielzelle bindet. Diese wird dann zerstört.

Der Katabolismus des IgG ist proportional der Konzentration im Plasma, also hoch bei hoher und gering bei niedriger Konzentration von IgG. So kann die Halbwertszeit bei niedriger IgG-Synthese 70 Tage betragen und bei hoher auf 11 Tage verkürzt sein.

18.9.2.2 IgM-Antikörper

IgM zirkuliert im Serum als Pentamer, MG 971 kD und besteht aus fünf Monomeren, die kovalent über Disulfidbrücken verknüpft und durch fünf Verbindungsstücke (J-Ketten) miteinander verbunden sind. Auch zirkulieren kleine Mengen von Monomeren und Hexameren. Jede μ-Kette enthält eine V-Region und vier C-Regionen.

IgM im Serum wird nach dem Ursprung in zwei Typen differenziert, in Antikörper, die prä-immun und somit spontan gebildet werden, die sogenannten natürlichen IgM-Antikörper und diejenigen, die nach Stimulation durch ein exogenes Antigen produziert werden, die Immunantikörper /3/.

Die größte Konzentration von IgM im Serum ist prä-immun gebildet. Die zwei wesentlichen Kriterien dieser Antikörper sind Poly- und Autoreaktivität. Sie reagieren mit den Epitopen genetisch konservierter Strukturen von Mikroben und Selbstantigenen. Die Bildung natürlicher IgM scheint durch Stimulation und Interaktion mit Selbstantigenen in Gang zu kommen. Zusätzlich zur Abwehr von Mikroben spielt natürliches IgM eine wichtige Rolle in der Homeostase der Immunabwehr und schützt vor den Folgen von Entzündung und Autoimmunität /3/.

Das immune IgM ist der erste Antikörper, der nach einer Immunantwort auf ein exogenes Antigen sezerniert wird. Naive B-Zellen führen nach Kontakt mit einem Antigen eine klonale Expansion und Differenzierung durch und bilden Immunglobuline.

Etwa 75–80 % des IgM befinden sich intravaskulär. In der Serumprotein-Elektrophorese wandern IgM von IgM zwischen der γ- und der β-Region. Auf Grund leichter Unterschiede in der μ-Kette werden zwei IgM-Subklassen unterschieden. Das pentamere IgM-Molekül hat zwar zehn Antigenbindungsstellen, auf Grund sterischer Hinderung können aber nur fünf genutzt werden. Durch SH-Gruppen-spaltende Reagenzien kann das pentamere IgM in Monomere zerlegt werden.

Neben dem pentameren und monomeren IgM gibt es in den Körpersekreten gleich dem IgA ein sekretorisches IgM mit Sekretstück. Die wesentlichen Aufgaben des IgM in der Infektabwehr sind die Agglutination von Erregern und die Aktivierung des klassischen Komplementwegs.

Mütterliches IgM passiert nicht die Plazentaschranke. Der gesunde Fetus und das Neugeborene haben eine IgM-Konzentration, die etwa 10 % des Erwachsenenwerts beträgt und vom Fetus selbst gebildet wird.

Nach der Geburt nimmt die Synthese von IgM stark zu, 50 % des Erwachsenenwerts werden nach 4 Lebensmonaten erreicht und der Erwachsenenwert im Lj. 8–15 (Abb. 18.9-3 – Verhalten der Ig-Konzentration in der Fetalzeit und im Kindesalter). Der Fetus kann ab der 20. SSW eigenständig IgM in größeren Mengen bilden. Eine intrauterine Infektion kann deshalb einen stärkeren Anstieg von IgM bewirken und Werte über 0,2 g/l im Nabelschnurblut sind ein Kriterium, das auf eine solche Infektion hinweist.

Zur Klasse IgM gehören die natürlichen Antikörper, wie die AB0-Blutgruppen Isohämagglutinine, Kälteagglutinine (Anti-i, Anti-I), heterophile Antikörper, saline Antikörper gegen Blutgruppenmerkmale, aber auch Antikörper gegen IgG, z.B. Rheumafaktoren.

Die Katabolisierung von IgM ist von der Konzentration im Serum unabhängig.

18.9.2.3 IgA-Antikörper

IgA-Antikörper kommen im Serum vor(Serum-IgA) und als sekretorisches IgA vor.

Serum-IgA

Etwa 90 % des IgA liegen als Monomer, mit einem MG von 160 kD vor, etwa 10 % in polymerer Form. Serum-IgA tendiert zur Komplexbildung, insbesondere mit Albumin, aber auch mit Enzymen unter Bildung von Makroenzymen. Etwa die Hälfte des Serum-IgA ist intravaskulär und kommt in zwei Subklassen vor, das Verhältnis IgA1/IgA2 ist 9/1. In der Serumprotein-Elektrophorese wandert IgA im kathodischen Teil der β- und im anodischen Teil der γ-Globulinfraktion.

Da IgA die Plazentaschranke nicht passiert, ist es im fetalen Blut auch nicht vorhanden. Nach der Geburt wird IgA langsam gebildet, am Ende des 1. Lj. hat das Kleinkind etwa 25 %, mit 3,5 Jahren etwa 50 % und am Ende des 16. Lj. 100 % des Werts Erwachsener (Abb. 18.9-3 – Verhalten der Ig-Konzentration in der Fetalzeit und im Kindesalter). Die Funktion des Serum-IgA ist nicht näher bekannt, es aktiviert Komplement über den alternativen Weg und besitzt spezifische Antikörperfunktionen. Die Katabolisierung von IgA ist unabhängig von der Serumkonzentration.

Sekretorisches IgA (sIgA)

Sekretorisches IgA besteht aus einer Einheit von zwei IgA-Molekülen, die durch eine J-Kette verbunden sind und ein Sekretstück haben (Abb. 18.9-2 – Struktur der Immunglobuline). Es wird von Plasmazellen gebildet, die in der Lamina propria der Schleimhäute gelegen sind. Das sIgA wird unabhängig vom Serum-IgA synthetisiert, ein Mangel von Serum-IgA bedeutet deshalb nicht zwangsläufig, dass auch sIgA fehlt. Das sIgA ist das vorwiegende Ig der Körpersekrete, wie Speichel, Tränen, Kolostrum, Nasenschleim, Tracheobronchial-Schleim, gastrointestinaler Sekrete und der Muttermilch. Das Neugeborene und der Säugling werden über die Muttermilch mit IgA versorgt und sind so gegenüber gastrointestinalen Infektionen passiv immunisiert. Wesentliche Aufgaben des sIgA sind die Bindung von Mikroorganismen auf den Schleimhäuten, die Aktivierung des alternativen Komplementwegs und die Aktivierung von Entzündungsreaktionen. In den epithelialen Zellen soll IgA intrazelluläre Mikroorganismen neutralisieren. In der Lamia properia der Schleimhaut bindet IgA Antigene in Form von Immunkomplexen und präsentiert sie auf der Schleimhaut. Dadurch wird eine Überladung der Zirkulation mit Immunkomplexen vermieden. Beim sIgA-Mangel werden gehäuft Infektionender Schleimhäute, Atopien und Autoimmunerkrankungen diagnostiziert.

18.9.2.4 IgD-Antikörper

IgD hat einen hohen Kohlenhydratanteil mit vielen Oligosaccharidketten. Die beiden δ-Ketten werden nur durch eine Disulfitbrücke zusammengehalten und die Hinge-Region ist reich an Lysin und Glutaminsäure, eine Ursache der leichten Proteolyse des Moleküls.

IgD-Antikörper liegen gemeinsam mit IgM-Antikörpern auf der Zellmembran von B-Zellen als Antigenrezeptoren vor. IgD wird im Nabelschnurblut nicht oder nur in geringer Konzentration nachgewiesen, im Alter von 2–5 Jahren werden die Werte Erwachsener erreicht.

Die Verteilung von IgD im Körper entspricht derjenigen von IgM. Die genaue Funktion ist unbekannt, es sollen aber Antikörper gegen Zellkernbestandteile (ANA), Insulin und Penicillin der Klasse D zugehörig sein. Die Katabolisierung von IgD ist umso langsamer, je höher die Serumkonzentration ist, IgD verhält sich also invers zur IgG-Katabolisierung.

18.9.2.5 IgE-Antikörper

Die ε-Schwerkette hat wie die μ-Kette des IgM fünf Domänen und besitzt ein MG von 72,5 kD. IgE bindet über die Domänen Cε3 und Cε4 an Mastzellen und basophile Granulozyten. Zur Bindung besitzen diese Zellen den hochaffinen Rezeptor FcεRI. Die Bindung an Monozyten, Lymphozyten und eosinophile Granulozyten erfolgt an deren niedrig affinen Rezeptor Fcε RII oder CD23.

IgE-Antikörper werden auch als Reagine bezeichnet. Die Verteilung im Körper entspricht derjenigen von IgA, der Katabolismus ist mit einer Halbwertszeit von 2,5 Tagen hoch. Die IgE-Konzentration im Serum repräsentiert nicht die effektive Menge an IgE des Organismus, da IgE bevorzugt regional im Respirationstrakt, dem Gastrointestinaltrakt und den Lymphknoten gebildet wird. Auf Grund der Affinität zu Mastzellen ist ein Teil des IgE an korrespondierende Rezeptoren gebunden.

Typ-I-Hypersensitivitätsreaktion vom Soforttyp sind IgE-Antikörper vermittelt. Durch harmlose polyvalente Antigene, wie z.B. Pollen oder Hausstaubmilbe, werden B-Zellen der Schleimhäute an der Eintrittspforte unter Vermittlung von CD4+T-Zellen zur Bildung von spezifischem IgE angeregt. IgE bindet über Fc-Rezeptoren an Mastzellen, die nun sensibilisiert sind. Beim nächsten Kontakt des polyvalenten Antigens mit der sensibilisierten Mastzelle werden gebundene IgE-Antikörper kreuzvernetzt, die Zelle degranuliert und Mediatoren werden freigesetzt, die Erkrankungen wie Heuschnupfen, Asthma und atopischem Ekzem hervorrufen.

18.9.3 Quantitative Bestimmung von Immunglobulinen

IgG, IgA, IgM, IgD

Immunnephelometrie, Immunturbidimetrie, radiale Immundiffusion /6/.

IgE

Immunologische Verfahren als Enzym-, Fluoreszenz- oder Lumineszenz-Immunoassay.

IgG-Subklassen

Radiale Immundiffusion mit polyklonalen Antikörpern oder Immunoassays, vorwiegend unter Anwendung monoklonaler Antikörper. Siehe Beitrag 18.11 – Kryoglobuline und Kryofibrinogen.

IgM im Nabelschnurblut

Latex-Agglutinationstest zur Schnellbestimmung von IgM; die Latexpartikel sind mit Anti-IgM beschichtet.

Sekretorisches IgA (sIgA)

Radiale Immundiffusion, Raketen-Immunelektrophorese, Radio- und Enzymimmunoassay /7/.

Bei Bestimmung von sIgA im Speichel mit der radialen Immundiffusion und Anwendung von LC-Partigen-Platten, die Antiserum gegen Serum-IgA enthalten, werden zum Ausgleich des Molekulargewichts die Messwerte mit 3,25 multipliziert. Empfohlen wird eine reduzierende Vorbehandlung des Speichels mit Dithiotreitol /8/.

18.9.3.1 Untersuchungsmaterial

  • IgG, IgA, IgM, IgD, IgE: Serum, Körperflüssigkeiten: 1 ml
  • IgG-Subklassen: Wie bei IgG.
  • Sekretorisches IgA: Speichel, Tränenflüssigkeit, Darmsaft bzw. Stuhl.

Ist bei Neugeborenen eine Bestimmung der Immunglobuline vorgesehen, sollte die Gewinnung von möglichst viel Nabelschnurblut angestrebt werden.

18.9.3.2 Referenzbereich

Siehe Lit. /1/ und Tab. 18.9-2 – Referenzintervalle für IgG ,IgA und IgM

IgD im Serum: 0,03–0,14 g/l /9/

IgE im Serum: Unter 0,24 mg/l (100 KU/l)

  • 1 U IgE = 2,4 ng

IgA-sekretorisch im Speichel /7/: 0,08–0,20 g/l.

18.9.3.3 Bewertung

Veränderungen der Ig-Konzentration im Serum werden klassifiziert in /2/:

  • Hypogammaglobulinämien, die mit einer Vielfalt von Erkrankungen assoziiert sein können. Die Verminderung der Ig-Konzentration kann bedingt sein durch die verminderte Synthese, den vermehrten Verlust oder den Hyperkatabolismus von Ig sowie eine Kombination der Ursachen.
  • Polyklonale Gammopathien, die auf der Vermehrung von Antikörpern mehrerer oder einer Ig-Klasse beruhen können. Das Spektrum der Erkrankungen, die eine polyklonale Gammopathie verursachen, ist weit und umfasst z.B. Infektionen, chronische Lebererkrankungen, Kollagenkrankheiten.
  • Monoklonale Gammopathien, sie werden durch einen schmalen Gradienten in der γ-Globulinfraktion der Serumprotein-Elektrophorese erkannt. Die monoklonalen Gradienten beruhen auf der exzessiven Proliferation eines B-Zellklons, der Ig einer Klasse und eines Typs bildet. Siehe Kapitel 22 – Monoklonale Plasmazell-proliferative Erkrankungen).
18.9.3.3.1 Hypogammaglobulinämie

Bei einer Hypogammagloblinämie sollten erfolgen:

  • Untersuchungen zur Bestimmung des Ausmaßes des Antikörpermangels durch die quantitative Bestimmung von Ig der einzelnen Klassen und Subklassen.
  • Weiterführende Untersuchungen zur Differenzierung des Antikörpermangels. Siehe Kapitel 21 – Immunsystem.

Ausmaß des Antikörpermangels

Folgende Befunde können vorliegen:

  • Eine oder alle Ig-Klassen oder Ig-Subklassen fehlen oder sind stark erniedrigt.
  • Die Ig einer Ig-Klasse oder Ig-Subklasse sind gegenüber Gesunden (gleiche Altersgruppe) erniedrigt.
  • Die Ig der Ig-Klassen und einiger Ig-Subklassen sind normal, es besteht aber das Unvermögen der Antikörperantwort innerhalb einer bestimmten Subklasse. So kann z.B. ein selektiver Antikörper-Synthesedefekt in der IgG2-Subklasse gegenüber dem Pneumokokken-Polysaccharid vorliegen.

Zum Verhalten der Ig beim primären Immunmangel siehe Kapitel 21 – Immunsystem.

Das Verhalten der Ig beim sekundären Immunmangel ist dargestellt in Tab. 18.9-3 – Laborbefunde beim sekundären Immunglobulin-Mangel.

Die Verminderung der Ig-Konzentration im Serum durch einen Hyperkatabolismus tritt bei hypermetabolischen Zuständen auf. Ein solcher liegt z.B. bei der Hyperthyreose vor; er kann mit der Verminderung der Ig aller Ig-Klassen einhergehen. Auch bei der myotonen Dystrophie sind die Ig im Serum vermindert auf Grund einer verkürzten Halbwertszeit. Selten führen auch Antikörper gegen Ig zu einer beschleunigten Elimination von Ig aus der Zirkulation.

18.9.3.3.2 Poly- und oligoklonale Gammopathie

Bei Einstrom von Antigenen in den Organismus erfolgt durch klonale Selektion die Aktivierung derjenigen B-Zellen, zu deren Antigenrezeptoren das Antigen eine hohe Affinität hat. Gewöhnlich werden bei Erstkontakt des Immunsystems mit einem solchen Antigen mehrere B-Zellen in unterschiedlichem Ausmaß aktiviert. Sie proliferieren und reifen zu Antikörper produzierenden Plasmazellklonen /2/.

Durch eine Infektion mit einem komplexen Antigenen, z.B. Mikroorganismus, werden auf Grund von dessen Prozessierung durch Monozyten/Makrophagen viele Antigene gebildet und den B-Zellen angeboten. Es erfolgt die Selektion mehrerer T-Zell stimulierter B-Zellen, die klonal proliferieren und Antigen spezifische Ig bilden. Die Folge ist eine polyklonale Immunantwort.

Polyklonale Immunantwort

Die polyklonale Immunantwort führt im Serum zur Vermehrung von Ig einer oder mehrerer Ig-Klassen und beider Ig-Typen. In der Serumprotein-Elektrophorese wird eine breitbasige Vermehrung der γ-Globulinfraktion gefunden.

Oligoklonale Immunantwort

Die oligoklonale Immunantwort resultiert aus Aktivierung einer begrenzten Anzahl von B-Zellklonen, auch als begrenzte Heterogenität bezeichnet. Ursachen können sein: Die Natur des Antigens, eine mangelnde Reaktivität des Immunsystems oder der Kontakt des Antigens mit Geweben, die arm an immun kompetenten Zellen sind, wie das zentrale Nervensystem.

Diagnostik poly- oder oligoklonaler Ig-Vermehrung

Die Diagnostik poly- oder oligoklonaler Ig-Vermehrung erfolgt durch die Serumprotein-Elektrophorese, differenzierter vermittels der quantitativen Bestimmung der Ig-Klassen oder Ig-Subklassen oder im Liquor cerebrospinalis durch Isoelektrofokussierung mit anschließender Immunfixation.

Bei Erkrankungen, die eine Hypergammaglobulinämie verursachen, gibt die quantitative Ig-Bestimmung im Zusammenhang mit dem klinischen Bild, serologischen und klinisch chemischen Befunden Hinweise zur Diagnose, Differentialdiagnose, Verlaufsbeurteilung und Prognose.

Das ist z.B. der Fall bei:

  • Akuter und chronischer Infektion.
  • Lebererkrankung.
  • Erkrankung des Zentralnervensystems.
  • Intrauteriner und perinataler Infektionen.

Die Indikationen, bei denen die Differenzierung einer Hypergammaglobulinämie durch die quantitative Ig-Bestimmung zur Diagnosestellung einer Erkrankung klinisch sinnvoll ist, sind begrenzt. Gewöhnlich kommt es, insbesondere bei infektiösen Erkrankungen, zur Vermehrung einer oder mehrerer Ig-Klassen mit ähnlichem Ig-Muster /2/. Es gibt kein spezifisches Ig-Muster, das ausschließlich bei einer bestimmten Erkrankung vorkommt und isoliert diagnostische Wertigkeit besitzt. Das Ig-Muster kann jedoch ein wichtiger Ergänzungsbefund sein und in Kombination mit dem klinischen Gesamtbild zur Differentialdiagnose, Verlaufsbeurteilung und Prognose einer Erkrankung beitragen.

18.9.3.3.3 Wert der Immunglobulinbestimmung bei Hypergammaglobulimämie

Differentialdiagnostisch aussagekräftig ist die isolierte polyklonale Vermehrung von Ig einer Klasse oder die relativ stärkere Erhöhung einer Ig-Klasse im Muster der Konzentrationen von IgG, IgA und IgM.

Isolierte Erhöhung von IgM

Sie ist, besonders wenn sie über mehrere Tage besteht, im Zusammenhang mit dem klinischen Bild das Zeichen der Erstinfektion des Organismus mit einem Erreger (Primärreaktion).

Bei Neugeborenen ist die IgM-Erhöhung im Nabelschnurblut als unspezifisches Zeichen einer intrauterin erworbenen Infektion zu werten.

Isolierte IgG-Erhöhung

Sie ist bei einer akuten infektiösen Erkrankung mit normalem oder nur wenig erhöhtem IgM das Zeichen der Sekundärantwort des Immunsystems auf einen schon bekannten Erreger. Chronische Infektionen verursachen vorwiegend eine alleinige IgG-Erhöhung, chronisch-aktive die Erhöhung von IgG, und kurzzeitig von IgM und/oder IgA.

Isolierte IgA-Erhöhung

Bei Lebererkrankungen deutet ein relativ hoher IgA-Anteil oder die isolierte IgA-Erhöhung auf eine toxische Schädigung hin, z.B. Alkohol, orale Kontrazeptiva, Antidepressiva.

Ig-Muster

Bei Erhöhung von zwei und mehr Ig-Klassen hat das Ig-Muster wenig Aussagekraft. Erhöhungen aller drei Ig-Klassen werden gehäuft bei Leberzirrhose gefunden, aus dem Ig-Muster sind begrenzt ätiologische Rückschlüsse auf die Genese einer chronischen Lebererkrankung möglich (Tab. 18.9-4 – Muster von IgG, IgA, IgM bei Lebererkrankungen).

18.9.3.3.4 Beurteilung der Hypergammaglobulinämie

Die Verlaufsbeurteilung eines entzündlichen Geschehens durch die quantitative Ig-Bestimmung sollte anhand des Ig-Musters erfolgen. Persistierend hohe Ig-Werte sprechen für die fortwährende Auseinandersetzung des Organismus mit dem Antigen, der Ig-Abfall für die Überwindung des infektiösen Geschehens und die Normalisierung für die extrazelluläre Elimination des Antigens. Die Höhe der IgG-Konzentration ist ein Maß der Aktivität des entzündlichen Geschehens, insbesondere bei viral bedingten chronischen Lebererkrankungen, chronisch bakteriellen Infektionen, Kollagenosen und anderen Autoimmunopathien. Bei toxischer Leberschädigung besteht eine Korrelation zwischen Intensität der Entzündung und der IgA-Konzentration /10/.

Prognostische Aussagen liefert die Ig-Konzentration, insbesondere von IgM, im Verlaufe infektiöser Organerkrankungen. Die Persistenz erhöhter IgM-Werte, wenn normalerweise ein Abfall erwartet wird, spricht für den Übergang in ein chronisches Geschehen, ein zunehmender IgG-Anstieg für den Übergang in einen chronisch-aktiven Prozess. Bei manchen Infektionen, wie der Borreliose, kann eine jahrelange Persistenz von IgM-Antikörpern bestehen, ohne dass die Patienten klinische Beschwerden aufweisen.

18.9.3.3.5 Screening auf intrauterin erworbene Infektion

Das Neugeborene besitzt durch den diaplazentaren Übertritt von IgG das IgG-Antikörperspektrum der Mutter. Durch Methoden, die nur IgG-Antikörper erfassen, kann eine Infektion des Neugeborenen nicht erkannt werden, denn mütterliche und vom Feten auf Grund einer Infektion gebildete IgG-Antikörper werden nicht unterschieden /11/.

Ab der 20. SSW vermag der Fetus IgM-Antikörper zu bilden und etwa ab der 30. SSW IgA-Antikörper. Von diesem Zeitraum an können intrauterine Infektionen durch Rötelnvirus, Treponema pallidum, Toxoplasma gondii, Cytomegalievirus, Herpes simplex, Windpocken, Mumpsvirus, Masernvirus, Influenzavirus, Hepatitis B-Virus, Parvovirus B19 anhand einer Erhöhung von IgM und/oder IgA im Blut des Neugeborenen erkannt werden. Die Inzidenz der Infektionen bei Neugeborenen beträgt 2–4 % /11/.

Auf Grund der leichten und schnellen Bestimmbarkeit gilt die IgM-Konzentration im Serum des Nabelschnurbluts als Screening-Test. Ein Wert über 0,20 g/l kann auf eine Infektion hinweisend sein.

Ein erheblicher Teil der Fälle mit intrauteriner Infektion bleibt unerkannt, da das Neugeborene klinisch unauffällig ist oder der IgM-Anstieg ungenügend.

Ist IgM erhöht, liegt nur bei einem Drittel der Neugeborenen eine klinische Symptomatik vor. Ursache der geringen diagnostischen Spezifität sind entweder plazentare Lecks oder die Kontamination des Nabelschnurbluts mit mütterlichem Blut. Ist die IgA-Konzentration ebenfalls hoch und sind IgA und IgM bei einer Wiederholungsuntersuchung im kindlichen Blut nach 5 Tagen deutlich abgefallen (Halbwertszeit 5 Tage), so spricht das gegen eine Infektion.

Persistenz oder Anstieg der Werte weisen auf die intrauterine oder eine perinatal erworbene Infektion hin. Dann sollten Infektions-spezifische IgM- oder IgA-Antikörper mit der ELISA-Technik bestimmt werden.

18.9.3.3.6 IgE-Erhöhung

Die Erhöhung von IgE ist ein charakteristisches Merkmal atopischer Erkrankungen (siehe Kapitel 23 – Atopie und Allergie). Erkrankungen mit nicht-atopisch bedingter IgE-Erhöhung zeigt Tab. 18.9-5 – Erhöhungen von IgE bei nicht-atopischen Erkrankungen.

18.9.3.3.7 Oligoklonale Ig-Vermehrung

Nicht selten ist die Ig-Vermehrung auf die Erhöhung bestimmter Antikörperpopulationen begrenzt. Diese können einer oder mehrerer Ig-Klassen oder nur einer Ig-Subklasse angehören, sind aber trotzdem polyklonalen Ursprungs, d.h. sie liegen als Kappa- und Lambda-Leichtkettentyp vor. In der Serumprotein-Elektrophorese auf Zelluloseazetatfolie, häufiger auf Agarose, sind eine oder mehrere diskrete Banden auf dem diffusen Untergrund der γ-Globulinfraktion sichtbar (Sägeblattmuster).

Erkrankungen und Zustände, bei denen es zu einer oligoklonalen Vermehrung von Ig im Serum kommt sind aufgeführt in Tab. 18.9-6 – Ursachen oligoklonaler Ig-Vermehrung.

Oligoklonales Ig im Liquor cerebrospinalis ist abgehandelt in Kapitel 46 – Labordiagnostik neurologischer Erkrankungen.

18.9.3.3.8 Monoklonale Gammopathie

Siehe Beitrag 21.1.3 – Angeborene Immunität.

18.9.3.4 Hinweise und Störungen

Standardisierung und Qualitätskontrolle

Siehe Beitrag 18.1 – Plasmaprotein-Diagnostik.

Bestimmungsmethode

Radiale Immundiffusion: Sie ist relativ störunanfällig, beachtet werden muss das Antigenüberschussphänomen, das an einer unscharfen Randpräzipitation erkannt wird. Aggregierte Ig täuschen eine zu niedrige Ig-Konzentration vor, Ig-Fragmente eine zu hohe.

Immunnephelometrie: Es stören Verunreinigungen die Licht streuen, z.B. Mikrogerinnsel, Zellen aus unzureichend zentrifugierten Proben, Proteinpartikel im Liquor und mikrobielle Verunreinigungen. Grundsätzlich ist bei Proben nach Tiefgefrierung sowie bei Hyperlipoproteinämie mit Problemen zu rechnen. Nephelometer-Analyzer erkennen einen Antigenüberschuss und sind etwa 10-fach empfindlicher als die turbidimetrisch messenden Analysensysteme wenn die Bestimmung nicht mit Latexpartikel verstärkten Reagenzien erfolgt.

Immunturbidimetrie: Die Ig-Bestimmungen an klinisch chemischen Analysensystemen sind anfällig bei Proben mit hoher Eigenabsorption, z.B. hyperbilirubinämische, hämolytische oder hyperlipämische Seren. Leicht wird ein Antigenüberschuss übersehen und zu niedrige Ig-Werte werden bestimmt.

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18.10 Immunglobulin G-Subklassen

Lothar Thomas

Das Immunglobulin G (IgG) hat einen Anteil von 10–20 % an den Plasmaproteinen im Serum. IgG kann in 4 Subklassen differenziert werden, die mit abnehmender Konzentration in die Subklassen IgG1, IgG2, IgG3 und IgG4 unterschieden werden. Obwohl die 4 Subklassen bezugnehmend der Zusammensetzung der Aminosäuren zu etwa 90 % identisch sind hat jede Subklasse ihre eigenen Eigenschaften. Sie betreffen die Antigenbindung, die Bildung von Immunkomplexen, die Bindung von Komplement, den Transport durch die Plazenta, die Halbwertszeit und die Stimulierung von Effektorzellen /12/. Die Unterschiede in den Eigenschaften sind aufgeführt in Tab. 18.10-1 – Eigenschaften der IgG-Subklassen.

18.10.1 Indikation

  • Verdacht auf ein gestörte Immunantwort bei erhöhter Infektanfälligkeit.
  • Kontrolle der Immuntherapie inhalativer Antigene.
  • Verdacht auf und Monitoring der IgG4-related disease.

18.10.2 Untersuchungsmaterial

Serum, Plasma (Heparin, EDTA), Körperflüssigkeiten (Liquor, bronchoalveoläre Lavage): 1 ml

18.10.3 Bestimmungsmethode

Die häufigste Methode zur Bestimmung der IgG-Subklassen ist die Immunnephelometrie. Es gibt im Wesentlichen zwei große Anbieter. Einige Laboratorien bestimmen die IgG-Subklassen mit der LC-MS/MS Methode. Die Methoden sind kalibriert auf ERM-DA470K, das internationale Standardmaterial.

18.10.4 Referenzbereich

Siehe Lit. /3/.

18.10.5 Bewertung

Die Bestimmung der Konzentration der IgG-Subklassen im Serum ermöglicht die Bestimmung eines selektiven IgG-Subklassenmangels und auch die Vermehrung von IgG-Subklassen, z.B. bei der IgG4 assoziierten Erkrankung

18.10.5.1 IgG-Subklassenmangel

Ein IgG-Subklassenmangel liegt vor, wenn die Konzentration einer oder mehrerer IgG-Subklassen unterhalb des Alters bezogenen Referenzbereichs liegt. Der IgG-Subklassenmangel ist im Kindesalter bei Jungen dreimal so häufig wie bei Mädchen. In der Pubertät ändert sich das, so dass bei den Erwachsenen das Verhältnis Frauen/Männer 2 : 4 beträgt. Bei Kindern ist der IgG2-Mangel am häufigsten, bei Erwachsenen der Mangel von IgG1 und IgG3 /5/.

Häufig leiden Patienten mit einem IgG-Subklassenmangel an sich wiederholenden Infektionen der Atemwege /6/. Die Untersuchung der IgG-Subklassen ist deshalb Bestandteil der Diagnostik bei Patienten mit Infektanfälligkeit der Atemwege. Die wichtigsten Erkrankungen mit IgG-Subklassenmangel zeigt Tab. 18.10-3 – Erkrankungen die mit IgG-Subklassenmangel einhergehen. Der IgG-Subklassenmangel kann isoliert vorkommen, aber auch mit anderen Immundefekten assoziiert sein (IgA-, IgM- und Komplement-Mangel, T-Zellstörung, Ataxia teleangiectatica).

Häufiger ist ein bestimmter Gm-Phänotyp mit der niedrigen Konzentration einer IgG-Subklasse assoziiert. Homozygote für G3m(21) weisen sehr niedrige IgG3-Konzentrationen auf /7/. G2m(23)-negative Personen haben niedrige IgG2-Werte und zeigen nach Impfung mit Polysacchariden (Pneumokokken) eine schlechtere Impfantwort als heterozygote Merkmalsträger /8/. Gelegentlich findet sich eine familiäre Häufung.

Erniedrigte Konzentrationen von IgG-Subklassen werden häufig auf Grund von Infektionskrankheiten (Tab. 18.10-3 – Gehäuft mit IgG-Subklassenmangel einhergehende Erkrankungen) diagnostiziert und kommen auch sekundär nach Therapie mit Kortikosteroiden, Sulfasalazin und Carbamazepin vor /910/.

Wie beim IgA-Mangel ist beim IgG-Subklassenmangel ein großer Teil der Patienten klinisch gesund. Besonders bei Kindern liegt häufig eine passagere Erniedrigung (Reifungsverzögerung) des IgG2 vor /11/. Zu Erkrankungen mit IgG-Subklassenmangel siehe Tab. 18.10-4 – Mit IgG-Subklassenverminderung assoziierte Erkrankungen.

Häufige Ursache eines IgG-Subklassenmangels ist ein Regulationsdefekt. Ein Teil der Patienten mit IgG2-Mangel hat eine gestörte Synthese von Interferon /12/. Nur in wenigen Fällen wurden Deletionen auf Chromosom 14 im Bereich des Genclusters für die konstante Region der H-Kette nachge­wiesen /13/.

Weiterführende Untersuchungen bei IgG-Subklassenmangel

Der IgG-Subklassenmangel ist primär als Indikator einer Immunstörung anzusehen /67/. Weitergehende Untersuchungen sind notwendig, um die Funktionalität des Immunsystems zu prüfen und wenn diese gestört ist, die klinische Relevanz zu beurteilen /14/.

So ist:

  • Die spezifische Antikörperbildung gegen Proteine (Tetanus, Diphtherie) in der Regel ungestört.
  • Die Bildung Polysaccharid spezifischer Antikörper z.B. gegen Pneumokokkenantigen bei einem Teil der Patienten eingeschränkt. Der Nachweis natürlich erworbener Polysaccharidantikörper ist wenig hilfreich, die Patienten mit tatsächlicher Störung der spezifischen Immunität zu identifizieren. Empfohlen wird die Impfung gegen Pneumokokken.

Beurteilung der funktionellen Aktivität des Immunsystems nach Impfung mit Pneumokokken

Eine ausreichende Impfantwort liegt vor, wenn der Antikörpertiter gegen Pneumokokken im Globaltest (ELISA, 23-valenter Impfstoff als Antigen) 4–6 Wochen nach Impfung auf über 1.000 U/ml angestiegen ist bzw. wenn in fünf untersuchten Pneumokokkenserotypen eine signifikante Impfantwort (über 1 μg/ml, kalibriert am WHO-Standard 89 SF) nachweisbar ist /15/. Eine ausreichende Impfantwort ist bei der Mehrzahl der Patienten mit IgG2-Subklassenmangel nachweisbar /16, 17/.

Bei einem Impftiter unter 500 U/ml im Globaltest ist in der Regel keine signifikante Impfantwort gegenüber einzelnen Serotypen nachweisbar. Bestätigt sich auch bei der Wiederholungsimpfung ein Titer unter 500 U/ml, so wird ein relevanter IgG-Subklassenmangel mit gestörter Polysaccharid-spezifischer Immunität diagnostiziert, der in Abhängigkeit von der Klinik eine längerfristige Therapie (Antibiotikaprophylaxe oder eine Substitution von Immunglobulinen) benötigt.

18.10.5.2 Erhöhung der IgG-Subklassen

Pathologisch erhöhte IgG-Subklassen treten häufig auf bei chronischer Antigenstimulation wie das bei Infektionen der Fall ist. Siehe weiterführend Tab. 18.10-5 – Erhöhungen von IgG-Subklassen.

18.10.5.3 IgG4 related disease

Die IgG4-related disease (IgG4-RD) wurde ursprünglich als sklerosiende Pankreatitis beschrieben, wird aber jetzt als Typ 1 IgG4-related autoimmune Pankreatitis (AIP) bezeichnet. Weitere Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass eine ganze Reihe von extra pankreatischen Erkrankungen die gleiche Histopathologie zeigen. Das führte zu der Erkenntnis, dass die AIP Teil eines systemischen Geschehens ist /18, 19/. Das Konzept der IgG4-RD ist, das es sich um eine klinische Entität scheinbar nicht miteinander verwandter Zustände handelt, die ein breites Spektrum von Organen einschließt, die folgendes gemeinsam haben /20/:

  • Das Muster einer einheitlichen Histopathologie. Die wesentlichen Kriterien sind eine lympho-plasmatische Infiltration der betroffenen Gewebe, die storiforme (korbgeflechtartige) Fibrose, eine obliterative Phelebitis und eine milde bis moderate Eosinophilie der betroffenen Gewebe.
  • Die Erhöhung von IgG4.

Die Diagnose einer IgG4-RD enthält die gleiche Histopathogie bei verschiedenen Organerkrankungen, z.B. des Pankreas, des Gallengangsystems, der Speicheldrüse, des periorbitalen Gewebes, von Nieren, Lungen, Lymphknoten, Meningen, Aorta, Brust, Prostata Schilddrüse, Perikard und der Haut /20/.

Es gibt keinen Hinweis, dass die IgG4-Autoantikörper, die bisher bei der IgG4-RD beschrieben sind, direkt zur Pathogenese der Erkrankung beitragen. Die Rolle von IgG4 im Krankheitsprozess ist unklar. Die IgG4-RD bewirkt eine Schwellung verursachende Schädigungen. Die Folge ist, dass bei vielen Patienten primär an eine Tumorerkrankung gedacht wird.

Klinisch tritt die IgG4-RD bei den meisten Patienten subakut auf. Stärkeres Fieber oder andere Manifestationen einer systemischen Inflammation, die auf eine Infektion hinweisen könnte, fehlen. Es besteht eine indolente Symptomatik und klinische Beschwerden werden erst nach Monaten oder Jahren evident. Typischerweise kommt der IgG4-RD Patient zum Arzt mit Beschwerden eines Organs, aber die ausführliche Untersuchung zeigt, dass mehrere Organe gleichzeitig involviert sind oder betroffen sein werden. Die IgG4-RD betrifft bevorzugt Männer im mittleren Alter und ältere Männer /18, 20/.

Diagnostik der IgG4-RD

Die Diagnostik der IgG4-RD erfordert eine histopathologische Bestätigung und eine klinische Korrelation. Serologische Ergebnisse sind unspezifisch. Die Akute-Phase Marker Blutsenkungsreaktion und der CRP-Wert können erhöht sein. In etwa 30 % der Fälle bestehen eine leichte Eosinophilie und IgE-Erhöhung, auch haben einige Patienten einen niedrigen Titer von antinukleären Antikörpern. Obwohl die serielle Bestimmung von IgG4 im Serum manchmal nützlich sein kann, sollte sie niemals der Indikator einer Entscheidung zur Therapie sein /18/.

Hohe Werte von IgG4 treten bei 60–70 % der IgG4-RD Patienten auf, typischerweise bei denen mehreren betroffenen Organen. Zu bedenken ist aber, das solche Werte auch bei anderen Erkrankungen auftreten können, z.B. bei systemischer Vaskulitis, Erkrankungen des Bindegewebes, Infektionen und malignen Tumoren /21/. Einige IgG4-RD Patienten haben normale IgG4-Werte trotz histopathologischer und immunhistologischer Gewebebefunde /20/.

Nach Japanischen Studiengruppen ist eine definitive IgG4-RD Diagnose möglich, wenn der Patient folgende Kriterien erfüllt /22, 23/:

  • Erhöhtes IgG4 über 135 mg/dl
  • Histopathologie: IgG4+/IgG+ Zell-Verhältnis über 0,40
  • Schwellung oder Schädigung des betroffenen Organs
  • Histopathologie: Mehr als 10 IgG4-positive Zellen pro Gesichtsfeld bei starker mikroskopischer Vergrößerung
  • Auch bei Fehlen einer IgG4-Erhöhung kann die Diagnose einer IgG4-RD gestellt werden, wenn mehr als 10 IgG4-positive Zellen pro Gesichtsfeld nachgewiesen werden und wenn das IgG4+/IgG+ Zell-Verhältnis über 0,40 ist.

18.10.6 Hinweise und Störungen

Die Summe der einzelnen IgG-Subklassen sollte nicht mehr als 10 % von dem gemessenen Wert des Gesamt-IgG abweichen (Plausibilitätsprüfung). Ist dies bei einer pathologischen Verteilung der IgG-Subklassen nicht der Fall, sollte eine Kontrollbestimmung beider Messgrößen (IgG-Subklassen und Gesamt-IgG) erfolgen.

Bestimmungsmethode

LC-MS/MS sollte die bevorzugte Methode zu Bestimmung von IgG-Subklassen sein. In einer Studie /24/, bei der die Immunnephelometrie zur Bestimmung der Subklassen angewendet wurde, wurden analytische Fehler registriert, die zu einer falsch hohen IgG4-Konzentration führten. Auch war die Summe der individuellen IgG-Klassen höher als das Gesamt-IgG und die IgG4-Konzentration war niedriger als die von IgG2. Unter Anwendung der tryptischen LC-MS/MS Methode als Referenz zur Bestimmung der IgG-Subklassen wurde ein Bias zwischen den jeweiligen immunnephelometrischen Werten und den LC-MS/MS-Werten festgestellt. Diese reflektieren potentiell zwei analytische Begebenheiten, die immunnephelometrisch bedingt sind:

  • Kreuzreaktivität des IgG2 der Probe mit dem IgG2 Reagenz
  • Bestimmung eines Aggregates aus IgG1 und IgG2 der Probe und unspezifische Bindung von IgG4 an das Aggregat (IgG4 entweder gebunden an Ig der Probe oder an Ig des Reagenzes).

In jedem Fall erklären die vermuteten Begebenheiten den IgG4 abhängigen positiven Bias der immunnephelometrisch gemessenen IgG1- und IgG2-Konzentration im Vergleich zu den LC-MS/MS Messungen /24/.

Bei der Immunnephelometrie und Immunturbidimetrie stören lichtstreuende Verunreinigungen, z.B. Mikrogerinnsel, Zellen aus unzureichend zentrifugierten Proben, Lipoproteinpartikel und mikrobielle Verunreinigungen. Grundsätzlich ist bei Proben nach Tiefgefrierung sowie bei Hyperlipoproteinämie mit Problemen zu rechnen.

Referenzbereiche der IgG-Subklassen

Die Referenzbereiche der IgG-Subklassen sind bei Kindern altersabhängig. IgG1 und IgG3 erreichen bis zum 6. Lebensmonat etwa 50 % und im Alter von 3 J. den Wert Erwachsener. IgG2 und IgG4 werden verzögert gebildet und haben im 1. Lj. etwa 25 %, im 3. Lj. etwa 50 % und im 16. Lj. die Konzentration Erwachsener.

Die Subklassen-Assays ergeben unterschiedliche Werte. Während Referenzbereiche von IgG1 und IgG2 von Siemens und The Binding Site vergleichbar sind /25/ besteht ein deutlicher Unterschied bei IgG3 und IgG4 Ursache ist, dass The Binding Site auf das Material ERM-DA470k standardisiert und Siemens auf WHO 67/97, später ersetzt durch Sanquin M1590. Es sollten deshalb immer die Referenzbereiche des jeweiligen Herstellers angewendet werden.

18.10.7 Pathophysiologie

Die Funktion der vier IgG-Subklassen besteht darin, eindringende Pathogene und ihre Produkte zu eliminieren. An diese Funktionen ist die Struktur der Ig adaptiert. Die Ig haben folgende funktionelle Einheiten:

  • Ein Fab-Teil mit variabler Region zum Erkennen des Antigens.
  • Ein Fc-Stück, das die Effekte des Moleküls vermittelt. Das Fc-Stück bindet Komplement und reagiert mit Fcγ-Rezeptoren auf der Oberfläche von Abwehrzellen wie polymorphkernigen Granulozyten und Makrophagen. Eine Inaktivierung und/oder Elimination des Ig-gebundenen Antigens ist die Folge. Die vier IgG-Subklassen haben kein einheitliches Fc-Stück, was Unterschiede in ihrer Funktionalität bedingt /12/.

Die funktionellen Unterschiede der IgG-Subklassen sind folgende (Tab. 18.10-1 – Eigenschaften der IgG-Subklassen):

IgG1

Die Antikörperantwort auf lösliche Membranantigene und Proteine (T-Zell abhängige Antigene, wie z.B. Viren und bakterielle Antigene) ist meist IgG1 vermittelt, meist sind aber auch die Subklassen IgG3 und IgG4 erhöht. Der Mangel an IgG1 ist oft mit wiederholten Infektionen verknüpft

IgG2

T-Zell unabhängige Antigene wie die Polysaccharid-Kapsel- Antigene von H. influenzae und S. pneumonia verursachen vorwiegend eine IgG2 begrenzte Antikörperantwort. Antigene sind z.B. Pneumokokken-Antigen, Teichoinsäuren und Dextran HIB-PrP. Niedrige Konzentrationen von IgG2 kommen oft gemeinsam mit einer Verminderung von IgG4 und/oder IgA1 und IgA2 vor.

IgG3

Diese Antikörper haben eine proinflammatorische Wirkung und induzieren Effektorfunktionen. Verminderte IgG3 Konzentrationen treten vorwiegend gemeinsam mit der Verminderung anderer Subklassen auf.

IgG4

Allergene sind meist gute Induktoren von IgG4 und IgG1 in Kombination mit IgE. Bei nicht infektiösen Zuständen kommt es zu IgG4-Erhöhungen bei wiederholter oder längerzeitiger Antigenexposition. Allergen spezifische Antigene wie Bienengift werden unter einer Hyposensibilisierung vor allem in der IgG4-Subklasse gebildet. Infektionen mit Helmithen oder Filarien können ebenfalls zu einer Erhöhung von IgG4 führen.

Die IgG4-RD ist eine chronisch inflammatorische Erkrankung, die eine Vielzahl von Organen eines Patienten betreffen kann und in der Mehrzahl der Fälle mit einer Erhöhung von IgG4 einhergeht. Molekulares Mimikry wird als eine Ursache angesehen. Die Zielantigene der IgG4-Antikörper scheinen evolutionär konserviert zu sein, denn gereinigtes IgG4 von Patienten, nicht aber von Gesunden lagert sich an Acini oder Pankeasgangzellen an /23/.

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18.11 Kälteagglutinine, Kryoglobuline

Lothar Thomas

In Kälte präzipitierbare Proteine werden in Kälteagglutinine, Kryoglobuline, Kryofibrinogen und Fibronectin enthaltende Komplexe differenziert. Unterhalb der Körpertemperatur mit Erythrozyten reagierende Proteine sind die Kälteagglutinine. Kryoglobuline dürfen nicht mit den Kälteagglutininen verwechselt werden /1/.

Kälteagglutinine /2/

Bei den Kälteagglutininen handelt es sich um Autoantikörper der Klasse IgM, die mit Polysaccharidantigenen roter Blutzellen unterhalb der Körpertemperatur reagieren. Der IgM-Antikörperkomplex aktiviert das klassische Komplementsysten, generiert die C3-Konvertase, die C3 in C3a und C3b spaltet, die dann die Opsonierung und die extravasale Hämolyse in Gang setzen. Bei der Kälteagglutinin-Krankheit ist der direkte Coombs Test negativ für IgG-Antikörper, aber positiv für Fragmente von C3. Bei der Kälteagglutinin-Krankheit ist die Spezifität der Antikörper gerichtet gegen die Merkmale I oder i der Erythrozyten. Signifikant ist ein Titer >  1 : 128 und eine Temperatur, bei der die Erythrozyten agglutinieren (Temperaturamplitude) niedriger als die Raumtemperatur (< 25 °C). Ein niedrigerer Titer oder eine Temperaturamplitude über 25 °C sind klinisch nicht relevant. Patienten mit Kälteagglutininkrankheit haben chronisch eine Anämie, akute hämolytische Krisen, eine Agglutination-bedingte Akrozyanose und eine Tendenz zur Thromboembolie. Die Kälteagglutininkrankheit wird vom Kälteagglutininsyndrom unterschieden. Das Kälteagglutininsyndrom tritt vorübergehend auf und ist sekundär bei Infektionen, malignen Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen. Die Kälteagglutininkrankheit ist eine klonale niedriggradige B-Zell lymphoproliferative Erkrankung, die zwar durch Knochenmarkuntersuchung erkannt wird, bei der sich aber klinisch und radiologisch keine Hinweise auf Malignität ergeben. Die Therapie der Kälteagglutininkrankheit erfolgt durch Rutiximab mit oder ohne Kombination mit Bendamustin oder Fludarabin. Auch wird die Kälteagglutinin vermittelte Anlagerung von Komplement an die Erythrozyten durch Sutimlimab verhindert /2/.

Siehe auch:

18.12 Kryoglobuline

Kryoglobuline sind Immunglobuline (Ig) oder Komplexe von Immunglobulinen, die bei Temperaturen unter 37 °C präzipitieren und bei Temperaturen darüber wieder in Lösung gehen (Tab. 18.12-1 – Klassifizierung der Kryoglobuline).

Kryoglobuline werden differenziert in /1, 34/:

  • Typ 1 (monoklonal): Dieser Typ besteht nur aus monoklonalen Ig, die im Rahmen von lymphoproliferativen Erkrankungen auftreten.
  • Typ II (gemischter Typ). Die Typ II Kryoglobuline enthalten polyklonales Ig und monoklonales Ig. Die Typ II Kryoglobuline sind häufig mit einer Hepatitis C-Infektion assoziiert.
  • Typ III (polyklonal). Dieser Typ enthält nur polyklonales Ig und tritt bei Infektionen, Autoimmunerkrankungen und Lebererkrankungen auf.

Kryofibrinogen

Es handelt sich um einen in der Kälte unlöslichen Komplex aus Fibrin, Fibrinogen und Spaltprodukten von Fibrin mit Albumin, Immunglobulinen und anderen Proteinen. Kryofibrinogen bildet mit Thrombin einen Clot bei 4 °C, der sich bei 37 °C wieder auflöst.

Fibrinonectin Komplex

Es handelt sich um Komplexe bestehend aus Fibronectin, C-reaktivem Protein und Albumin. Die Komplexe haben pathophysiologisch keine Signifikanz.

18.12.1 Indikation

Verdacht auf Kryoglobulinämie

Bei folgenden Symptomen bzw. Erkrankungen: Purpura, Symptomkomplex Purpura, Schwäche, Arthralgie, neurologische Störungen, Glomerulonephritis, Raynaud-Phänomen, Arthritis, Sicca Syndrom, chronische Hepatitis C /4/.

Verdacht auf Kryofibrinogenämie

Bei folgenden Symptomen bzw. Erkrankungen: Kutane Ischämien wie Purpura, Livido reticularis, Ecchymosen, Ulzerationen, ischämische Nekrosen und Gangrän (selten).

18.12.2 Bestimmungsmethode

Nachweis von Kryoglobulinen und Kryofibrinogen vermittels der Präzipitations Methode

Die Kryopräzipitation von Kryoglobulinen wird im Serum nachgewiesen, diejenigen von Kryofibrinogen und Kryoglobulinen im Plasma.

Prinzip: Traditionell wird die Kryopräzipitation in Serum, das bei 4 °C für 3–7 Tage gehalten wird, nachgewiesen und quantitativ bestimmt. Das Ergebnis wird als Kryokrit (%), dem Anteil des Präzipitates am Gesamtvolumen des Serums mitgeteilt /5/.

Gemeinsam werden Kryoglobulin und Kryofibrinogen diagnostiziert durch Inkubation einer Plasmaprobe bei 4 °C in-vitro für 3–7 Tage und das Ergebnis als Kryokrit beurteilt. Der Anteil des Präzipitates in Relation zum Plasmavolumen wird beurteilt.

Siehe auch Tab. 18.12-2 – Nachweis und Differenzierung von Kryoglobulinen.

Ablauf:

  • Zur Bestimmung der Kryoglobuline wird auf 4 °C gehaltenes Serum in ein Röhrchen eingefüllt.
  • Zur Bestimmung von Kryoglobulin und Kryofibrinogen wird in ein zweites Röhrchen auf 37 °C gehaltenes Plasma pipettiert.
  • Die Proben werden für 3–7 Tage bei 4 °C inkubiert.
  • Ein gleich großes Präzipitat im Serumröhrchen und im Plasmaröhrchen beruht auf Kryoglobulinen.
  • Ein Präzipitat nur im Plasmaröhrchen weist auf Kryofibrinogen hin und hat dann eine Konzentration von meist über 1 g/l, Konzentrationen darunter werden erst nach Zentrifugation sichtbar /6/. Die Bestätigung, dass es sich um Kryofibrinogen handelt, erfolgt durch Erwärmen des Röhrcheninhalts auf 37 °C.

Befindet sich ein Präzipitat im Plasma- und/oder Serumröhrchen werden diese zentrifugiert und quantifiziert anhand des Kryokrits in % oder durch Proteinbestimmung des gewaschenen Präzipitats mit der Biuretmethode. Monoklonale Kryoglobuline (Typ I) und gemischte Kryoglobuline des Typs II präzipitieren bei 4 °C in der Regel innerhalb 24 h. Gemischte Kryoglobuline des Typs III können mehr als 72 h benötigen und sind durch Präzipitation gelegentlich kaum sichtbar. Kryofibrinogen bildet innerhalb von 72 h einen Clot. Präzipitate von Kryoglobulin können flockig, gelantinös oder kristallin sein. Geliert nach der Blutentnahme das sich absetzende Serum, liegt oft eine Kryoglobulinämie Typ I vor.

Differenzierung der Kryoglobuline im Präzipitat

Zielsetzung der Differenzierung der Kryoglobuline ist die Einteilung in die Typen I–III. Der Typ des Kryoglobulins kann hinweisend auf die Ätiopathogenese sein und somit eine bessere Erklärung für klinische Symptome ermöglichen.

Durchführung: Nach Entfernung des Überstands des Serum-Präzipitatröhrchens wird das Präzipitat dreimal durch Suspendieren und Zentrifugieren in kalter physiol. NaCl gewaschen. Zur Weiterverarbeitung erfolgt die Lösung in warmer 0,9 % NaCl. Die Identifizierung der Präzipitatkomponenten wird mit der Immunfixations-Elektrophorese unter Verwendung spezifischer Antiseren, z.B. Anti-Humanserum, Anti-Ig/Kappa, Anti-Ig/Lambda, Anti-Ig/α-Kette, Anti-Ig/μ-Kette, Anti-Ig/γ-Kette durchgeführt. Eine Spur ohne Antiserum sollte als Blindwert mitgeführt werden, um festzustellen, dass die Proteine nicht an der Auftragestelle des Gels präzipitiert sind.

Spektrophotometrischer Nachweis von Kryoglobulinen

Zwei Methoden sind publiziert:

  • Ein Test ist beschrieben /7/, der auf der photometrischen Differenz der optischen Dichte des gleichen Serums basiert, wenn dieses bei bei 4 °C und bei 37 °C inkubiert wird.
  • In einer zweiten Studie /2/ wird der Anstieg der Trübung während der Aggregation der Kryoglobuline gemessen. Die Messung erfolgt mittels eines Zweistrahl-Spektrophotometers in einer Kuvette, deren Temperatur auf 10 °C gehalten wird.

18.12.3 Untersuchungsmaterial

  • Vollblut ohne Zusatz (Kryoglobuline): 10 ml
  • EDTA-, Citrat-, Oxalat-Vollblut (Kryofibrinogen und Kryoglobuline): 10 ml

Blut wird durch Venenpunktion in zwei auf 37 °C vorgewärmte Röhrchen entnommen (Gerinnung der Serumprobe). Serum und Plasma werden durch Zentrifugation (2.500 x g bei 37 °C) gewonnen. Jeweils ein Aliquot wird zur Präzipitation in ein graduiertes Röhrchen überführt.

18.12.4 Referenzbereich

Kryokrit /9/

< 0,4 %

Proteinkonzentration der Kryoglobuline /8/

< 80 mg/l

Proteinkonzentration von Kryofibrinogen /8/

< 60 mg/l

18.12.5 Bewertung

Die Kryoglobulinämie ist häufiger als dieKryofibrinogenämie. So wurden in der Sheffield Protein Reference Unit 887 Proben im Zeitraum von 2004–2008 auf Kryoglobulinämie untersucht /5/. Davon waren 188 Kryoglobulinämien und 5 Kryofibrinogenämien. Die Prävalenz der Typen ist aufgeführt in Tab. 18.12-3 – Kryoglobulinämien der Sheffield Protein Reference Unit.

Ein negativer Nachweis von Kryoglobulinen schließt eine Kryoglobulinämie nicht aus, denn eine unsachgemäße Probenbehandlung ist oft die Ursache falsch negativer Ergebnisse. Die Konzentration von C4 ist ein Surrogatmarker. Eine erniedrigte Konzentration kann auf eine Kryoglobulin bedingte Immunkomplex Aktivität hinweisend sein, normale Werte geben keine Auskunft. Patienten mit chronischer Hepatitis C und Kryoglobulinämie sind zu 16–70 % Rheumafaktoren positiv /10/.

18.12.5.1 Kryoglobulinämie

Kryoglobulin induzierte Erkrankungen gehen mit einer Präzipitation von Ig bei Kälteexposition einher. Physiologisch werden kleine Mengen von Kryoglobulinen gebildet und von den Hepatozyten über einen spezifischen Rezeptor entsorgt. Auch in den Glomerula der Nieren deponierte Kryoglobuline werden durch Monozyten/Makrophagen entfernt /11/. Die Präzipitation von Kryoglobulinen in den Gefäßen bewirkt die Ausbildung einer Vaskulitis, besonders in der Haut, den Nieren und im peripheren Nervensystem. Histologisch bildet sich eine leukoklastische Vaskulitis aus, sekundär wird eine Ablagerung von Immunkomplexen gesehen /3/. Das führt zur Ischämie, Nekrose und Purpura. Etwa 70 % der symptomatischen Patienten mit Kryoglobulinämie haben eine Beteiligung der Leber, Gelenkbeschwerden und eine Asthenie. Bei etwa 25 % der Patienten sind die Nieren betroffen und die Inzidenz der Beteiligung des Zentralnervensystems beträgt 36 %.

Es besteht keine Korrelation zwischen der Konzentration der Kryoglobuline im Serum und den klinischen Beschwerden. Viele Patienten haben eine Kryoglobulinämie und sind frei von Beschwerden, auch wenn die Konzentration der Kryoglobuline hoch ist /12/. Bei vielen Patienten beträgt die Konzentration der Kryoglobuline 100–300 mg/l.

Die Kryoglobuline unterliegen einer reversiblen Kondendation in Abhängigkeit von der Temperatur und der Konzentration. Die Kondensate haben eine unterschiedliche Aggregation und können als Kristalle, amorphe Aggregate und als Gel bei den Patienten vorliegen /13/.

Die gemischte Kryoglobulinämie, eine autoimmune Erkrankung, ist durch die Bildung Kälte präzipitierbarer Autoimmunkomplexe, bestehend aus Immunglobulinen, charakterisiert. Es handelt sich um die am Häufigsten auftretende extrahepatische Erkrankung, die durch eine Hepatitis C Virusinfektion verursacht wird. Auf Grundlage der Zusammensetzung der Ig werden zwei Typen unterschieden: Typ-II-Kryoglobuline bestehend aus polyklonalem IgG und monokolonalem IgM mit Rheumafaktoraktivität und die Typ- III-Kryoglobuline, die polyklonales IgG und polyklonales IgM enthalten /15/. Beide Typen sind generell mit Krankheiten assoziiert. Generell enthalten etwa 95 % der Kryoglobuline Rheumafaktoren. Gewöhnlich ist der Rheumafaktor monoklonales oder polyklonales IgM, obwohl auch andere Immunglobuline nachgewiesen werden können. Der Typ II macht 50–60 % und der Typ III 25–30 % der Kryoglobuline aus. Der Typ II ist generell mit einer Erkrankung assoziiert, es handelt sich um eine chronische Infektion mit HCV, HBV oder HIV und um Autoimmunerkrankungen wie das Sjögren-Syndrom. Mehr als 90 % der Patienten mit der Typ-II-Kryoglobulinämie sind mit dem Hepatitis C-Virus infiziert /14/.

Wichtig ist die Differenzierung zwischen der monoklonalen und der gemischten Form der Kryoglobulinämien. Die gemischten Formen haben einen Anteil von etwa 90 % an den Kryoglobulinämien, die monoklonalen etwa 10 %. Etwa 95 % der Patienten mit gemischten Formen sind HCV positiv, der restliche Anteil hat eine unterschiedliche Genese.

18.12.5.1.1 Monoklonale Kryoglobulinämie (Typ I)

Monoklonale Kryoglobulinämien sind in der Regel mit einer Dyskrasie der Plasmazellen wie dem multiplen Myelom, dem Smoldering Myelom und der monoklonalen Gammopathie unbestimmter Signifikanz (MGUS; monoclonal gammopathy of undetermined significance) und dem M. Waldenström assoziiert. Ihr Anteil an den Kryoglobulinämien beträgt etwa 10 %.

Die Typ-I-Kryoglobuline präzipitieren schon bei höherer Temperatur (≤ 32 °C ) als die gemischten Kryoglobuline. Ihre Konzentration kann von 60 mg/l bis 60 g/l betragen.

Klinik

Hyperviskositäts Syndrom mit Zeichen des peripheren Gefäßverschlusses, einer Purpura oder dermaler Manifestation (Raynaud Phänomen). Selten geht der Typ I mit einer Vaskulitis einher. Eine Manifestationen an den Gelenken wird gesehen, wenn die Kryoglobuline, gewöhnlich IgG3, als Kristalle präzipitieren.

Erkrankungen und Symptome die mit einer gemischten Kryoglobulinämie assoziiert sind zeigt Tab. 18.12-4 – Erkrankungen und Symptome die mit einer gemischten Kryoglobulinämie assoziiert sind.

Labordiagnostik

In der Regel präzipitieren gemischte Kryoglobuline bei Temperaturen unter 23 °C. Der Kryokrit ist gewöhnlich hoch und die Konzentration von Protein häufig > 1 g/l. Nachweis von monoklonalem IgG oder IgM. Der Rheumafaktor ist negativ, Erniedrigungen von Komplement sind nicht konstant nachweisbar.

18.12.5.1.2 Gemischte Kryoglobulinämien (Typ II und Typ III)

Die gemischte Kryoglobulinämie ist eine autoimmune Erkrankung. Sie ist charakterisiert durch eine Bildung von Kälte präzipitierbaren Kryoglobulinkomplexen aus Immunglobulinen und ist die häufigste extra hepatische Erkrankung, die durch eine HCV-Infektion verursacht wird.

Basierend auf der Ig-Zusammensetzung bestehen bei der gemischten Kryoglobulinämie zwei Typen:

  • Typ-II-Kryoglobuline enthalten ein polyklonales IgG und ein monoklonales IgM mit Rheumafaktoraktivität.
  • Typ-III-Kryoglobuline enthalten ein polyklonales IgG und ein polyklonales IgM.

Beide Typen sind mit Krankheiten assoziiert. Etwa 95 % der Kryoglobuline enthalten Rheumafaktoren. Typ- II- und Typ-III-Kryoglobuline machen jeweils 50–60 % und 25–30 % der Kryoglobulinämien aus. Der Typ II ist generell mit chronischen Infektionen wie HCV, HBV und HIV und Autoimmunerkrankungen wie dem Sjögren Syndrom assoziiert. Eine gemeinsame Pathogenese dieser Erkrankungen ist die chronische Infektion, eine hohe Antigenbelastung und eine große Antigen induzierte Dysregulation des B-Zellsystems /16/. Über 90 % der Patienten mit der Typ-II-Kryoglobulinämie sind mit HCV infiziert.

Bei der gemischten HCV bedingten Kryoglobulinämie sind die meisten Patienten asymptomatisch. Nur 10–15 % entwickeln kryoglobulinämische Symptome in Form einer Vaskulitis der kleinen Gefäße, einer Glomerulonephritis oder Neuropathie aufgrund einer Immunkomplexablagerung und Komplementaktivierung in den kleinen Gefäßen. Die Prävalenz von Kryoglobulinen ist bei der HCV-Infektion 2–4 mal höher als bei der HIV-Infektion /14/. Eine Studie zeigt, dass bei einer HCV-Infektion eine höhere Anzahl von TH1-Lymphozyten und aktivierten memory B-Zellen mit einer Typ II asymptomatischen gemischten Kryoglobulinämie einhergeht /15/.

Ist der Rheumafaktor polyklonal wird die gemischte Kryoglobulinämie als Typ III bezeichnet, ist er monoklonal so liegt der Typ II vor. Infektionen können den Typ III oder den Typ II verursachen. Mit dem Typ III assoziierte Erkrankungen sind die Post-Streptokokken Glomerulonephritis, chronische Infektionen und die essentielle Kryoglobulinämie /17/.

Erkrankungen und Symptome in Assoziation mit gemischten Kryoglobulinen zeigt Tab. 18.12-4 – Erkrankungen und Zustände in Assoziation mit gemischten Kryoglobulinämien.

Labordiagnostik

Der Nachweis von Rheumafaktoren ist positiv beim Typ II und Erniedrigungen von Komplement sind konstant nachweisbar.

18.12.5.1.3 Hitze-unlösliche Kryoglobulinämien

Bei diesen Kryoglobulinämien geht das präzipitierte Protein erst bei Temperaturen höher als 37 °C, z.B. bei 56 °C in Lösung. Diese Formen der Kryoglobulinämie sind selten, wurden aber in Assoziation mit dem multiplen Myelom, dem Sjögren Syndrom und der Kryoglobulin-okklusiven membranoproliferativen Glomerulonephritis beschrieben /11/.

18.12.5.2 Kryofibrinogenämie

Eine Kryofibrinogenämie wird diagnostiziert, wenn EDTA-Plasma, das bei 37 °C klar ist ein Präzipitat bildet, wenn es auf 4 °C gekühlt wird. Die Kryofibrinogenämie wird in eine essentielle (primäre) und eine sekundäre Form unterteilt /18/. Die primäre Form ist selten. Die sekundäre Kryofibrinogenämie ohne klinische Symptomatik soll eine Prävalenz von 13 % bei hospitalisierten Patienten haben. Die primäre Kryofibrinogenämie entwickelt sich oft spontan bei gesunden Personen, die sekundäre basiert auf einer chronischen Inflammation im Rahmen eines malignen Tumors, Diabetes mellitus, Kollagenkrankheit oder aktiven Infektion. Das Verhältnis Frauen zu Männer beträgt 1,4 : 1.

Bewertung

Eine Kryofibrinogenämie wird bei gesunden und asymptomatischen Personen in einer Häufigkeit von 2–5 % diagnostiziert, wird aber häufig übersehen. Patienten mit Kryofibrinogenämie haben als Hauptsymptome Kälteintoleranz und können kutane Ischämien wie Purpura, Livido retikularis und akrale Hautulzerationen haben. Sie leben in kälteren klimatischen Zonen und geben eine zeitliche Assoziation zwischen Kälteexposition und dem Auftreten der Beschwerden an.

Die Befunde bei essentieller Kryofibrinogenämie zeigten bei einem der bisher wenig beschriebenen Fälle einen Kryokrit von 5 % und eine Proteinkonzentration des Kryopräzipitats von 850 mg/l. Das Kryofibrinogenpräzipitat muss von der Heparin-präzipitierbaren Fraktion abgegrenzt werden, die sich auch bei Normalpersonen in Kälte bildet, wenn Heparinplasma anstatt EDTA-Plasma verwendet wird /19/.

18.12.6 Hinweise und Störungen

Temperaturkontrolle

Die Temperaturkontrolle ist in der präanalytischen Phase besonders erforderlich bei Typ-I-Kryoglobulinen, da diese bei höherer Temperatur präzipitieren und auch in einer Konzentration > 5 g/l vorliegen können. Je höher die Konzentration monoklonaler Kryoglobuline, desto früher die Präzipitation. Bei den Typ-III-Kryoglobulinen ist die Temperaturkontrolle nicht kritisch, da sie über Tage präzipitieren /9/.

Die Diagnostik von Kryoglobulinen mit der Präzipitatmethode ergibt viele falsch negative Befunde, da die erforderlichen präanalytischen Prozeduren bei der Blutbearbeitung (Vorwärmen des Blutentnahmeröhrchens, Transport in gewärmten Kontainer, Sedimentation und/oder Zentrifugation bei 37 °C) nicht eingehalten werden /4/.

Kryopräzipitation

Verschiedene Substanzen werden im Kryopräzipitat zusätzlich zu den Immunglobulinen gefunden, z.B. Rheumafaktoren, Albumin, Fibrinogen, Fibronectin, Viren (Hepatits C) und Bakterien /18/.

Waschen des Kryopräzipitates

Das Waschen des Kryopräzipitats bei 37 °C vor der Proteinbestimmung ist erforderlich um die Kontamination durch andere Serumproteine zu entfernen.

Kryoproteine

Die Kryproteine werden in folgende Typen differenziert:

  • Kryoglobuline
  • Kryofibrinogen. Es handelt sich um einen in der Kälte unlöslichen Komplex aus Fibrin, Fibrinogen und Fibrinspaltprodukten mit Albumin, Ig und anderen Proteinen. Kryofibrinogen bildet mit Thrombin einen Clot bei 4 °C, der sich bei 37 °C wieder auflöst.
  • Fibrinonectin und Komplexe von C-reaktivem Protein und Albumin. Diese haben pathophysiologisch keine Bedeutung.

18.13 Kälteagglutinin Syndrom

Ein Patient stellt sich beim Arzt mit dunklem Urin, einem Ikterus und einer Anämie vor, 1 Woche nach einer Infektion der oberen Atemwege. Die Laboruntersuchungen erbrachten eine Anämie durch Hämolyse. Im Ausstrich des peripheren Blutes waren zu sehen: Erythrozyten, Retikulozyten und neutrophile Granulozyten. Diese waren umringt von Erythrozyten unter Bildung von Rosetten. Gesehen wurden auch Erythrozyten, die in neutrophilen Granulozyten oder in Makrophagen/Monozyten gelegen waren. Der Kälteagglutinintiter war 1 : 1024, die Serologie auf Antikörper gegen Mycoplasma pneumoniae, Epstein Barr Virus und andere respiratorische Viren war negativ. Die Diagnose einer immunhämolytischen Anämie herrührend aus einem Kälteagglutinin-Syndrom in Assoziation mit einer oberen Atemwegsinfektion wurde gestellt /21/.

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18.14 Kryofibrinogen

Eine Kryofibrinogenämie wird diagnostiziert, wenn EDTA-Plasma, das bei 37 °C klar ist, ein Präzipitat bildet, wenn es auf 4 °C gekühlt wird. Die Kryofibrinogenämie wird in eine essentielle (primäre) und eine sekundäre Form unterteilt /1/. Die primäre Form ist selten. Die sekundäre Kryofibrinogenämie ohne klinische Symptomatik soll eine Prävalenz von 13 % bei hospitalisierten Patienten haben. Die primäre Kryofibrinogenämie entwickelt sich oft spontan bei gesunden Personen, die sekundäre basiert auf einer chronischen Inflammation im Rahmen eines malignen Tumors, Diabetes mellitus, Kollagenkrankheit oder aktiven Infektion. Das Verhältnis Frauen zu Männer beträgt 1,4 : 1.

18.14.1 Indikation

Bei folgenden Symptomen und/oder Zuständen kann eine Kryfibrinogenämie präsent sein: Ischämie der Haut wie bei Purpura, Livido reticularis, Ecchymosen, Ulzerationen, ischämische Nekrosen und selten Gangrän.

18.12.2 Bewertung

Eine Kryofibrinogenämie wird bei gesunden und asymptomatischen Personen in einer Häufigkeit von 2–5 % diagnostiziert, wird aber häufig übersehen. Patienten mit Kryofibrinogenämie haben als Hauptsymptome Kälteintoleranz und können kutane Ischämien wie Purpura, Livido retikularis und akrale Hautulzerationen haben. Sie leben in kälteren klimatischen Zonen und geben eine zeitliche Assoziation zwischen Kälteexposition und dem Auftreten der Beschwerden an /2/.

Die Befunde bei essentieller Kryofibrinogenämie zeigten bei einem der bisher wenig beschriebenen Fälle einen Kryokrit von 5 % und eine Proteinkonzentration des Kryopräzipitats von 850 mg/l. Das Kryofibrinogenpräzipitat muss von der Heparin-präzipitierbaren Fraktion abgegrenzt werden, die sich auch bei Normalpersonen in Kälte bildet, wenn Heparinplasma anstatt EDTA-Plasma verwendet wird /3/.

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18.15 β2-Mikroglobulin (β2-M)

Lothar Thomas

β2-M ist die nicht-variable Leichtkette des Klasse-I-Major Histokompatibilitätskomplexes (MHC) und ist auf der Oberfläche nahezu aller kernhaltigen Zellen gelegen (Abb. 18.15-1 – HLA-Antigene auf der Zellmembran kernhaltiger Zellen). Wird der MHC-Komplex degradiert, erfolgt die Freisetzung von β2-M in die Zirkulation. Das erfolgt mit einer konstanten Produktionsrate des freien β2-M von 2,4 mg/kg/Tag. β2-M ist ein nicht glykosyliertes Polypeptid des Molekulargewichts von 11.729 Da. Aufgrund des geringen Molekulargewichts gelangt β2-M in das Glomerulumfiltrat und ist in vielen Körperflüssigkeiten präsent. Erhöhte Konzentrationen von β2-M im Serum treten beim chronischen Nierenversagen, lymphoproliferativen Erkrankungen, Zuständen mit einem hohen Zellumsatz, Entzündungen und Infektionen auf.

18.15.1 Indikation

  • Verlaufs- und Therapiebeurteilung lymphatischer Systemerkrankungen, insbesondere Non-Hodgkin Lymphome, Hodgkin-Lymphome und Myelome.
  • Beurteilung der glomerulären Filtrationsrate, insbesondere bei Kindern.
  • Diagnostik und Verlaufsbeurteilung tubulo-interstitieller Nierenschäden.
  • Kontrolle des β2-M bei Dialysepatienten.
  • Beurteilung der Nierenfunktion nach Nierentransplantation und Früherkennung einer Cytomegalievirus-Infektion.
  • Erkennung einer Abstoßungsreaktion nach allogener Transplantation des Knochenmarks.
  • Beurteilung der Progression einer HIV-Infektion.
  • Diagnostik fetaler Infektionen.

18.15.2 Bestimmungsmethode

Immunoassays, (Enzym-, Lumineszenz-Immunoassay, Latex-verstärkte Immunnephelometrie und Immunturbidimetrie) /1/.

18.15.3 Untersuchungsmaterial

Serum, Plasma: 1 ml

Spontanharnprobe mit 0,5 ml 2n NaOH versetzen, so dass der pH über 6 ist. Im Labor 10 ml abgeben. Wird z.B. für arbeitsmedizinische Untersuchungen eingesetzt.

Sammelharn, 6–8 h Sammelperiode, nur tagsüber sammeln, so dass eine Kontrolle des Urin-pH möglich ist und eine Alkalisierung mit 2n NaOH durchgeführt werden kann. Die 6–8 h Harnsammlung ist indiziert zur Erkennung akut-toxischer Tubulusschädigungen.

18.15.4 Referenzbereich

Siehe Lit. /2, 3, 4, 5, 6/ und Tab. 18.15-1 – Referenz­intervalle für β2-Mikroglobulin

18.15.5 Bewertung

Die Konzentration von β2-M im Serum und die Ausscheidung im Urin liefern nur verwertbare Aussagen, wenn:

  • Klinisch fest umrissene Fragestellungen bestehen.
  • Zuvor abgeklärt wurde, dass keine weiteren Erkrankungen vorliegen, die Bildung und Ausscheidung von β2-M beeinflussen, z.B. keine lymphoide Neoplasie, wenn die glomeruläre Filtrationsrate abgeschätzt werden soll oder keine Niereninsuffizienz bei der Therapiekontrolle lymphoider Neoplasien.

Siehe Tab. 18.15-2 – β2-Mikroglobulin bei Erkrankungen.

Bei zuvor konstanten Serumwerten spricht ein akuter Anstieg der absoluten oder fraktionellen Ausscheidung von β2-M im Harn für eine tubuläre Schädigung. Bei Serumkonzentrationen über 6 mg/l wird bei normaler GFR die tubuläre Reabsorptionskapazität überschritten und die Ausscheidungswerte im Urin sind bezugnehmend auf eine tubuläre Schädigung nicht sicher interpretierbar /7/. Es ist dann besser die Ausscheidung von α1-Mikroglobulin zu bestimmen. Das ist sowieso empfehlenswert, da α1-Mikroglobulin im Urin stabiler ist als β2-M (siehe auch Beitrag 12.9.6.8.3 – α1-Mikroglobulin).

18.15.6 Hinweise und Störungen

Stabilität

β2-M wird bei pH unter 6,0 in einem Zeitraum von 2 Std. denaturiert /6/, auch in der Blase. Es ist deshalb immunchemisch nicht mehr bestimmbar. Untersuchungen des Urins sollten folglich nicht im ersten Morgenurin (gewöhnlich pH unter 6,0), sondern im Tages-Spontanharn oder Tagessammelharn erfolgen. Der pH muss nach dem Harnlassen kontrolliert und, falls erforderlich, mit einigen Tropfen 2n NaOH alkalisiert werden.

Referenzbereich

Kinder haben leicht höhere Konzentrationen im Serum als Jugendliche und Erwachsene, ebenfalls Personen jenseits des 60. Lj.

18.15.7 Pathophysiologie

β2-M besteht aus 100 Aminosäuren. Die Peptidkette ist über eine Disulfidbrücke zwischen den Aminosäuren 25 und 81, jeweils Cystein, verknüpft /25/.

β2-M ist das Leichtkettenprotein der MHC-Klasse-I-Antigene (Abb. 18.15-1 – HLA-Antigene auf der Zellmembran kernhaltiger Zellen) und somit auf allen kernhaltigen Körperzellen vorhanden. Es ist außerhalb der Zellmembran gelegen und nicht durch eine kovalente Bindung mit der Schwerkette des MHC-Klasse-I-Antigens verbunden. Es steht dadurch in freiem Austausch mit dem β2-M der Körperflüssigkeiten. Dort liegt es zu über 98 % als freies Monomer vor.

Die Expression von MHC-Klasse-I-Antigenen und damit von β2-M auf den Zellmembranen von Abwehrzellen, insbesondere von Lymphozyten, wird durch Zytokine des hämato-lymphatischen Systems stimuliert. Bei allen Erkrankungen mit Aktivierung des Immunsystems wie bakteriellen Entzündungen, Immunkrankheiten, z.B. rheumatoider Arthritis und bestimmten viralen Infektionen, ist die β2-M-Bildung erhöht. Hauptsyntheseort des β2-M sind die Lymphozyten. Gesunde Personen mit 70 kg Körpergewicht bilden etwa 9 mg β2-M/Std. Die Halbwertszeit beträgt 40 min, Eliminationsort ist die Niere, dort wird es glomerulär filtriert (etwa 210 μg/min) und zu 99,9 % im proximalen Tubulus rückresorbiert.

Änderungen des β2-M-Serumwerts oder der β2-M-Ausscheidung sind durch eine vermehrte Synthese, die Änderung der GFR oder der tubulären Rückresorption bedingt.

Da der Hauptsyntheseort des β2-M das lymphatische System ist, kommt es zur Erhöhung der Konzentration im Serum bei allen Zuständen mit einer Zunahme der Proliferationsrate lymphozytärer Zellen, insbesondere beim multiplen Myelom, dem M. Hodgkin, der chronisch lymphatischen Leukämie und anderen Non-Hodgkin Lymphomen. Bei diesen Erkrankungen ist die β2-M-Bestimmung ein guter Indikator zur Verlaufs- und Therapiebeurteilung. Bei etwa 70 % der Myelompatienten zeigen monoklonale Ig-Konzentration und die β2-M-Konzentration einen parallelen Verlauf. Ein Teil der Patienten zeigt trotz einer deutlichen monoklonalen Gammopathie keine Erhöhung des β2-M, was mit Änderungen der Nierenfunktion bei Myelompatienten erklärt wird /26/. Auch andere Erkrankungen, bei denen es zu einer stärkeren Aktivierung des zellulären Immunsystems kommt, z.B. bestimmte Autoimmunerkrankungen, infektiöse Mononukleose, Transplantatabstoßung, bewirken die Erhöhung von β2-M im Serum /8/.

Eine Einschränkung der GFR verlängert die Halbwertszeit des β2-M, die Serumwerte steigen exponentiell an, es besteht eine inverse Beziehung zur GFR, und zwar über den gesamten Filtratbereich. Ein Anstieg im Serum kann beim Abfall der GFR unter 80 [ml × min–1 × (1,73 m2)–1] auftreten, über die Korrelation pathologischer Creatininwerte zu den β2-M-Werten im Serum existieren unterschiedliche Aussagen. Eingeschränkt wird die Anwendung des β2-M zur Beurteilung der GFR durch die Tatsache, dass Erhöhungen auch durch andere Erkrankungen bewirkt werden /12/.

Die Schwelle der renal-tubulären β2-M-Rückresorption liegt bei einem Serumwert um 6 mg/l. β2-M wird über die Bürstensaummembran des proximalen Tubulus rückresorbiert und intrazellulär zu Aminosäuren katabolisiert. Bei tubulärer Schädigung, z.B. bakteriell bedingter interstitieller Nephritis, Cadmiumnephropathie, tubulärer Nekrose durch Aminoglykoside, ist die β2-M-Ausscheidung erhöht. Patienten mit Nephrotoxizität durch Aminoglykoside zeigen Ausscheidungen über 10 mg im 8 h-Sammelurin.

Bei Cadmium exponierten Personenbesteht ein Zusammenhang von Expositionsdauer bzw. dem Produkt aus Expositionsdauer, der Cadmiumkonzentration im Blut und der β2-M-Ausscheidung. Erhöhte Ausscheidungswerte von β2-M im Urin sind bei Personen mit langfristiger beruflicher Cadmiumwirkung unter den derzeitigen Arbeitsplatzverhältnissen nach etwa 10-jähriger Exposition zu erwarten /3/.

Bei der Cytomegalievirus-Infektion kommt es zu einer Erhöhung der CD8+ T-Lymphozyten, wodurch eine erhöhte β2-M-Konzentration im Serum resultiert.

Die erhöhten β2-M-Werte im Serum beim malignen Lymphom sollen aus einem erhöhten Zellumsatz resultieren. Eine andere Theorie /26/ beruht auf der Tatsache, dass beim malignen Lymphom die Zellmembran der Lymphozyten weniger β2-M trägt als bei Gesunden. Das soll in einer defekten α-Kette des MHC-Klasse-I-Antigens begründet sein, die dadurch weniger β2-M bindet. Da zur Erkennung von veränderten Zellen durch zytotoxische Lymphozyten eine intakte MHC-Klasse-I-Antigenstruktur auf den Zielzellen erforderlich ist, werden diese nicht erkannt und können proliferieren.

Literatur

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18.16 Serumkrankheit

Lothar Thomas

Die Erkrankung tritt nach der therapeutischen Gabe von nicht-humanem Protein auf. Die Serumkrankheit ist eine Typ III-Hypersensitivitätsreaktion, bedingt durch die Bildung von Antigen-Antikörper-Komplexen.

Klinische Befunde: Fieber, nicht-juckender, morbilliformer Ausschlag am Rumpf, den Armen und den Beinen.

Laborbefunde: Neutropenie, C-reaktives Protein (> 80 mg/L) erhöht, niedriges C3 und niedriges C4. Blutkulturen negativ.

Literatur

1. Shanshal M, Ebadian M.Serum sickness. N Engl J Med 2023; 389 (8): 749.

18.17 IgG4-assoziierte Erkrankungen

Lothar Thomas

Die IgG4-assoziierten Erkrankungen sind chronische und immun-vermittelte Störungen die verschiedene Organe des Körpers betreffen können. Die geschädigten Gewebe haben eine Infiltration mit lymphoplasmozytoiden Zellen, die IgG4 positiv sind. Auch kann das Serum eine erhöhte Konzentration von IgG4 enthalten.

18.17.1 Indikation

Schwellung mit zytologisch nachweisbarer Infiltration lymphoplasmozytoiden Zellen.

Erhöhte Serumkonzentration von IgG4.

18.17.2 Klinische Befunde

Die IgG4-assoziierte Erkrankung ist ein chronisches und multisystemisches autoinflammatorisches Leiden, das deutliche Schwellungen oder massive Läsionen an den verschiedenen Organen von Kopf und Nacken, des Brustkorbs, des Abdomens, des Urogenitalbereichs und des Zentralnervensystems verursacht /1/. Im einzelnen sind betroffen:

  • Kopf und Nacken: Speichel- und Tränendrüsen sowie die Schilddrüse.
  • Brustkorb und Abdomen: Lunge, Pankreas, Leber /23/.
  • Urogenitalbereich: Nieren (Nephritis, membranöse Glomerulonephritis)
  • Zentralnervensystem: Hypophysitis
  • Weitere Manifestationen sind der Diabetes Typ 1, die autoimmune Pankreatitis, die Riedelsche Thyreoiditis, die mediastinale und die retroperitoneale Fibrose.

Die betroffenen Gewebe zeigen eine Vergrößerung, eine schmerzfreie Schwellung oder Schädigung und einen Mangel in der Funktion.

18.17.3 Diagnose

In einem Teil der Fälle wird eine erhöhte Konzentration von IgG4 im Serum gemessen. Die Diagnose wird jedoch anhand der Klinik und des histologisch-zytologischen Ergebnisses gestellt.

Literatur

1. Zhang X, Xing J, Guan L, Lin X, Li X. IgG4-assoziierte Erkrankungen mit gastrointestinaler Beteiligung; Fallberichte und Literaturübersicht. Kompass Autoimmun 2022; 4 (3): 149–55.

2. Minaga K, Watanabe T, Chung H, Kudo M. Autoimmune hepatitis and IgG-related disease. World J Gatroenterol 2019; 25 (19): 2308–14.

3. Zuo A, Liu X, Chung H, Guo Z,Jiang Y, Lu D. IgG4-related diseases involving pleura: a case report and literature review. Frontiers in Medicine 2023. doi: 10.3389/fmed.2023.1247884.

Tabelle 18.1-1 Diagnostisch bedeutsame Plasmaproteine /13/

Plasmaprotein

Diagnostische Bedeutung

Präalbumin

Präalbumin ist ein 55 kD homotetrameres Protein, das im Serum, dem Liquor cerebrospinalis und den Augen nachweisbar ist. Die Mehrheit des Präalbumins wird von der Leber synthetisiert, kleinere Mengen im Plexus choroideus, dem Epithelpigment der Augen und im Pankreas. Das Gen für die Kodierung von Präalbumin is auf dem Chromosom 18 q12.1 gelegen und mehr als 100 genetische Varianten sind bekannt. Auch unterliegt Präalbumin vielfältigen posttranslationalen Modifikationen. Präalbumin ist auch als Transthyretin bekannt, bedingt durch seine Transporteigenschaften für Schilddrüsenhormone und Holo-Retinol-Bindungsprotein. Die Methoden zur Bestimmung variieren von der radialen Immundiffusion, der Immunnephelometrie und Immunturbidimetry bis zum Enzymimmunoassay. Das Referenzintervall ist 200–400 mg/L /16/.

Präalbumin ist ein negatives Akute-Phase Protein. Übersteigt das C-reaktive Protein den Wert von 15 mg/L ist die Konzentration von Präalbumin nicht interpretierbar. Präalbumin wurde als ein Marker des Ernährungsstatus, des Wiederherstellungsstatus nach Fehlernährung und als ein Marker der Krankheitsprognose evaluiert. Ein Wert < 150 mg/L wird als ein Zustand der Fehlernähung angesehen und eine Konzentration < 100 mg/L als schwere Fehlernährung. Im Wiederherstellungsstatus weist eine Präalbuminkonzentration von 135 mg/L oder ein täglicher Anstieg im Serum um 1 mg/L an, dass die Erfordernisse der Ernährung eingehalten werden /17/. Eine Verminderung der Präalbuminkonzentration im Serum während einer akuten Entzündung oder Infektion ist multifaktoriell und nicht beurteilbar.

Albumin

Albumin ist das Bindungs- und Transportprotein für viele Substanzen im Blut, z.B. Aminosäuren, Hormone, Medikamente und Spurenelemente. Bedeutung hat die Albuminbestimmung zur Schätzung der Proteinsynthese der Leber, der Proteinmangelernährung und des onkotischen Drucks.

Glykiertes Albumin

Zwischen Albumin und Glucose bildet sich im Blutplasma ein Intermediat (glykiertes Albumin), wenn Glucose an Albumin bindet. Das Intermediat besteht 2–3 Wochen und reflektiert eine Hyperglykämie. Die Frage ist, ob sich glykiertes Albumin dazu eignet Erwachsene mit Diabetes mellitus zu erkennen. In einer Studie /18/ wurden deshalb zwei Kriterien der Diagnostik des Diabetes mellitus, eine Nüchternglucose im Plasma ≥ 126 mg/dl (6,99 mmol/L) und ein HbA1c ≥ 6,5 %, mit dem glykierten Albumin verglichen. Ein Wert des glykierten Albumins von ≥ 16,5 % (97. Perzentile) war einer Nüchterglucose von ≥ 126 mg/dl (6,99 mmol/l, 98. Perzentile) diagnostisch gleichwertig und ein Wert des glykierten Albumins von ≥ 17,8 % einem HbA1c ≥ 6,5 %. Die diagnostische Spezifitäten von ≥ 16,5 % bzw. von ≥ 17,8 % zur Diagnostik eines Diabetes mellitus betrugen 0,980 und 0,992 bei einer Sensitivität von 0,273 und 0,707.

C-reaktives Protein (CRP), Serum-Amyloid A (SAA), α1-saures Glykoprotein, Haptoglobin (Hp)

Diese Proteine gehören zur Gruppe der Akute-Phase Proteine. Es handelt sich um Proteine, deren Konzentration im Plasma bei Inflammation (Gewebeschädigung, mikrobieller Infektion) ansteigt. Das Ausmaß des Anstiegs ist von der Schwere der Gewebeschädigung sowie der Syntheserate und der Halbwertszeit jedes einzelnen Akute-Phase Proteins abhängig. Somit ist das Muster der Veränderung nach einem Stimulus abhängig vom Protein. Hp hat eine protektive Funktion, in dem es mit Hämoglobin (Hb) einen Komplex bildet und somit den renalen Verlust von Eisen verhindert. Der Hp-Hb Komplex wird vom retikuloendothelialen System katabolisiert und ist die Quelle für Eisen und Aminosäuren zur Neusynthese von Proteinen und Häm. Niedrige Hp-Konzentrationen werden bei akuten Episoden der intravaskulären Hämolyse gemessen.

α1-Antitrypsin (α1-AT), α2-Makroglobulin (α2-M)

Diese Proteine sind Proteinaseinhibitoren. α1-Antitrypsin gehört zur Gruppe der Serin-Proteinaseinhibitoren (Serpine). Siehe auch Beitrag 18.5 – α1-Antitrypsin (AAT).

α1-AT: Der homozygote Mangel kann ein Lungenemphysem des Erwachsenen und eine frühkindliche Leberzirrhose verursachen.

α2-M: Das Protein hemmt die Aktivität vieler Proteasen und reguliert gemeinsam mit dem C1-Esterase-Inhibitor die Bildung von Kininen. Verminderte Konzentrationen von α2-M werden bei Zuständen mit Freisetzung von Proteasen, z.B. der akuten Pankreatitis, gefunden.

C3, C4, C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH)

Diese Proteine sind Faktoren des Komplementsystems.

C3: Es handelt sich um die zentrale Komponente des Komplementsystems. Die Spaltung von C3 führt zur Bildung von Anaphylatoxinen, Chemotaxinen, Opsoninen und des Membranangriff-Komplexes, die alle eine wichtige Funktion im Entzündungsgeschehen bei einer Infektion haben.

C4: Wichtige Komponente zur Aktivierung des klassischen Wegs der Komplementkaskade. Der C4-Mangel ist der häufigste hereditäre Mangel im Komplementsystem und wird häufig beim systemischen Lupus erythematodes gefunden.

C1-INH: Dieses Protein gehört zur Gruppe der Serpine und ist ein Inhibitor von C1r und C1s. Der Mangel von C1-INH ist der zweit häufigste genetische Defekt des Komplementsystems und führt zur unkontrollierten Aktivierung des klassischen Wegs. Klinisch kann das Bild des hereditären angioneurotischen Ödems auftreten.

Coeruloplasmin (Cp)

Cp, auch als Plasma-Ferroxidase bezeichnet, ist wichtig für den Transport und die Verfügbarkeit von Eisen für die Gewebe. Fe2+ wird in Gegenwart von Cp zu Fe3+ oxidiert. Cp ist neben der Bestimmung von Kupfer im Urin ein Parameter zur Diagnostik der Wilson’schen Erkrankung.

Immunglobuline (Ig)

Die Ig sind die Effektoren des humoralen Immunsystems. Sie binden mit spezifischen Antigenen unter Ausbildung von Immunkomplexen. Diese lösen Abwehrmechanismen aus, z.B. die Aktivierung des Komplementsystems, die Aktivierung von Phagozyten und führen so zur Elimination des Antigens. Klinisch bedeutsam ist die Bestimmung von Ig einzelner Ig-Klassen zur Diagnostik von Immunmangelzuständen, der Abklärung von Hypergammaglobulinämien und in der Allergiediagnostik (siehe Kapitel 21 – Immunsystem und Kapitel 22 – Monoklonale Plasmazell-proliferative Erkrankungen).

Lipoproteine (Lp)

Wasser unlösliche Lipide sind an Proteine, die sogenannten Apolipoproteine (ApoLp) gebunden unter Bildung eines wasserlöslichen Lipoproteinpartikels. Folgende Apolipoproteine können in solchen Partikeln gebunden sein: Apo AI, AII, AIV, B-100, B-48, CI, CII, CIII, D, E und J. Veränderungen der Apolipoprotein Konzentration im Serum können Indikatoren bestimmter Störungen im Fettstoffwechsel sein.

Transthyretin (TTR), Retinol-bindendes Protein (RBP)

Die Bestimmung von TTR und RBP sind indiziert zur Beurteilung der Energiezufuhr bei Verdacht auf Mangelernährung.

TTR: Dieses Protein hat ein MG von 55 kD, bindet an RBP und hat einen Referenzbereich von 220–450 mg/L. TTR ist ein negatives Akute-Phase Protein, seine Konzentration nimmt bei Entzündung und Mangelernährung an Protein ab. TTR ist hilfreich in der frühen Diagnose einer Fehlernährung, da es rasch mit einer Erniedrigung der Plasmakonzentration auf eine Restriktion der Energiezufuhr reagiert. TTR ist ungeeignet zur Diagnose und Verlaufsbeurteilung einer chronisch-adaptiven Mangelernährung wie der Anorexia nervosa. Bei enteraler oder parenteraler Energiezufuhr ist TTR auf Grund seiner Halbwertszeit von nur 2 Tagen ein guter Parameter zur Beurteilung der Response einer Behandlung. Da TTR ein negatives Akute-Phase Protein ist, hat seine Konzentration zur Beurteilung der Fehlernährung nur Sinn, wenn das CRP normal ist /14/.

RBP: Hat ein MG von 21 kD und ist im Plasma an TTR gebunden. Bei Aufnahme von Retinol verliert RBP seine Bindungsfähigkeit für TTR. Die Halbwertszeit beträgt 12 h. Die Plasmakonzentration ist 30–80 mg/L. RBP ist bei Hyperthyreose, chronischer Lebererkrankung, Vitamin A-Mangel und Zinkmangel vermindert. Erhöht ist es bei Alkoholismus und reduzierter glomerulärer Filtrationsrate.

In der Beurteilung der Mangelernährung ist die Verminderung der RBP-Konzentration eher ein Indikator mangelnder Energiezufuhr als einer Proteinrestriktion. Die Reaktion auf Energiezufuhr ist nahezu gleich bei RBP und TTR /14/.

Transferrin (Tf)

Tf ist das Transportprotein für Eisen in der Zirkulation und ist in der Regel zu 30 % seiner totalen Eisenbindungsfähigkeit (TEBK) mit Eisen gesättigt (Transferrinsättigung, TfS 30 %). Bei Eisenmangel ist die Tf-Konzentration erhöht und die TfS unter 16 %. Bei Zuständen mit Eisenüberladung wie der Hämochromatose ist TfS ≥ 50 %. In der Bevölkerung haben Personen mit einer TfS ≥ 50 % ein erhöhtes Risiko der vorzeitigen Mortalität (Odds-Ratio 1,3 bei Männern und 1,5 bei Frauen) im Vergleich zu Personen mit niedrigeren Werten /15/. Tf ist ein negatives Akute-Phase Protein und bei systemischer Inflammation ist seine Konzentration erniedrigt. Siehe auch Beitrag 7.5 – Transferrin-Sättigung (TfS).

Tabelle 18.1-2 Verteilung von Plasmaproteinen zwischen intravaskulärem und interstitiellem Raum /1/

Protein

MG (kD)

Intravaskulär (%)

Albumin

66

42

Haptoglobin 1-1

85

50

Haptoglobin 2-2

160

75

IgA

160

41

IgG

144

44

IgM

971

77

α2-Makroglobulin

720

92

Transferrin

80

32

Tabelle 18.1-3 Indikationen zur Bestimmung von Plasmaproteinen

Indikation

Plasmaprotein

Akute und chronische Lebererkrankung, Oedeme

Albumin

Frühkindliche Leberzirrhose, Lungenemphysem des Erwachsenen

α1-Antitrypsin

Chronischer Alkoholismus

Carbohydrate deficient transferrin

Hereditäres Angioödem, Capillary leak syndrome

C1-Esterase-Inhibitor

Immunkomplex Erkrankung

Komplement C3, C4

Akute-Phase Reaktion, viral bedingt

C-reaktives Protein, Serumamyloid A-Protein

Akute Hepatitis nicht viraler Genese, M. Wilson

Coeruloplasmin

Hämolytische Reaktion

Haptoglobin, Hemopexin

Atherosklerose Risiko

Lipoprotein (a), Apolipoprotein A-I, Apolipoprotein B

Chylomikronämie Syndrom

Apolipoprotein C-II

Hyperlipoproteinämie Typ III

Apolipoprotein E

GFR von 80–30 [ml × min–1 × (1,73 m2)–1

Cystatin C

Protein- und Status der Ernährung bei Schwerkranken oder in Hungergebieten

Retinol-bindendes Protein, Transthyretin, Albumin

Allergiediagnostik

IgE

Humoraler Immunmangel

IgM, IgG, IgA

Chronisch aktive, cholestatische oder alkoholische Lebererkrankung

IgM, IgG, IgA

Ausmaß der Immunaktivierung bei inflammatorischen und autoimmunen Erkrankungen

Neopterin

Eisenturnover bei erniedrigtem Speichereisen (Ferritin niedrig) oder bei Inflammation, Hämochromatose

Transferrin und/oder Transferrinsättigung

Tabelle 18.1-4 Plasmaproteine der ERM-Referenzmaterialien /12/

ERM-DA470/IFCC

  • Albumin

Haptoglobin

  • α2-Makroglobulin

IgA

  • α1-saures Glykoprotein

IgG

  • α1-Antitrypsin

IgM

  • C3c

Transferrin

  • C4

Transthyretin

ERM-DA472/IFCC

  • C-reaktives Protein (CRP)

Tabelle 18.2-1 Referenzintervalle für Totalprotein

Serum/Plasma

Erwachsene /5/

66–83

Kinder /6/

  • 1–30 Tage

42–62

41–63

  • 31–182 Tage

44–66

47–67

  • 183–365 Tage

56–79

55–70

  • 1–18 Jahre

57–80

57–80

Urin

Bis zu 0,15

CSF

0,2–0,4

Extravasale Flüssigkeit

Siehe Kapitel 47 – Extravasale Körperflüssigkeiten

Daten in g/l. Angegeben sind 2,5. und 97,5. Perzentilen.

Tabelle 18.2-2 Erkrankungen und Zustände, die eine Hypoproteinämie verursachen können

Synthesestörung – Antikörpermangel-Syndrom (AKMS): Sowohl das konnatale AKMS als auch die transitorische Form des AKMS werden klinisch evident, wenn die Eigensynthese der Antikörper ausbleibt. Ein AKMS kann sich auch erst im Erwachsenenalter manifestieren (Spätmanifestations-Typ) oder sekundär als Folge einer anderen Grunderkrankung ausbilden.

– Analbuminämie: Seltenes Krankheitsbild, tritt familiär oder beim nephrotischen Syndrom auf. Die familiäre Analbuminämie ist ohne Krankheitswert.

– Schwere Lebererkrankung: Durch weitgehenden Schwund der Leberparenchymzellen, z.B. bei foudroyant verlaufender Virushepatitis oder der toxischen Leberschädigung, wird eine Hypoproteinämie von 40–50 g/l gefunden. Das Albumin ist auf Werte bis 15 g/l vermindert. Bei Leberzirrhose, akuter und chronischer Hepatitis ist das TP nahezu immer normal.

Protein-Mangelernährung Hungerzustände, psychisch ausgelöste Anorexie, gastrointestinale Tumoren, Mangeldystrophie bei Kindern: Mangel- und durch Fehlernährung bedingte Hypoproteinämien treten auf, wenn zu wenig oder kein tierisches Protein aufgenommen wird. Das TP fällt dabei nicht innerhalb von Tagen, sondern erst nach Wochen ab, denn Albumin läuft aus dem extravaskulären Pool nach. Es resultiert erst ein Abfall, wenn der Albuminpool zu zwei Drittel vermindert ist. Protein- und Kalorien-Mangel liegen beim Marasmus vor, nur Proteinmangel bei Kwashiorkor und Mehlnährschäden. Die Bestimmung von TP ist kein Indikator zur frühen Erkennung einer Proteinmangel-Ernährung.

Malabsorptions-Syndrom: Beim Malabsorptions Syndrom mit chronischen Durchfällen (Coeliakie, Nahrungsmittel-Allergie, Disaccharidase-Mangel, Mukoviszidose, selektiver IgA-Mangel) kommt es auf Grund von Störungen der Proteinresorption und von Proteinverlust in den Darm zu einer Hypoproteinämie. Bei der Sprue treten im akuten Stadium Werte von 30–40 g/l auf. Eine Verminderung der Serumproteine kann schon früher als die klinische Symptomatik existent sein, gelegentlich wird eine Agammaglobulinämie diagnostiziert.

Protein-Verlustsyndrom – Glomerulonephritis mit Proteinurie, nephrotisches Syndrom: Die Hypoproteinämie resultiert aus der Albuminurie. Der exogene Proteinverlust steht jedoch nicht in direkter Beziehung zur Hypoalbuminämie. Ursache ist zum einen, dass nur bei einem Teil der Patienten die Leber eine erhöhte Albuminsyntheserate zeigt, zum anderen, dass der beim nephrotischen Syndrom ebenfalls verstärkt ablaufende Albuminkatabolismus individuell verschieden ist.

– Exsudative Enteropathie: Bei exsudativer Enteropathie (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Ménétrier-Syndrom, Polyposis, Divertikulosis des Kolons, Lymphabflussstörungen) liegt eine Proteinsekretion in dem Darm vor, das TP ist 30–50 g/l. Gegenüber dem nephrotischen Syndrom ist der Proteinverlust nicht selektiv, die Blutsenkungsreaktion ist deshalb nicht oder nur unbedeutend erhöht. Die Sicherung der Diagnose erfolgt durch Bestimmung der Radioaktivität im Stuhl nach intravenöser Gabe von 51Cr-markiertem Albumin. Gesunde Personen haben im Stuhl weniger als 1 % der i.v. gegebenen Albuminmenge.

– Hauterkrankungen: Das TP kann bei Verbrennungen, nässenden Ekzemen und bullösen Dermatosen erniedrigt sein. Die Dysproteinämie gleicht derjenigen bei enteralem Proteinverlust. Bei bullösen Dermatosen erscheinen die Proteine in den Blasen in nahezu derselben Zusammensetzung wie im Serum.

– Ascites, Pleuraexsudat: Bei diesen Zuständen tritt eine Hypoproteinämie auf, besonders dann, wenn die Ergüsse mehrfach punktiert werden.

– Chron. Hämodialyse: Erniedrigung des TP durch fortwährenden Albuminverlust.

Pseudohypoproteinämie: Bei Infusionstherapie, Polydipsie und in der Schwangerschaft kommt es physiologisch oder therapeutisch bedingt zu einer Expansion des intravasalen Volumens, z.B. etwa 50 % in der Schwangerschaft.

Hämorrhagische Anämie: Bei akuten Blutungen nach außen ist das TP gewöhnlich vermindert, da mit den Erythrozyten auch Protein verloren geht. Die Erythrozytenzahl fällt nach 12–24 h unter die untere Referenzbereichsgrenze, erreicht den Nadir nach 48–72 h und hat nach 2–4 Wochen wieder prähämorrhagische Werte. Das TP fällt nach 4–6 h unter die untere Referenzbereichsgrenze, erreicht den Nadir nach 12–24 h und hat wieder nach 1–3 Wochen prähämorrhagische Werte. Bei hämolytischer Anämie fällt TP nicht ab und gering nach akuten inneren Blutungen, z.B. in den Gastrointestinaltrakt /7/.

Tabelle 18.2-3 Erkrankungen und Zustände, die eine Hyperproteinämie verursachen können

Monoklonale Gammopathie – Multiples Myelom, Makroglobulinämie Waldenström: Ausgeprägte Hyperproteinämien können bei diesen Erkrankungen auftreten. Die Proteinerhöhung im Serum ist jedoch ein relativ spät auftretendes Symptom. Bei gezielter klinischer Diagnostik haben nur etwa 10 % der Patienten mit multiplen Myelom Proteinwerte über 80 g/l zum Zeitpunkt der Diagnosestellung. Freie Leichtkettenmyelome können mit einer subnormalen TP-Konzentration einhergehen.

Chronisch-entzündliche Erkrankungen: Hyperproteinämien bei chronischer Entzündung beruhen auf einer Vermehrung der γ-Globuline und gehen selten mit TP-Werten über 90 g/l einher. Solche Erkrankungen sind z.B. autoimmune Hepatitis, aktive Sarkoidose, gewisse Formen der Lungentuberkulose, Sepsis lenta, Lues, Lepra, Malaria, Lymphogranuloma inguinale, Schistosomiasis, Kala-Azar.

Leberzirrhose: Ein Teil der Patienten mit Leberzirrhose hat im kompensierten Stadium eine Erhöhung des TP. Die γ-Globulinvermehrung wird in diesen Fällen nicht durch eine entsprechende Albuminverminderung ausgeglichen. Bei länger dauernder Zirrhose fällt das TP langsam ab und geht im dekompensierten Stadium mit dem Auftreten von Ascites und Ödemen in eine Hypoproteinämie über.

Pseudohyperproteinämie durch Dehydratation: Bei unveränderter Proteinmenge ist das Plasmavolumen durch Wasserverlust vermindert. Meist ist der Hämatokrit ebenfalls erhöht. Ursachen einer Dehydratation sind Durchfälle, Erbrechen, Dursten, Schwitzen, Diabetes insipidus, polyurische Phase des akuten Nierenversagens.

Tabelle 18.3-1 Referenzbereiche der Serumprotein-Elektrophorese

Konzentrationsverteilung der getrennten Fraktionen in % des Totalproteins für Erwachsene

Anfärbung

Albumin

α1-Globulin

α2-Globulin

β-Globulin

γ-Globulin

Zelluloseazetat (Amidoschwarz) /2/

60,6–68,6

1,4–3,4

4,2–7,6

7,0–10,4

12,1–17,7

Zelluloseazetat (Ponceaurot S) /5/

55,3–68,9

1,6–5,8

5,9–11,1

7,9–13,9

11,4–18,2

Kapillarzonen-Elektrophorese /6/

53,1–66,4

3,2–5,7

7,5–12,4

9,0–13,7

10,3–19,6

* Angabe der 2,5. und 97,5. Perzentilen

Konzentrationsverteilung der getrennten Fraktionen in g/l /2/*

Fraktion

Neugeborene

Säuglinge bis 1 Jahr

Kleinkinder bis 6 Jahre

Schulkinder

Erwachsene

Albumin

32,7–45,3

35,7–51,3

33,1–52,2

40,0–52,5

35,2–50,4

α1-Globuline

1,1–2,5

1,3–2,5

0,9–2,9

1,2–2,5

1,3–3,9

α2-Globuline

2,6–5,7

3,8–10,8

4,3–9,5

4,3–8,6

5,4–9,3

β-Globuline

2,5–5,6

3,5–7,1

3,5–7,6

4,1–7,9

5,9–11,4

γ-Globuline

3,9–11,0

2,9–11,0

4,5–12,1

5,9–13,7

5,8–15,2

Die Werte gelten für Ponceaurot S-gefärbte Proteinfraktionen auf Zelluloseazetatfolie

Tabelle 18.3-2 Reaktionskonstellationen in der Serumprotein-Elektrophorese /7/

Reaktionskonstellation

Typus

Albumin

α1-Globulin

α2-Globulin

β-Globulin

γ-Globulin

Akute Entzündung

(↑)

n

Chronisch-reaktive entzündliche und proliferative Prozesse

n

n

Akute virale Hepatitis

n

n

n

Leberzirrhose

↓↓

n

n

n

↑↑

Verschlussikterus

Nephrotisches Syndrom

↓↓

n

↑↑

Maligner Tumor

γ-Globulin-Myelom

n

n

n

↑↑

Zeichenerklärung: ↑ vermehrt, ↓ vermindert, ↑↑ stark vermehrt, ↓↓ stark vermindert

Tabelle 18.3-3 Dysproteinämien mit M- und Extra-Gradienten /2/

Bereich des Gradienten

Erkrankung bzw. Ursache

Präalbumin

Bei mehrwöchigem Stehen des Serums können zwei Präalbuminbanden auftreten.

Saure Substanzen, z.B. Metabolite von Medikamenten wie Salizylsäure, die fest an Albumin gebunden sind, können zur Abtrennung einer schnell wandernden Albuminfraktion führen, die dann in Präalbuminposition liegt.

Schnell wandernde Albuminfraktion bei Formen der Albuminallomorphie (Bisalbuminämie).

Albumin

Langsam wandernde Albuminfraktion bei der heterozygoten Albuminallomorphie.

Langsam wandernde Albuminfraktion nach Kontamination des Serums mit Metallen, z.B. Kupfer.

Schneller wandernde Albuminfraktion nach parenteraler Behandlung mit hohen Dosen Penicillin.

Starke Hyperbilirubinämie, meist nicht als Extragradient, sondern als verstärkte anodische Front.

M-Gradient (extrem selten, nicht in der Literatur gesichert).

α1-Bereich

M-Gradient (sehr selten).

α2-Bereich

Gradient kann im kathodischen Teil existent werden bei stärkerer intravaskulärer Hämolyse auf Grund von Haptoglobin-Hämoglobin-Komplexen.

α2-β-Zwischenbereich

M-Gradient (selten).

Freies Hämoglobin auf Grund intravaskulärer oder in vitro-Hämolyse, z.B. bei Blutentnahme, die Fraktion ist rötlich gefärbt.

Denaturiertes Protein an der Auftragestelle, wenn der Serumauftrag nicht kathodisch versetzt erfolgt (Zelluloseazetatfolien-Elektrophorese), es wird eine doppelte α2-Fraktion vorgetäuscht.

M-Gradient (monoklonales Ig oder monoklonale freie Leichtketten).

β-Bereich

Abnorm hohe Konzentration von β-Lipoprotein (Hypercholesterinämie) kann einen im kathodischen Teil der β-Fraktion liegenden Gradienten verursachen.

M-Gradienten liegen am zweit häufigsten in der β-Region, meist durch monoklonales IgA bedingt.

β–γ-Zwischenbereich

Fibrinogen führt zu Extragradienten, wenn Plasma (Heparin, EDTA, Citrat) aufgetrennt wird, wie das bei Dialysepatienten und Intensivpatienten häufig der Fall ist.

M-Gradienten bei M. Waldenström. Häufig auch bei den fakultativ mit monoklonaler Gammopathie einhergehenden lymphoretikulären Erkrankungen. M-Gradienten liegen am dritthäufigsten im β–γ-Zwischenbereich.

γ-Bereich

Häufigste Position der M-Gradienten, besonders beim IgG-Myelom. Bei der M. Waldenström ist der M-Gradient nicht selten im kathodischen Teil der γ-Globulin-Fraktion oder sogar an die Auftragestelle bei kathodisch versetztem Serumauftrag lokalisiert.

Extragradienten diskreter bis mittlerer Intensität können bei hoher Konzentration von Immunkomplexen, z.B. Immunkomplex-Krankheiten, auch bei Leberzirrhose, Herz- und Gefäßerkrankungen sowie bei Karzinomen auftreten. Auch Degradationsprodukte von Immunglobulinen in alten Seren sowie hohe Konzentrationen von Plasmaexpandern können Extragradienten verursachen. Die Therapie mit monoklonalen Antikörpern kann ebenfalls kleine M-Gradienten bewirken.

Tabelle 18.3-4 Reflex testing bei Auffälligkeiten in der Serumprotein-Elektrophorese (n = 5.992) /13/

SPE-Auffälligkeiten

Wiederholte

Fälle

Immunfixation,

positive Fälle

Alle

790 (13,2 %)

341 (43 %), davon 9 freie Leichtketten

M-Gradient

169

169 (100 %)

Extragradient

206

112 (54 %), davon 4 freie Leichtketten

Fragliche Extragradienten

263

47 (18 %)

Hypo-γ-Globulinämie (< 5,5 g/l)

85

10 (12 %), davon 5 freie Leichtketten

Erhöhte β-Fraktion (16–19 g/l)

10

1 (10 %)

Erhöhte α2-Fraktion (≥ 14 g/l)

48

2 (4 %)

Breite oder extra α2-Fraktion

9

0

Tabelle 18.4-1 Referenzbereich von Albumin im Serum /2/

Erwachsene

bis 60. Lj.

35–53

> 60. Lj.

34–48

> 70. Lj.

33–47

> 80. Lj.

31–45

> 90. Lj.

30–45

Kinder

Neugeborene

35–49

1. Lj.

36–50

2.–20. Lj.

37–51

Angaben in g/l, die Perzentilen 2,5 und 97,5 sind angegeben

Tabelle 18.4-2 Erkrankungen und Zustände mit Hypoalbuminämie /23/

Schwangerschaft: Die Albuminkonzentration fällt kontinuierlich während der Schwangerschaft ab, bedingt durch eine Zunahme des Plasmavolumens von im Mittel 40 %. Die Konzentration von Albumin ist im letzten Drittel der Schwangerschaft um etwa 20 % niedriger als vor der Schwangerschaft, obwohl die Albuminmasse absolut um 20 % zunimmt /5/. Die Albuminausscheidung ist in der Schwangerschaft erhöht und steigt mit der Schwangerschaftsdauer an.

Akute-Phase Reaktion: Albumin ist ein negatives Akute-Phase Protein und wird kompensatorisch vermindert synthetisiert während einer Akute-Phase Reaktion. Neben der verminderten Synthese spielen folgende weitere Mechanismen eine Rolle: Verstärkter Übertritt in den interstitiellen Raum, Hämodilution, verstärkter Katabolismus und ein erhöhter onkotischer Druck auf Grund der erhöhten Plasmakonzentration von Akute-Phase Proteinen. Ob eine Entzündungs bedingte Hypoalbuminämie vorliegt, kann mittels der Serumprotein-Elektrophorese oder durch Bestimmung des C-reaktiven Proteins festgestellt werden. Auch die Tumor-bedingte entzündliche Reaktion verursacht eine Hypoalbuminämie.

Poly- und monoklonale Gammopathien: Die chronische Entzündung mit polyklonaler Gammopathie verursacht eine Hypoalbuminämie. Das ist auch der Fall beim multiplen Myelom mit einem hohen M-Gradienten. Bei dieser Erkrankung weist im Verlauf ein Abfall des Albumins auf eine schlechte Prognose hin.

Leberzirrhose: Bei Leberzirrhose liegt gewöhnlich eine Hypoalbuminämie vor. Die Verminderung von Albumin beruht zum einen auf einer Zunahme des onkotischen Drucks durch die Erhöhung der Konzentration von Immunglobulinen im Plasma, zum anderen auf einem Verlust von Albumin in den dritten Raum. Es besteht keine Korrelation der Leberfunktion mit der Albuminkonzentration. Alkohol bewirkt eine akute Verminderung der Albuminsynthese bei diesen Patienten. Bei Leberzirrhose korreliert die Konzentration von Albumin nicht mit der Schwere der Erkrankung, jedoch weist eine Konzentration unter 30 g/l auf eine schlechte Prognose hin. Bei akuten Leberschäden kann die Albuminkonzentration lange Zeit normal gehalten werden, erst bei schwerer Parenchymzellschädigung kommt es zum Abfall /6/.

Bei der Leberzirrhose ist die funktionelle Aktivität des Albumins erheblich beeinträchtigt, was die Leberfunktion verschlechtert. Zusätzlich ist die Albuminkonzentration vermindert was zur weiteren Funktionseinschränkung führt. Beide Ursachen gemeinsam sind mit einer verminderten Überlebensrate assoziiert /7/.

Proteinmangel-Ernährung: Bei alten Patienten und bei der Untersuchungen von Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern werden Albumin und/oder Retinol-bindendes Protein und/oder Transthyretin als Indikatoren einer mangelnden Proteinernährung eingesetzt. Nach einer Studie /8/ an hungernden Kindern in Zaire war eine Albuminkonzentration unter 16 g/l der beste Indikator des zu erwartenden Todes.

Postoperative Mortalität: Risikofaktoren einer erhöhten Mortalität bei Patienten über 75 J. in der Herzchirurgie sind präoperativ neben verschiedenen Kreislaufparametern eine Albuminkonzentration unter 40 g/l /9/.

Akutes Trauma: Unfallpatienten mit einer Albuminkonzentration unter 34 g/l bei Klinikaufnahme haben eine 2,5 fach schlechtere Überlebensrate als diejenigen mit darüber liegenden Werten /10/.

HIV-Infektion: Serumalbumin hat eine prognostische Aussage bei HIV-infizierten Frauen. Patientinnen mit einem Albumin unter 35 g/l haben 5 fach mehr Beschwerden als diejenigen mit einem Albuminwert über 42 g/l und die Zahl mit einer 3-Jahres-Überlebenszeit ist deutlich geringer /11/.

Kritisch Kranke: Bei intensivmedizinischen Patienten ist die Hypoalbuminämie ein häufiger Befund. Patienten, die nicht überleben, haben niedrigere Albuminwerte als diejenigen mit einem positiven Ausgang, eine Reflektion, warum Albumin ein Kriterium des Acute Physiology and Chronic Health Evaluation score (APACHE III) ist. Ursachen der Hypoalbuminämie sollen ein verstärkter Katabolismus, eine verminderte Synthese und ein Capillary leakage sein. Eine weitere Ursache ist die Verkürzung der Halbwertszeit, die aber eher eine erhöhte Syntheserate für Albumin voraussetzt. So war in einer Studie /12/ bei kritisch Kranken die Halbwertszeit von normal etwa 19 Tagen auf 11,8 (10,8–12,9) Tage verkürzt.

Analbuminämie: Eine Analbuminämie (MIM 103600) oder idiopathische Hypoalbuminämie sollte vermutet werden, wenn das Serumalbumin im Bereich von 0,001–10 g/l beträgt. Die Inzidenz in der Bevölkerung ist niedriger als 1 auf 1 Million. Es handelt sich um eine hereditäre Störung. Die betroffene Person muss von beiden Eltern ein abnormes Allel erben. Bisher sind 13 verschiedene Defekte in der kodierenden Region des Albumingens und seinen Intron-Exon-Verbindungen erkannt worden /13/. Die Analbuminämie ist eine heterogene allelische Erkrankung mit homozygoten oder Compound heterozygoten Vererbungsmodus. Die häufigste Ursache soll die Kaysei-Mutation sein, bedingt durch eine homozygote AT-Deletion der Nukleotide c.228–229, der Basen 91 und 92 des Exons 3 /14/.

Die Symptome sind mild, die Personen haben angedeutete Oedeme, klagen über Müdigkeit und haben eine Hyperlipidämie mit Erhöhung des Cholesterins und der Phospholipide, da eine Transportstörung für diese Lipide vorliegt. Eine kompensatorische Erhöhung der γ-Globuline hält den kolloidosmotischen Druck aufrecht. Auf Grund der erhöhten Konzentration von LDL-Cholesterin ist die Ausbildung einer Atherosklerose möglich.

Tabelle 18.5-1 AAT-Mangel und assoziierte Erkrankungen

Genotyp

AAT-Wert (g/l)

COPD-Risiko

Risiko

Lebererkrankung

ZZ

≤ 0,30

Sehr hoch

Hoch

ZNull

≤ 0,30

Sehr hoch

Unbekannt

MZ

≤ 1,0

Mögl. erhöht

Mögl. erhöht

MNull

≤ 1,0

Unbekannt

Kein

SZ

≤ 0,70

Erhöht

Mögl. erhöht

NullNull

Nicht messb.

Sehr hoch

Kein

Tabelle 18.5-2 AAT-Konzentration und SERPINA1 Genvarianten /9/

AAT (g/l)

Varianten

Über 1,03 bis ≤ 1,13

86,5 % mit PIMM

Über 0,93 bis ≤ 1,03

53,5 % mit PIMM

Über 0,83–0,93

54,9 % mit PIMS

Über 0,73 bis ≤ 0,83

76,4 % mit PIMZ

Tabelle 18.5-3 Klinische Manifestationen des AAT-Mangels

Chronic obstructive pulmonary disease (COPD) /16/: Die klassische klinische Präsentation des hereditären α1-Antitrypsin-Mangels ist das schwere früh auftretende panacinäre Emphysem des Erwachsenen mit distaler Prädominanz. Es kann aber auch in diffuser Verteilung in den Oberlappen auftreten. Brochiektasien mit oder ohne Emphysem sind weniger häufig /1/. Die AAT-Mangel bedingte COPD tritt selten vor dem 30. Lj. auf. Das COPD Risiko ist davon abhängig, ob das Z-Allel in einer homo- oder heterozygoten Kombination präsent ist und kann 1,5–12 fach erhöht sein. In der Normalbevölkerung hat eine von 100 Personen ein Z-Allel aber bei den Patienten mit COPD hat das Z-Allel eine Prävalenz von 10 %.

Klinik: Dyspnoe ist das vorherrschende Symptom, aber chronischer Husten und Keuchen sind ebenfalls nicht selten. Während die typische COPD des Rauchers erst im 6. bis 8. Lebensjahrzehnt beginnt und hauptsächlich Veränderungen in den oberen Lungenbereichen zeigt, präsentieren sich bei AAT-Mangel Nichtraucher oder leichte Raucher schon in der 4. bis 5. Lebensdekade mit COPD, wenn sie die genetischen Varianten ZZ, ZNull und Null/Null haben. Personen des PISZ-Genotyps haben ein hohes COPD-Risiko wenn sie rauchen, aber ein generell niedrigeres Risiko als die PIZZ-Genotypen. Der AAT-Mangel ist zu 1–3 % die Ursache einer COPD. Die meisten AAT-Mangeltypen, die eine COPD entwickeln, sind Raucher und etwa 70 % sterben im Alter um die 50 J. Ein Teil dieser Patienten ist schon in der Kindheit mit einer Lebererkrankung auffällig geworden. Personen mit schwerem AAT-Mangel, die weder Rauchen, noch schädigenden inhalativen Substanzen ausgesetzt sind, haben möglicherweise eine normale Lebenserwartung /17/. Bei Kindern treten bis zum 7. Lj. keine durch Lungenfunktionstests feststellbaren Veränderungen auf. Nach einer Studie /18/ hatten 85 % von 246 hospitalisierten PIZZ-Rauchern eine COPD und 58 % der Nichtraucher. Der mediane Beginn der klinischen Symptomatik betrug bei den Rauchern 40 J. und bei den Nichtrauchern 53 J. Das mittlere Alter des Versterbens lag bei den Rauchern bei 53 J. und bei den Nichtrauchern bei 63,5 J.

Labordiagnostik:10–15 AAT-Varianten gehen mit einer Konzentration unter 0,45 g/l einher. Das PI*Z-Allel ist zu 95 % involviert. Die Präsenz eines ZZ-Phänotyps ist nahezu sicher, wenn der AAT-Wert ≤ 0,30 g/l ist. Der erste Test bei Verdacht auf eine COPD ist die Bestimmung von AAT. Eine niedrige Konzentration weist auf einen genetische Defekt hin, der therapeutisch ein Ersatz von AAT erfordert. Bestehen bei einem Patienten mit COPD häufige Exacerbationen trotz der Anwendung von Brochodilatatoren, so hilft die Bestimmung der Eosinophilenzahl weiter. Liegt diese über 300 x 106/l ,so bestätigt das eine gute Response, Werte von (100-300) x 106/l weisen auf eine mäßige Response und Werte unter 100 x 106/l sind das Zeichen keiner Response, und das Risiko einer Pneumonie ist erhöht /16/.

Lebererkrankung: Der AAT-Mangel ist die häufigste hereditäre Lebererkrankung. Die Schädigung der Leber, die mit einem AAT-Mangel assoziiert ist, beruht auf hepatozellulären Einschlusskörperchen. Homozygote mit dem Phänotyp ZZ synthetisieren AAT, können dies aber nicht aus dem rauen endoplasmatischen Retikulum ausschleusen. Es resultiert eine AAT-Aggregation in den Hepatozyten bei Patienten mit den Allelen Z, Mmalton und Siijama. Wird das aggregierte Protein nicht degradiert, kommt es zur Nekrose der Hepatozyten und potentiell zur Leberzirrhose.

Neonatalperiode: Etwa 35 % aller Lebererkrankungen in dieser Periode sind durch einen AAT-Mangel bedingt. 10 % der ZZ-Homozygoten entwickeln eine neonatale Cholestase, aus der sich in bis zu 13 % eine Leberzirrhose entwickelt. Bei 18 % der Neugeborenen des ZZ-Phänotyps wurden Zeichen einer Lebererkrankung innerhalb der ersten 6 Monate diagnostiziert und nach 2 Jahren hatten noch 25 % pathologische Leberwerte (ALT, AST) /10/. Das Zirrhoserisiko bei denjenigen mit gestörter Leberfunktion betrug 50 %, 25 % verstarben in der ersten Lebensdekade und 2 % entwickelten im späteren Lebensalter eine Leberzirrhose. Das häufige Auftreten einer Lebererkrankung bei neugeborenen ZZ-Phänotypen gegenüber dem nur sporadischen Auftreten im Kindes- und Jugendalter wird mit der mangelnden Fähigkeit der Neugeborenenleber erklärt, die Proteinaggregate zu degradieren /19/. Bei den Kindern kann die Lebererkrankung trotz normaler Lebertests kontinuierlich durch Fibrosierung fortschreiten und erst im höheren Lebensalter symptomatisch werden.

Erwachsene: Etwa 20 % der Patienten mit schwerem AAT-Mangel entwickeln eine Leberzirrhose und 7 % ein Leberzellkarzinom. Bei vielen erwachsenen ZZ-Phänotypen besteht eine Balance zwischen globulärer Ausfällung des aggregierten AAT und dessen Degradation. Oft wird erst im hohen Lebensalter eine Leberzirrhose entwickelt. So hatten nur 2 % der 20–50-jährigen PIZZ-Phänotypen eine Leberzirrhose, aber 19 % derjenigen im Alter über 50 J. /18/. In einer Studie /20/ erfolgte bei Personen im Alter von 30 J., bei denen im Neugeborenen-Screening die Genotypen PIZZ und PISZ diagnostiziert wurden, eine Prüfung der Leber durch die Bestimmung der Aminotransferasen und der GGT. Alle hatten normale Enzymaktivitäten, diese waren aber deutlich höher als die gesunder Kontrollpersonen.

Panniculitis: Die nekrotisierende AAT-Mangel bedingte Panniculitis ist eine seltene Form der Panniculitis und ist mit den Phänotypen ZZ, SZ und SS assoziiert. Die Prävalenz beträgt 1 auf 1.000 Personen mit AAT-Mangel. Befallen sind bevorzugt der Körperstamm und die oberen Extremitäten /19/. Es handelt sich um schmerzhafte Hautknoten mit Arealen von Fettgewebsnekrosen.

Tabelle 18.5-4 Charakteristika ausgewählter α1-Antitrypsin-Varianten, nach Lit. /25/

Allele

Mutationstyp

Zellulärer Defekt

Krankheits­assoziation

Normale Allele

Substitution (1bp)

Keiner

Normal

Mangelallele

  • S

Glu264Val

Intrazelluläre Degradation

Lunge

  • Z*

Glu342Lys

Intrazelluläre Akkumulation

Lunge, Leber

  • Mmalton

Phe52del oder Phe51del

Intrazelluläre Akkumulation

Lunge, Leber

  • Siijama

Ser53Phe

Intrazelluläre Akkumulation

Lunge

  • Mheerlen

Pro63Leu

Intrazelluläre Degradation

Lunge

  • Mprocida

Leu41Pro

Intrazelluläre Degradation

Lunge

  • Mmineral springs

Gly67Glu

Intrazelluläre Degradation

Lunge

Null-Allele

  • QOgranin falls

Tyr160X

Keine mRNA

Lunge

  • QOludwigshafen

Ile92Asn

Kein Protein

Lunge, Leber

  • QOhong kong

Leu318LeufsX17

Intrazelluläre Akkumulation

Lunge

  • QOisola di procida

17 kb Deletion im Exon 2–5

Keine mRNA

Lunge

Dysfunktionelle Allele

  • F

Arg223Cys

Defekte Elastasehemmung

Lunge

  • Pittsburg

Met358Arg

Antithrombinaktivität

Blutungs-diathese

  • Mmineral springs

Gly67Glu

Defekte Elastasehemmung

Lunge

  • Z*

Glu342Lys

Defekte Elastasehemmung

Lunge, Leber

* Dysfunktion bezugnehmend der Hemmung der Elastaseaktivität polymorphkerniger Granulozyten.

Tabelle 18.6-1 Effekte des Alkohol (Äthanol) Konsums

Äthanolmetabolismus: Äthanol wird im Zytoplasma der Leberzelle über die Alkoholdehydrogenase zu Acetaldehyd dehydriert und in den Peroxisomen des glatten endoplasmatischen Retikulums durch eine H2O2-abhängige Peroxidase zu Acetaldehyd oxidiert. Acetaldehyd wird dann in den Mitochondrien zur Energiegewinnung verwendet (Abb. 18.6-1 – Metabolisierung von Äthanol). Die Oxidation von Äthanol führt zu einer vermehrten Produktion von NADH, woraus folgende metabolische Störungen resultieren können /20/:

  • Hyperlaktatämie und metabolische Azidose.
  • Hyperurikämie durch die Azidose bedingte verminderte Harnsäureausscheidung.
  • Hemmung der Glukoneogenese mit erhöhter Bildung von α-Glycerophosphat, Hemmung des Citratzyklus und der Fettsäureoxidation (Abb. 18.6-1). Die Hemmung der Fettsäureoxidation begünstigt eine Steatose der Leber und Hyperlipidämie mit einer Erhöhung aller Lipoproteinklassen inklusive der HDL.

Die Äthanolmenge pro alkoholischen Getränk ist aufgeführt in Tab. 18.6-2 – Alkolmenge pro Drink.

Alkoholgenuss kann zu akuten Veränderungen von Laboruntersuchungen führen (Tab. 18.6-3 – Akute metabolische Veränderung nach Alkoholkonsum).

Äthanol – Aufnahme und -resorption: Alkohol ist Äthanol (chemische Formel CH3CH2OH), hat ein MG von 46 D und eine Dichte von 0,79. Wurde ein anderer Alkohol konsumiert muss er spezifisch identifiziert und seine medzinische Wirkung bewertet werden 

Eine vor dem Alkoholkonsum erfolgte Nahrungsaufnahme verlangsamt die Alkoholresorption im Magen-Darm-Trakt. Eine beschleunigte alkoholische Wirkung tritt nach warmen alkoholischen Getränken (Glühwein, Grog, Punsch), in der Kombination von Alkohol und Zucker (Likör) und in der Kombination von Alkohol und Kohlensäure (Sekt, Long Drink) auf.

Nach Resorption im Magen-Darmtrakt wird der Alkohol über die Pfortader der Leber zugeführt und im Cytoplasma und dem glatten endoplasmatischen Retikulum der etwa 300 × 109 Hepatozyten metabolisiert. Beim Trinken von 0,5 Liter Lagerbier und einem Korn (gemeinsam 22 g Alkohol) wird, nüchtern getrunken, ein Blutalkoholwert von 0,44 ‰ erzielt, der nach 2–3½ h wieder abgebaut ist.

– Medikamente: Der chronische Genuss von Alkohol induziert die Synthese mikrosomaler Alkohol oxidierender Enzyme /2/. So kommt es zu einer 5–10 fachen Erhöhung von Cytochrom P-4502E1, dem wichtigsten Enzym der Alkoholoxidation. Die Induktion dieses Enzyms führt zur Alkoholtoleranz und hat auch Auswirkungen auf die Metabolisierung von Medikamenten (Abb. 18.6-4 – Biochemische Wirkung von Äthanol). So ist bei Personen mit chronischem Alkoholgenuss die Clearance von Meprobamat, Pentobarbital, Propranolol, Antipyrin, Diazepam, Warfarin und Rifampicin erhöht. Cytochrom P-4502E1 metabolisiert viele exogene Substanzen und Medikamente in toxische Metaboliten. So auch Acetaminophen, das mit Alkohol um Cytochrom P-4502E1 kompetiert, wenn der Alkoholiker Acetaminophen zur Verminderung seiner alkoholischen Symptomatik nach dem Alkoholkonsum einnimmt. In dieser Situation ist die Cytochrom P-4502E1-Aktivität, stimuliert durch Alkohol, noch hoch, die Alkoholkonzentration im Blut aber schon wieder niedrig, so dass keine wesentliche Kompetition von Acetaminophen und Alkohol mehr besteht und Acetaminophen sehr schnell metabolisiert wird unter Bildung toxischer Radikale. Da Alkohol auch die Synthese von reduziertem Glutathion hemmt, steht eine ungenügende Menge an Radikalfängern zur Verfügung. Werden 2,5–4 g Acetaminophen eingenommen, kann es durch die freien Radikale zur toxischen Leberschädigung kommen.

Im Gegensatz zum chronischen Alkoholkonsum kommt es beim gelegentlichen Trinken nicht zu einer stärkeren Stimulation der Cytochrom P-4502E1-Aktivität und Drogen wie Methadon kompetieren mit Alkohol um den Abbau durch das Enzym. Das machen sich Drogensüchtige zu Nutze. Wird vor dem Methadonabusus Alkohol getrunken, wird dessen Demethylierung in der Leber vermindert und die Konzentration bleibt längerfristig im Gehirn erhöht. Eine verstärkte Wirkung tritt auch bei der kombinierten Einnahme von Alkohol und Barbituraten oder Tranquilizern auf.

– Abusus: Der Alkoholismus ist in Europa und Nordamerika das größte Suchtproblem. So beträgt in vielen Ländern der Pro-Kopf-Verbrauch 5–10 l reinen Alkohol pro Jahr.

In den USA haben 9 % der Erwachsenen und 13 % der Trinker eine Alkohol-bedingte Erkrankung /20/. Von den Männern trinken 10 % täglich, 21 % nehmen im Mittel mindestens 60 Drinks (14 g Äthanol) pro Monat zu sich und 9 % trinken 5 oder mehr Drinks bei der gleichen Gelegenheit oder mindestens einmal pro Woche. Der Rest sind Gelegenheitstrinker. Von den Frauen trinken 3 % täglich Alkohol, 6 % mindestens 60 Drinks pro Monat und 3 % trinken mindestens 5 Drinks zur gleichen Gelegenheit. Leichter bis moderater Alkoholkonsum (bis 30 g/Tag beim Mann und bis 15 g/Tag bei der Frau), wie er von vielen Personen betrieben wird, ist bei gesunden Menschen kein Krankheitsrisiko. Mit steigendem Alkoholkonsum nehmen Alkohol assoziierte Erkrankungen, Alkoholabhängigkeit und die Mortalität zu.

Differenziert werden /21/:

  • Der riskante Alkoholkonsum, er beschreibt eine Alkoholmenge, die mit einem deutlichen Risiko für gesundheitliche Folgeschäden einhergeht. Eine solche Situation liegt vor, wenn Männer täglich mehr als 30 g reinen Alkohol (1,0 Liter Bier) und Frauen mehr als 20 g Alkohol konsumieren.
  • Der schädliche Alkoholkonsum. Bei den Personen liegen körperliche Störungen (alkoholische Hepatitis) oder psychische Störungen (depressive Episoden vor).
  • Die Alkoholabhängigkeit; auf diese Personen treffen folgende Kriterien zu: Zwang zum Alkohol, verminderte Kontrollfähigkeit im Umgang mit Alkohol, Toleranzentwicklung, körperliches Entzugssyndrom, fortschreitende Vernachlässigung, anhaltender Konsum.

Risikofaktoren des Alkoholmissbrauchs sind /22/:

  • Chronische Pankreatitis in 1–4 % der Fälle.
  • Schädigung der gastrointestinalen Mukosa (Resorptionsstörung, Blutung).
  • Alkoholische Lebererkrankung (Leberverfettung, Hepatitis, Zirrhose). Die Gefahr der Leberzirrhose ist gering bei einem Alkoholkonsum bis zu 40 g/Tag, 6 fach erhöht beim Konsum von 60 g/Tag, 14 fach erhöht bei einem Konsum von 80 g/Tag und über 50 fach bei einer Alkoholmenge darüber /23/.
  • Bakterielle Infektionen durch Störung des Immunsystems. Sie sind eine wichtige Ursache der erhöhten Krankheitsanfälligkeit des Alkoholikers.

Organische Schäden des chronischen Alkoholmissbrauchs sind in Tab. 18.6-4 – Erkrankungen bei chronischem Alkoholmissbrauch aufgeführt. Tödliche Alkoholvergiftungen zeigen bei rechtsmedizinischen Untersuchungen eine Häufigkeit bis zu 7 %. Dabei werden Alkoholkonzentrationen von 2,5–5 ‰ gemessen und 2,5–3,5 g Alkohol pro kg KG /24/.

Moderates tägliches Trinken (10–12 g Alkohol/Tag) soll das Risiko einer koronaren Herzerkrankung reduzieren. Der Risikofaktor beträgt 0,65 bei Männern im Vergleich zu denjenigen, die keinen Alkohol regelmäßig trinken /25/. Ursachen sollen sein: Erhöhtes HDL-Cholesterin, verminderte Thromboseneigung, positive Effekte auf Stressempfindung und Stresskontrolle. Episodisches Trinken großer Alkoholmengen erhöht demgegenüber das Herzinfarktrisiko deutlich.

Tabelle 18.6-2 Standard drink (USA)

Drink

Reiner Alkohol

5 fl oz (142 mL) Wein, 12 % Alkohol

14 g

5 fl oz (142 mL) Sekt, 12 % Alkohol

14 g

12 fl oz (423 mL) Reguläres Bier, 5 % Alkohol

14 g

1,5 fl oz (43 mL) Schnaps, Wodka, 40 % Alkohol

14 g

National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism (USA)

1 fluid ounze; fl oz (USA) = 28.4 ml; 1 Standard drink entspricht 14 g Alkohol

Tabelle 18.6-3 Akute metabolische Veränderungen nach Alkoholkonsum

  • Hypoglykämie, da Äthanol die hepatische Glukoneogenese ab einem Blutalkoholwert von 0,45 ‰ hemmt.
  • Erhöhung der osmotischen Lücke (siehe Beitrag 8.5.5.2 – Osmotische Lücke), da Alkohol die osmotische Lücke erhöht.
  • Erhöhung der Anionenlücke (siehe Beitrag 5.5 – Ketonkörper), da Alkohol eine Ketoazidose verursacht.
  • Lactatazidose, da bei alkoholischer Ketoazidose die Lactataufnahme der Hepatozyten durch Ketonkörper gehemmt wird.

Tabelle 18.6-4 Erkrankungen bei chronischem Alkoholmissbrauch /26/

Organsystem

Erkrankung

Leber

Fettleber, Hepatitis, Zirrhose

Nervensystem

Black-outs, Tremor, Demenz, Enzephalopathie (Wernicke)

Kardiovaskulär

Hypertonie, Arrhythmie

Atemwege

Tuberkulose, Pneumonie, Rippenfraktur

Fettstoffwechsel

Hypertriglyceridämie

Gonaden

  • Männer: Erektile Dysfunktion, Libidoverlust, reduzierte Spermienfunktion
  • Frauen: Menstruelle Unregelmäßigkeit, subfertil, Verlust sekundärer Geschlechtsmerkmale

Endokrinium

Pseudo-Cushing, Hypoglykämie

Fetus

Fetales Alkoholsyndrom

Tabelle 18.6-5 Labordiagnostische Untersuchungen zum Hinweis auf chronischen Alkoholmissbrauch

Messgröße

Klinik und Labordiagnostik

Äthanol

Die Äthanolkonzentration im Blut gibt keine Auskunft darüber, ob es sich um einen Gelegenheitstrinker oder um einen chronischen Alkoholmissbrauch handelt. Viele Alkoholiker trinken 24 h vor dem Gang zum Arzt keinen Alkohol und ihre Symptome sind deshalb nicht mit Alkohol in Beziehung zu setzen. Ist ein Blutalkoholwert erhöht, spricht dies für kürzliches Trinken und anhand der Assoziation von Promillewert und klinischem Verhalten kann erkannt werden, ob eine Alkoholtoleranz besteht, die auf einen chronischen Alkoholmissbrauch hinweist. Nach Empfehlungen des US National Council on Alcoholism (NCA) sind Personen als Alkoholiker zu betrachten, wenn folgende Blutalkoholwerte gemessen werden:

  • Über 1,5 ‰ ohne größere Anzeichen einer Intoxikation.
  • Über 3 ‰ zu jeder Zeit oder über 1 ‰ bei einer Routineuntersuchung.

Die Alkoholisierung einer Person wird anhand der Alkoholkonzentration im Blut eingeteilt in: 0–0,5 ‰ keine Alkoholisierung; > 0,5–1,5 ‰ leichte Trunkenheit; > 1,5–2,5 ‰ mittlere Trunkenheit; > 2,5–3,5 ‰ schwere Trunkenheit; > 3,5 ‰ schwerste Trunkenheit.

Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT) /26/

Der Anstieg der GGT schwankt interindividuell erheblich in Abhängigkeit von der Menge des getrunkenen Alkohols und der Dauer des Trinkens. Bei chronischen Alkoholikern erhöht die Aufnahme von 40 g Alkohol täglich die GGT. Bei denjenigen, die bisher nicht getrunken haben, ist die tägliche Aufnahme von mindestens 60 g Alkohol für 5 Wochen erforderlich. Die GGT ist selten bei Personen unter 30 J. erhöht und ist weniger sensitiv bei Frauen als bei Männern zur Untersuchung auf Alkoholmissbrauch. In der Bevölkerung sind Erhöhungen und die progressive Zunahme der GGT mit einem zunehmenden Alkoholkonsum verknüpft. Erhöhungen der GGT werden bei 20 % der Männer und 15 % der Frauen gemessen, die etwa 40 g Alkohol täglich konsumieren und bei 40–50 % der Männer und bei 30 % der Frauen mit mehr als 60 g Alkohol täglich. Alkohol-abhängige Personen haben zu 75 % eine erhöhte GGT, die diagnostische Sensitivität beträgt 60–90 %. Für Personen, die gelegentlich große Alkoholmengen trinken, aber keine chronischen Trinker sind, beträgt die diagnostische Sensitivität der GGT 20–50 %. Die GGT ist also ein Marker des chronischen Alkoholmissbrauchs, wenn große Mengen getrunken werden. Ein Problem der GGT ist ihre geringe diagnostische Spezifität, die abhängig von der jeweiligen Studie 55–100 % beträgt. Denn viele Medikamente und Lebererkrankungen verursachen ebenfalls eine Erhöhung der GGT (siehe Beitrag 1.9 – Gamma-Glutamyl-Transferase (GGT)).

Die Halbwertszeit der GGT beträgt 14–26 Tage, nach Alkoholabstinenz kehrt die erhöhte Aktivität nach 4–5 Wochen in den Referenzbereich zurück.

Amino­trans­ferasen /26/

Akutes Trinken mit einer Alkoholaufnahme von 3–4 g/kg KG entsprechend einer Blutalkoholkonzentration von 3–5 ‰ kann innerhalb von 24–48 h zu einer transienten Erhöhung von ALT und AST führen. Eine Ratio AST/ALT über 1,5–2 ist indikativ für eine Alkohol-induzierte Leberschädigung. Beim chronischen Alkoholmissbrauch sind die Aminotransferasen mit einer diagnostischen Sensitivität von 15–40 % (ALT) und 25–60 % (AST) erhöht. Der Anstieg beträgt in der Regel das 2–4 fache des oberen Referenzbereichswerts.

Mittleres korpuskuläres Volumen der roten Blutzellen (MCV) /26/

Die Höhe des MCV-Werts korreliert mit der Häufigkeit des Trinkens und der getrunkenen Alkoholmenge. Es müssen aber für mindestens 1 Monat täglich 60 g Alkohol getrunken werden, bevor es zu einer Makrozytose kommt. Der Nachteil des MCV-Werts ist seine niedrige diagnostische Sensitivität von 40–50 %, aber die diagnostische Spezifität ist hoch. Ein normaler MCV-Wert schließt zu 80–90 % den chronischen Alkoholmissbrauch aus.

Der positive prädiktive Wert eines MCV über 94 fl für den chronischen Alkoholmissbrauch beträgt 34,2 % für Männer und Frauen und für Männer allein 66,7 % /27/. Der negative prädiktive Wert eines MCV unter 95 fl für den Ausschluss des chronischen Alkoholmissbrauchs ist 94,2 % für Männer und Frauen und 92,0 % für Männer allein /26/. Alle anämischen Alkoholiker sind makrozytär. Die Ursachen für eine MCV-Erhöhung durch chronischen Alkoholmissbrauch beruhen darauf, dass Alkohol die intestinale Folatabsorption und die renal-tubuläre Folatrückresorption hemmt sowie den Folat-abhängigen Intermediärstoffwechsel von C1-Resten beeinträchtigt. C1-Reste wie Formylgruppen und Hydroxymethylgruppen entstammen verschiedenen metabolischen Prozessen, werden an Tetrahydrofolat gebunden und wieder an geeignete Akzeptoren zur Bildung von Substanzen abgegeben (siehe Kapitel 13 – Homocystein, Vitamin B12, Folate, Vitamin B6, Cholin, Betain).

Ethylglucuronid

Siehe Beitrag 18.6.8.3 – Ethylglucuronid

CDT

Siehe Beitrag 18.6.8.4 – Carbohydrate-deficient Transferrin.

Tabelle 18.6-6 Erkrankungen und Zustände, die zu falsch-positiven CDT-Befunden führen können /15/

CDG-Syndrom: Eine Ursache für hohe CDT-Konzentrationen ohne Alkoholmissbrauch ist das CDG-Syndrom (Congenital Disorder of Glycosylation). Es handelt sich um eine genetisch bedingte, generalisierte Störung der Synthese der Kohlenhydratstruktur der Glykoproteine. Die Patienten sind bereits nach der Geburt auffällig. Eine ausgeprägte Übereinstimmung in den (inkompletten) Kohlenhydratstrukturen von Glykoproteinen des Serums (Tf, α1-Antitrypsin und Haptoglobin-β-Ketten) von Patienten mit CDG-Syndrom bzw. chronischem Alkoholmissbrauch ist beschrieben.

Genetische Transferrin (Tf)-Varianten /4/: Die Allelfrequenzen der TF-Subtypen TfC, TfD und TfB sind in den Bevölkerungen der verschiedenen Ethnien unterschiedlich. Neben dem Wildtyp TfC haben schwarze Afrikaner, afrikanische Amerikaner und australische Aborigenes häufig das D-Allel. Die exakte Bestimmung der D-Varianten von CDT ist schwierig, da in der HPLC di- und trisialiertes TF mit dem tetrasialiertem D-Peak koeluiert oder in der Kapillarzonen-Elektrophorese (CZE) komigriert. Es wurden Algorithmen zur Korrektur dieser Isoformen vorgeschlagen. Der CDT-Immunoassay bestimmt in der Anwesenheit von Isoformen das %CDT zu niedrig. Während beim Wildtyp die Ratio CDT-Immunoassay/CDT-CZE in etwa 2 ist, beträgt sie bei B-Heterozygoten und D-Heterozygoten nur etwa 1. Deshalb ist es wichtig, dass für forensische Untersuchungen nur chromatographische oder elektrophoretische Verfahren zur Bestimmung von CDT angewendet werden.

Chronisch aktive Hepatitis: CDT hat eine reduzierte diagnostische Aussagekraft bei fortgeschrittenen Lebererkrankungen.

Eisenmangel: Eisenmangel erhöht die Konzentration von Tf und CDT. Unter Eisensubstitution fallen die Werte ab. Eisenmangel vermindert die diagnostische Spezifität von CDT bei normalem Alkoholkonsum.

Hämochromatose: Eisenüberbeladung verringert die diagnostische Sensitivität des CDT bei Alkoholmissbrauch. Es besteht eine signifikante Korrelation zwischen dem Eisengehalt der Leber und reziproker CDT-Konzentration bei Alkoholmissbrauch und zwischen Tf und CDT bei Normalkonsum. Eisenausschleusung führt bei Hämochromatose-Patienten zum CDT-Konzentrationsanstieg.

Kataboler Stoffwechsel: Signifikant erhöhtes CDT bei kataboler Stoffwechsellage auf Grund psychiatrischer Erkrankungen.

Antiepileptika: Trend zu höheren absoluten und %CDT-Konzentrationen bei Frauen, ob durch die Antiepileptika direkt bedingt oder resultierend aus einer oft erniedrigten Tf-Konzentration unter Antiepileptika ist unklar; keine solchen Effekte bei Männern.

Tabelle 18.6-7 Gleichungen zur Berechnung von Alkoholwerten und Alkoholkonsum /1/

1)

Alkoholmenge in Getränken (g/dl) = Volumen (%) × 0,79

2)

Konsumierter Alkohol (g) = Vol (%) × 0,79 × Volumen (dl)

3)

Blutalkohol (‰) = Alkoholmenge (g)/KG × 0,7

4)

Getrunkene Alkoholmenge (g) = Körpergewicht × 0,7 × Blutalkohol (‰)

5)

Blutalkoholkonzentration (g/kg bzw. ‰) = Alkoholkonz. im Serum (mmol/l) × MG Alkohol (46) × 10–3 × Serumdichte (1,026 g/kg) × Wasserverteilungskoeffizient zwischen Serum und Blut (1,20). Vereinfacht:

  • Blutalkohol (‰) = Serumalkohol (mmol/l) × 37,36 × 10–3
  • Serumalkohol (mmol/l) = Blutalkohol (‰)/37,36 × 10–3

KG, Körpergewicht; MG, Molmasse in Dalton (D)

Tabelle 18.7-1 Referenzintervalle für Coeruloplasmin

Kinder /3/

  • Nabelschnurblut

0,05–0,33

  • 1 Tag – 4 Monate

0,15–0,56

  • 5–6 Monate

0,26–0,83

  • 7–18 Monate

0,31–0,91

  • 18–36 Monate

0,32–0,90

  • 4–9 Jahre

0,26–0,46

  • 10–12 Jahre

0,25–0,45

  • 13–19 Jahre

0,22–0,50

  • 13–19Jahre

0,15–0,37

Erwachsene /3, 4/

0,22–0,40

0,25–0,60

0,27–0,66 (Orale Kontrazeptiva)

0,30–0,50 (> 50 Jahre, Östrogentherapie); bis zu 1,30 g/l bei Schwangeren

Angaben in g/l

Tabelle 18.7-2 Verbreitete ATP7B-Mutationen /5/

Population

DNA Nucleotid- Änderung

Aminosäure-Änderung

Exon

Häufigkeit

Weitere häufige Mutationen

Asiaten

c.2333G>T

p.Arg778 Leu

8

30–50 %

c.2871delC

Europäer

c.3207C>A

p.His1096 Gln

14

35–45 %

c.2299insG

c.1934T>G

Inder

c.813C>A

p.Cys271 Stop

2

Etwa 20 %

c.3305T>C

c. 2975C>T

Araber

c.4196A>G

p.Gln1399 Arg

21

Etwa 30 %

Tabelle 18.7-3 Häufigkeit von Befunden bei M. Wilson-Patienten /10/

Untersuchung

Häufigkeit (%)

Freies Cu über 250 μg/l

86,6

Coeruloplasmin unter 0,2 g/l

88,2

Cu-Ausscheidung über 100 μg (1,6 μmol)/24 h

87,1

Kayser-Fleischer Cornealring

92,7

Cu-Konzentration der Leber über 250 μg/g Trockengewicht

66,3

Histologische Zeichen eines chronischen Leberschadens

73

Tabelle 18.7-4 Diagnose des M. Wilson nach den AASLD Leitlinien /1/

Coeruloplasmin im Serum: Nach der AASLD soll die Cp-Bestimmung bei Patienten mit unklarer Lebererkrankung im Alter von 3–55 J. erfolgen. Eine Cp-Konzentration < 0,20 g/l ist verdächtig auf einen M. Wilson und muss durch weitere Untersuchungen verifiziert werden. In einer Studie /9/ bei 2.867 Patienten mit Lebererkrankung hatten 5,9 % erniedrigte Cp-Werte, aber nur 1 Patient hatte einen M. Wilson. Eine weitere Studie /15/ hat gezeigt, dass der Kliniker beim Hinweis auf eine Lebererkrankung als Schrottschussdiagnostik Cp gemeinsam mit Markern der infektiösen Hepatitis und der Auoimmunhepatitis anfordern, und dies auch bei Patienten > 55 J. So wurde Cp bei 5.023 Patienten gemessen, bei 424 war Cp < 0,20 g/l, 8 Patienten hatten einen M. Wilson, bei 416 lag dieser nicht vor. Der positive prädiktive Wert von Cp betrug 8,4 %, und die falsch positive Rate 98,1 %. Die Untersuchungen zeigen, dass bei Verdacht auf einen M. Wilson ein rationales Anforderungsverhalten erforderlich ist. Denn erniedrigte Cp-Werte kommen vor beim heterozygotem Cp-Mangel, dem renalen Cp-Verlust, exsudativer Gastroenteropathie (inklusive Coeliakie), Verlust über die Haut nach massiven Verbrennungen, schwerer Leberinsuffizienz, Menkes Erkrankung und hereditärer Acoeruloplasminämie.

Da Cp ein Akute-Phase Protein ist, können M. Wilson Patienten auch normale Werte bei Entzündungen und Infektionen haben. Auch die Einnahme von oralen Ovulationshemmern sowie das Bestehen einer Schwangerschaft müssen berücksichtigt werden.

Niedrig normale Werte werden bei 5 % der M. Wilson Patienten in der chronischen, klinisch inapparenten Phase und bei 15 % mit hepatischer Schädigung gefunden. Beim fulminanten Leberversagen kann die Cp-Konzentration höher als in der vorangehenden asymptomatischen Phase sein.

Cu im Serum /1/: Cu ist im Serum zu > 90 % an Cp gebunden. Obwohl der M. Wilson mit einer Cu-Überladung einhergeht ist die Cu-Konzentration im Plasma entsprechend dem Cp-Wert vermindert. In der chronischen, klinisch inapparenten Phase ist die Cu-Konzentration gewöhnlich < 60 μg/dl (11,8 μmol/l). Bei akuter hepatitischer Manifestation und Präsenz einer Hämolyse liegen die Werte aber darüber und können hoch normal sein trotz einer erniedrigten Cp-Konzentration /2/.

Freies Cu: Das nicht Cp gebundene Cu ist ein diagnostisches Kriterium. Die Konzentration beträgt normal < 150 μg/l und beim M. Wilson > 250 μg/l. Das freie Cu wird vermittels der Cu-Konzentration (μg/l) und der Cp-Konzentration (mg/l) berechnet. Die Menge an Cu, die pro mg Cp gebunden ist, beträgt 3,15 μg. Somit ist die Konzentration des freien Cu die Differenz zwischen der Konzentration des Serum-Cu und dem 3-fachen Wert des Cp. Beispiel Cp = 200 mg/l, Cu = 830 μg/l. Freies Cu (μg/l) = 890 – 3 × 200 = 290. Wichtig ist, dass die Richtigkeiten der Bestimmung von Cu und Cp gegeben ist, nicht selten kommt es zu negativen Werten, wenn diese nicht stimmen.

Cu/Coeruloplasmin ratio (μmol/g) /20/: 5,05–8,09. Angegeben sind die Perzetilen 2.5 und 97.5. Die Patienten hatten keinen M. Wilson und keinen Cu-Mangel.

Cu-Ausscheidung im Urin: Die Cu-Ausscheidung im 24 h-Urin reflektiert das nicht an Cp gebundene Cu in der Zirkulation. Zur Überprüfung der kompletten Urinsammlung müssen das Creatinin und das Urinvolumen bestimmt werden. Bei Gesunden beträgt die Ausscheidung < 40 μg (0,63 μmol)/24 h. Die Cu-Bestimmung muss mit der Atomabsorptions-Spektrometrie erfolgen. Eine Ausscheidung > 100 μg (1,6 μmol)/24 h wird bei symptomatischen Wilson-Patienten gefunden, jedoch haben 16–23 % der Patienten Werte darunter /1/. Viele Laboratorien setzen deshalb den Entscheidungswert bei 40 μg (0,63 μmol)/24 h. Bei fulminanten hepatitischen Verlaufsformen werden 10 fach höhere Ausscheidungen gemessen. Wichtig ist die Harnsammlung in Cu-freien Containern. Cu-Ausscheidungen > 100 μg (1,6 μmol)/ 24 h werden auch bei cholestatischen und autoimmunen Lebererkrankungen beobachtet.

D-Penicillamintest /15/: Er wird bei Kindern als Bestätigungstest bei einer erhöhten Cu-Ausscheidung aber Werten unter 100 μg (1,6 μmol)/24 h durchgeführt. Zuerst wird die basale Cu-Ausscheidung im 24 h-Sammelurin bestimmt. Dann erfolgt vor der nächsten 24 h-Urinsammlung die orale Verabreichung von 500 mg D-Penicillamin und in der Mitte der Sammelperiode nach 12 h nochmals die Verabreichung der gleichen Dosis. Eine Cu-Ausscheidung im Urin über 1,600 μg (25 μmol)/24 gilt als Hinweis auf einen M. Wilson /1/. Die diagnostische Sensitivität für den M. Wilson beträgt unter 100 % /1/. Bei Erwachsenen /16/ wird der Test in unterschiedlichen Modifikationen durchgeführt. Bei der Durchführung wie bei Kindern gilt ein 20 facher Anstieg der Cu-Ausscheidung als hinweisend.

Cu-Konzentration der Leber /1/: Eine Cu-Konzentration des Leberparenchyms > 250 μg/g Trockengewicht gilt als biochemischer Beweis des M. Wilson. Der Cu-Gehalt der Leber ist normal < 50 μg/g Trockengewicht, beim unbehandelten M. Wilson werden Werte von 250–3.000 μg/g Trockengewicht bestimmt. Aber auch cholestatische Lebererkrankungen wie die primär biliäre Zirrhose können diese Werte überschreiten. Bei Patienten mit Indian childhood cirrhosis werden Werte bis 6.000 μg/g Trockengewicht erreicht. Das wesentliche Problem der Cu-Bestimmung ist, dass in späten Stadien des M. Wilson die Cu-Verteilung in der Leber inhomogen ist. In Extremfällen besteht die Leber aus zirrhotischen Knoten die kein Cu enthalten. Weitere Untersuchungen sollten durchgeführt werden, bei Cu-Konzentrationen von 70–250 μg/g Trockengewicht.

Kayser-Fleischer-Cornealringe (KFC): Die grün-braunen Ringe in der Descemet’schen Membran der Cornea werden mit der Spaltlampe nachgewiesen. Die KFC sind bei 27–73 % der Patienten zum Zeitpunkt der klinischen Präsentation der isolierten hepatischen Form des M. Wilson nicht nachweisbar /17/. Jedoch haben die meisten Wilson-Patienten mit neuro-psychiatrischer Symptomatik den KFC. Auch Patienten mit cholestatischer Lebererkrankung können den KFC aufweisen.

Genetische Untersuchungen: Das betroffene Gen ATP7B kodiert das Cu-Transportprotein ATP7B. Es sind über 500 verschiedene Mutationen bekannt, die nahezu über die gesamte kodierende Region von ATP7B verbreitet sind. Die meisten Mutationen sind jedoch selten und werden nur bei einzelnen Patienten gefunden. Auch haben viele Patienten eine Compound-Heterozygotie, die beiden Merkmale eines Trägers sind von jeweils unterschiedlichen Mutationen betroffen, z.B. M769V kombiniert mit H1069Q. Labordiagnostisch sind also zwei verschiedene Multiplex-PCR und DNA-Streifen-Technologien durchzuführen. So ermöglicht ein kommerziell verfügbarer Test den Nachweis der vier in Europa häufigen Mutationen M769V, W779X, H1069Q und P1134P-fs /18/.

Tabelle 18.7-5 Scoring zum Nachweis der Wilson Erkrankung (WD), entwickelt auf dem WD-Kongress in Leipzig

Score System I

Punkte

Score System II

Punkte

Kayser Fleischer Ringe vorhanden

2

Kupfergehalt der Leber

Neurologische Symptome

> 5 × ULN (> 250 μg/g)

2

  • Schwer

2

50–250 μg/g

1

  • Mild

1

< 50 μg/g (Normal)

-1

  • Keine

0

Rhodanin positive Granula

1

Coeruloplasmin (Serum)

Kupferausscheidung im Urin

  • > 0,2 g/L (Normal)

0

> 2 × ULN

2

  • 0,1–0.2 g/l

1

1–2 × ULN

1

  • < 0,1 g/l

2

Normal

0

Hämolytische Anämie

Normal, aber > 5 × ULN nach D-Penicillamin

2

  • Liegt vor

1

Mutationsanalyse

  • Keine

0

Bei beiden Chromosomen nachgewiesen

4

Bei einem Chromosom nachgewiesen

1

Keine Mutation liegt vor

0

Bewertung des Scoresystems I oder des Scoresystems II: 4 oder mehr Punkte = Diagnose gesichert; 3 Punkte = Diagnose möglich, mehr Tests sind erforderlich; 2 oder weniger Punkte = Diagnose sehr unwahrscheinlich

* Keine akute Hepatitis; ULN, upper level normal (oberer Referenzbereichswert)

Tabelle 18.7-6 Erkrankungen, die mit einem Coeruloplasmin-Mangel einhergehen können

M. Wilson /14/: Der M. Wilson ist eine autosomal rezessiv vererbte Kupferstoffwechselstörung. Die Prävalenz der Erkankten wird weltweit auf 1 : 5.000 bis 1 : 30.000 geschätzt, die der heterozygoten Merkmalsträger auf 1 : 90. Die Erkrankten sind immer homozygot, sowohl Mutter als auch Vater des Erkrankten sind Träger eines M. Wilson-Gens.

Patienten mit Leberzirrhose, neurologischen Manifestationen und Kayser-Fleischer Cornealringen entsprechen dem klassischen Typ des M. Wilson und sind leicht zu diagnostizieren. Die Patienten präsentieren sich im Alter zwischen 5 und 40 Jahren. Aber die Hälfte der M. Wilson Patienten mit Leberbeschwerden hat nicht einmal zwei dieser drei Kriterien und stellt ein diagnostisches Problem dar /21/. In diesen Fällen beruht die Diagnostik auf der klinischen Symptomatik einer Lebererkrankung und neurologischen Symptomen und der Zuordnung von Laborbefunden.

Hepatische Präsentation: Patienten mit hepatischem M. Wilson stellen sich gewöhnlich im späten Kindesalter oder im Adoleszenzalter vor. Sie können asymptomatisch sein mit nur einer Lebervergrößerung und Aminotransferasen-Erhöhung oder aber eine akute Hepatitis, ein fulminantes Leberversagen, eine chronisch progressive Hepatitis oder eine Leberzirrhose vom makronodulären Typ haben. Auch kann eine Coombs-negative hämolytische Anämie und ein akutes Leberversagen vorliegen. Einige Patienten haben transiente ikterische Perioden bedingt durch die Hämolysen. Oft wird bei Kindern primär eine autoimmune Hepatitis vermutet. Die meisten Patienten mit akutem Leberversagen haben ein charakterisches Befundspektrum (Tab. 18.7-5 – Befunde bei Patienten mit M. Wilson und akutem Leberversagen).

Neurologische Präsentation: Das mittlere Alter, bei dem die klinischen Beschwerden beginnen, ist die zweite bis dritte Lebensdekade. An Manifestationen liegen motorische Störungen mit Parkinson ähnlicher Dystonie, eine hypertonische Muskulatur und Rigidität, entweder Chorea artig oder pseudosklerotisch, mit Tremor und Dysarthrie vor.

Nutritiver Cu-Mangel: Der nutritive Cu-Mangel verursacht eine dem Eisenmangel vergleichbare hypochrome mikrozytäre Anämie. Ursache kann z.B. eine Malabsorption oder die längerfristige parenterale Ernährung sein. Der nutritive Cu-Mangel ist beim Menschen selten, bei Schafen in bestimmten Regionen häufig.

Menkes-Erkrankung /22/: Mutationen des Gens ATP7A auf Chromosom Xq 13.3 sind typisch für das Menkes Syndrom, eine X-gebundene rezessive Erkrankung. Sie resultiert aus einer Speicherung von Cu in den Enterozyten, da das absorbierte Cu nicht in die Zirkulation transportiert wird. Es kommt zu einem kompletten Cu-Mangel im Blut und den Geweben. Dieser Zustand wird auch als Menkes Erkrankung bezeichnet. Die Menkes Erkrankung ist eine multisystemische letale Erkrankung mit neurodegenerativen Symptomen und Bindegewebsmanifestationen. Das Gen ATP7A kodiert die Synthese des zellulären Cu-Efflux-Exporters ATP7A (Cu transporting alpha polypeptide). Siehe auch Beitrag 10.4 – Kupfer (Cu).

Klinisch tritt die Erkrankung im Alter von 2–3 Monaten auf, die Kinder verlieren die bis dahin erworbenen Fähigkeiten, gefolgt von geistiger Retardierung, Krämpfen, Essstörungen, lockerer Haut, lockeren Gelenke, facialem Dysmorphismus und abnormen Haar. Sie werden gewöhnlich nicht älter als 3 Jahre.

Laborbefunde: Niedrige Konzentration von Cu und Cp im Serum.

Hereditärer Cp-Mangel /3/: Der hereditäre Cp-Mangel ist eine autosomal rezessive Erkrankung und bisher nur bei wenigen Familien beschrieben. Es besteht keine Cu-Überladung des Organismus. Die Störung beruht auf einer Mutation des Cp-Gens auf dem Chromosom 3q25. Die Patienten können Blepharospasmus, retinale Degeneration, Diabetes mellitus oder Demenz zeigen.

Laborbefunde: Gewöhnlich im Serum Cp unter 0,02 g/l, Cu unter 90 μg/l (1,4 μmol/l), Cu-Ausscheidung im Urin unter 50 μg (0,8 μmol)/24 h, Cu im Lebergewebe unter 50 μg/g Trockengewicht.

MEDNIK Syndrom: MEDNIK ist ein Akronym für Mental retardation, Enteropathy, Deafness (Taubheit), Neuropathie, Ichthyosis und Keratodermie. Mutationen im Gen AP1S1 beeinträchtigen den systemischen Stoffwechsel von Cu durch Störung der Funktion der Cu-ATPase. Es resultiert eine Cu-Speicherung in der Leber wie bei der Wilson Erkrankung und es resultiert eine niedrige Serumkonzentration von Cu und Cp /5/.

Huppke-Brendl Syndrom: Homozygote oder compound heterozygote Mutationen im Gen SLC33A1, das den AcetylCoA-Transporter AT-1 kodiert, verursacht eine niedrige Konzentration von Cu und Cp im Serum. Das Huppke-Brendl Syndrom ist ein letales autosomal rezessives Leiden mit kongenitalem Katarrhakt, Hörverlust und schwerer Entwicklungsverzögerung /5/.

Acoeruloplasminämie: Die Acoeruloplasminämie ist eine neurodegenerative Erkrankung mit Eisenspeicherung im Gehirn. Sie kann mit der Wilson Erkrankung verwechselt werden aufgrund sehr niedriger oder fehlender Cp Werte im Serum bei Patienten, die Symptome der Wilson Erkrankung zeigen und auch vergleichbare Hirnbefunde in der bildgebenden Diagnostik haben /5/.

Tabelle 18.7-7 Befunde bei Patienten mit M. Wilson und akutem Leberversagen /1/

Coombs-negative hämolytische Anämie.

Gerinnungsstörung, die nicht durch Vitamin K-Gabe korrigierbar ist.

Schnelle Progression einer Niereninsuffizienz.

Relativ moderate Erhöhung der Aminotransferasen (deutlich unter 2.000 U/l).

Normale oder subnormale alkalische Phosphatase.

Verhältnis Männer/Frauen 2 : 1.

Tabelle 18.8-1 Referenzintervalle für Haptoglobin und Hämopexin

Hp: Typen-unabhängig /4/*

Typen-abhängig /5/*

12 Mon.

0,02–3,0

Erwachsene

10 J.

0,08–1,72

Hp 1-1

Hp 2–1

Hp 2–2

0,57–2,27

0,44–1,83

0,38–1,50

0,27–1,83

16 J.

0,17–2,13

0,38–2,05

25 J.

0,34–2,27

Hx /6/

0,50–1,15

0,49–2,18

50 J.

0,47–2,46

0,59–2,37

70 J.

0,46–2,66

0,65–2,60

Angaben in g/l. * Angegeben sind die 5. und 95. Perzentile.

Tabelle 18.8-2 Beurteilung von Haptoglobin (Hp) in Kombination mit C-reaktivem Protein (CRP)

Hp (g/l)

CRP (mg/l)

Bewertung

< 0,2

≤ 5

Hämolytische Reaktion, hepatozelluläre Erkrankung

< 0,2

> 5

Hämolyse und Akute-Phase Reaktion

> 0,2

> 5

Akute-Phase Reaktion, evtl. leichte Hämolyse

> 0,2

≤ 5

Normal

Tabelle 18.8-3 Untersuchungen zur Diagnostik und Verlaufsbeurteilung hämolytischer Anämien

Retikulozytenzahl: Eine Retikulozytose wird bei hämolytischen Anämien und auch schon den kompensierten Hämolysen gefunden. Beim akuten hämolytischen Ereignis resultiert ein Anstieg innerhalb von 24 h. Der positive prädiktive Wert einer Retikulozytose für das Vorliegen einer hämolytischen Reaktion beträgt nur 38 % im Vergleich zur Hp-Verminderung mit Werten ≤ 0,20 g/l /14/.

Haptoglobin: Nach Auftreten der intravasalen Hämolyse sinkt die Hp-Konzentration rasch ab, da die Halbwertszeit des Hp-Hb-Komplexes nur 8 min beträgt.

Hämopexin: Erst wenn freies Häm im Serum vorliegt, wird eine Verminderung gemessen. Die Halbwertszeit beträgt 7–8 h, signifikante Verminderungen treten deshalb erst nach mehreren Stunden auf.

Hämoglobin (Hb): Plasma enthält unter 20 mg Hb/l. Ab einem täglichen Anfall von etwa 15 g Hb (2 fache des täglichen Hb-Umsatzes) ist die Transportkapazität des Hp erschöpft, freies Hb tritt auf und wird nierengängig. Ab 0,3 g/l wird freies Hb mit dem Auge wahrnehmbar, über 0,5 g/l wird das Plasma gelbrötlich (nicht bei Myoglobinämie). Schwere hämolytische Transfusionszwischenfälle haben immer eine sichtbare Rotfärbung des Serums und eine Hämoglobinurie zur Folge.

Methämalbumin: Es handelt sich um an Albumin gebundenes Häm. Tritt bei starker Hämolyse auf, lässt sich frühestens 5 h nach dem hämolytischen Ereignis nachweisen und bleibt etwa 24 h lang positiv. Methämalbumin gibt dem Serum eine kaffeebraune Farbe und ist im Schumm-Test nachweisbar /7/.

Hämosiderin: Die Untersuchung des Urins auf Hämosiderin ist eine gute Suchreaktion auf Vorliegen einer chronisch hämolytischen Anämie oder einen wenige Tage zurückliegenden akut hämolytischen Schub. Es handelt sich um mit Berliner-Blau anfärbbare kleine blaue Klumpen oder intrazelluläre Granula. Nachweisbar sind sie 2–5 Tage nach dem akuten hämolytischen Ereignis.

Bilirubin: Ein milder Ikterus ist klinisch eines der wichtigsten Symptome, die auf eine hämolytische Reaktion hinweisen. Das ist auch der Fall bei Transfusionszwischenfällen durch Antikörper, die eine Frühreaktion bewirken, z.B. Anti-D, -c, -S, -Fya, -K. Pathologische Werte werden gewöhnlich erst dann gefunden, wenn die Hämolyserate über 5 % beträgt (normale Hämolyserate ist etwa 1 %). Anstiege treten nach 6–12 h auf, das Gesamtbilirubin überschreitet, von der Transfusions-bedingten Sofortreaktion (Anti-A, Anti-B) abgesehen, den Wert von 5 mg/dl (85 μmol/l) selten.

Lactatdehydrogenase: Erhöhungen werden vorwiegend im Verlauf hämolytischer Krisen und bei Transfusionszwischenfällen gefunden. Regelmäßig treten Erhöhungen auch bei megaloblastären Anämien auf.

Direkter Coombs-Test, Indirekter Coombs-Test, Kälteagglutinin-Suchtest, Hämolysinnachweis: Der direkte Coombs-Test erfasst Erythrozyten gebundene Alloantikörper, z.B. beim Transfusionszwischenfall und Autoantikörper. In einer Studie /17/ an Immunhämolyse-Fällen waren bedingt: 78 % durch Wärmeautoantikörper, 15 % durch Kälteagglutinine, etwa 2 % durch Pharmaka-induzierte Antikörper und knapp 1 % durch bithermische Hämolysine. Der direkte Coombs-Test bleibt in 1–6 % der Fälle bei autoimmunhämolytischer Anämie negativ. Falsch-positive Befunde zeigt er durch Komplementaktivierung in vitro, z.B. bei Kältelagerung der Blutprobe (ist nicht bei EDTA-Blut der Fall). Der Nachweis freier Antikörper durch einen positiven indirekten Coombs-Test weist auf eine schwere Hämolyse hin /17/.

Differentialausstrich: Mikrosphärozyten (hereditäre Sphärozytose), Elliptozyten (hereditäre Elliptozytose), Target-Zellen (Thalassämie, HbC-Erkrankung), Sichelzellen (Sichelzellerkrankung), basophile Tüpfelung, Jolly-Körperchen (Thalassämie, Sichelzellerkrankung).

Heinz-Körper-Test: Positiv bei folgenden Enzymdefekten: G-6-PD-Mangel, Glutathionreduktase-Mangel, ferner bei instabiler Hämoglobinopathie und toxisch bedingt bei Vergiftungen mit oxidierenden Substanzen.

Osmotische Resistenz: Vermindert: Sphärozytose, Antikörper-induzierte hämolytische Anämien.

  • Erhöht: Target-Zellen, hypochrome Erythrozyten

Autohämolyse-Test

  • Typ I: Hereditäre Sphärozytose, G-6-PD-Mangel.
  • Typ II: Pyruvatkinase-Mangel, autoimmunhämolytische Anämie.

Bestimmung von CD16b: Abwesend oder vermindert bei paroxysmaler nächtlicher Kältehämoglobinurie.

DL-Antikörper: Donath-Landsteiner-Antikörper verursachen die paroxysmale Kältehämoglobinurie.

Hb-Elektrophorese: Qualitative und quantitative Hämoglobinopathie, z.B. Thalassämie, Sichelzellanämie.

Erythrozytenenzyme: Häufig ist der G-6-PD-Defekt, an zweiter Stelle steht der Pyruvatkinase-Defekt, gefolgt von dem Glucosephosphat-Isomerase-Defekt.

Tabelle 18.8-4 Klassifikation hämolytischer Anämien /18/

Hereditär

Erworben

Membrandefekte: Sphärozytose, Elliptozytose, Stomatozytose, Akanthozytose.

Enzymdefekte (mit permanenter Hämolyse), z.B. G-6-PD-Mangel, Pyruvatkinase-Mangel.

Enzymdefekte (mit krisenhafter Hämolyse), z.B. Favismus, Primaquin-induzierte Hämolyse bei G-6-PD-Mangel.

Hämoglobinopathien: Durch

  • Überschuss physiologischer Hämoglobine, wie HbA2, HbF bei den Thalassämien.
  • Bildung abnormer Hämoglobine mit Aggregationsneigung, HbC, HbS (Sichelzellanämie).
  • Bildung instabiler Hämoglobine (Heinz-Körper-Test positiv).

Autoimmunhämolytisch: Wärmeautoantikörper, z.B. durch Pharmaka oder infektiös bedingt; Kälteautoantikörper, z.B. infektiös bedingt; biphasische Hämolysine.

Transfusionshämolysen

Toxisch: Schwermetalle, Oxidantien

Mechanisch: Marschhämoglobinurie, Mikroangiopathie, disseminierte intravasale Gerinnung, hämolytisch urämisches Syndrom, Membrandefekt (Akanthozytose bei Hepatopathien).

Infektiös: Malaria, Neuraminidase-induziert, z.B. bei bakteriellem Infekt.

Ineffektive Erythropoese: Vitamin B12-Mangel, Folsäure-Mangel, myelodysplastisches Syndrom.

Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie

Tabelle 18.8-5 Haptoglobin bei Hämolyse und Haptoglobin-Haplotyp assoziierte Erkrankungen

Intravasale Hämolyse: Zur Erkennung hämolytischer Reaktionen und deren Abgrenzung von nicht-hämolytischen Leiden haben Hp-Konzentrationen ≤ 0,2 g/l eine diagnostische Sensitivität von 83 % bei einer diagnostischen Spezifität von 96 % /14/. Die zusätzliche tägliche Hämolyse von 1 % des Blutes in Addition zur physiologischen Blutmauserung, entsprechend einer Hämolyse von etwa 40 ml roter Blutzellen oder 15 g Hb ist ausreichend zur Sättigung der Transportkapazität von Hp mit Hb und damit zur totalen Entfernung von Hp aus dem Plasma. Dieser Zustand tritt auch ein, wenn bei intravasaler Hämolyse die Erythrozytenlebenszeit auf unter 55 % (etwa 60 Tage) fällt /19/. Es wird dann kein Hp mehr im Serum gemessen.

Die intravaskuläre Hämolyse hat einen Anteil von 10–20 % an der Mauserung der roten Blutzellen /19/. Der überwiegende Anteil läuft extravaskulär, insbesondere in der Milz, ab. Das Verhältnis intra- zu extravaskulär variiert bei hämolytischen Reaktionen erheblich. Hp ist erniedrigt bei immunhämolytisch, mikroangiopathisch, mechanisch (Herzklappenersatz), medikamentös (G-6-PD-Mangel) und infektiös (Malaria) bedingten Hämolysen.

Ein Teil der hereditären chronisch hämolytischen Anämien, als auch die megaloblastäre Anämie und der Hypersplenismus, zeigen nur eine Hp-Verminderung bei einer hämolytischen Krise.

Haptoglobin-assoziierte Erkrankungen: Viele Erkrankungen sind mit den HP-Allelen assoziiert. So sollen Personen des Phänotyps Hp 1-1 bevorzugt für chronische Hepatitis C, Leberzirrhose und koronare Herzerkrankung empfänglich sein. Diejenigen des Phänotyps Hp 2-1 haben vermehrt Ovarialkrebs und Oesophaguskarzinom. Der Phänotyp Hp-2-2 ist vermehrt mit der essentiellen Hypertonie, der Atherosklerose, dem Magenkarzinom und dem Bronchialkarzinom assoziiert /6/. Andere Veröffentlichungen geben noch mehr Assoziationen an /20/. Drei neuere Beispiele sind nachfolgend aufgeführt.

– Fettleber-Erkrankung: Die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD) ist die hepatische Manifestation des metabolischen Syndroms. Dieses ist durch Übergewicht, Dyslipidämie, Diabetes mellitus und Insulinresistenz charakterisiert. In den industrialisierten Ländern ist die NAFLD die wesentliche Ursache einer gestörten Leberfunktion und der Leberfibrose. In einer Untersuchung /21/ hatten Hp 2-2 Phänotypen häufiger eine NAFLD (Odds Ratio 11,7) als die anderen beiden Phänotypen und höhere Ferritinkonzentrationen. Die Ferritinwerte zeigten eine positiven Korrelation zur ALT. Es wird vermutet, dass erhöhte Ferritinkonzentrationen, die auf Grund einer verstärkten Schädigung von Hepatozyten freigesetzt werden, ein Risikofaktor für Insulinresistenz sind und den Fortgang der NAFLD beeinflussen.

– Diabetes mellitus: Patienten mit Diabetes mellitus und dem Phänotyp Hp 2-2 haben ein mehrfach erhöhtes Risiko eines Herzinfarktes als die des Phänotyps Hp 1-1 wie in der Strong Heart Study /22/ gezeigt wurde. Ursache soll der erhöhte HbA1c-Wert des Diabetikers sein. Die Bindung dieses Glykoproteins an Hp von Hp 2-2 Phänotypen und damit dessen antioxidative Funktion ist geringer als bei den Hp 1-1-Genotypen. Nicht gebundenes fHb des Hp 2-2 Phänotyps erhöht den oxidativen Stress und somit auch die Herzinfarktrate.

– Coeliakie: Bis zu 1 % der europäischen und nordamerikanischen Bevölkerung leiden an einer Coeliakie. Es handelt sich um eine T-Zell vermittelte chronisch inflammatorische Autoimmunerkrankung, die durch Weizenkeimlektin oder Proteine von Gerste und Roggen induziert wird. Die HLA-Antigene DQ2 oder DQ8 scheinen bei 50 % der Patienten einen Einfluss auf die Entwicklung der Erkrankung zu haben. Eine weitere Rolle spielt der Hp-Haplotyp. So hatten die Phänotypen Hp 1-1, Hp 2-1 und Hp 2-2 eine schwere Malabsorption mit folgenden Häufigkeiten: 5,6 %, 49,1 % und 45,3 % /15/.

Transfusion von Erythrozytenkonzentraten nach längerer Lagerung: Bei längerfristiger Lagerung von Blut finden bei Erythrozyten morpologische und biochemische Veränderungen statt. Die Tranfusion von Erythrozytenkonzentraten, die eine längere Zeit gelagert wurden, erhöht die Konzentration von freiem Hämoglobin und von Häm im Plasma des Patienten. Deshalb sind bei denjenigen mit hämorrhagischem Schock nicht nur die Nieren durch eine Hypoperfusion betroffen, sondern auch durch freies Hämoglobin und Häm, das mit Erythrozytenkonzentraten, die 35–40 Tage alt sind, transfundiert wird. Die Behandlung mit Haptoglobin und Hämopexin erhöht die Überlebensrate dieser Patienten durch Abschwächung der Häm induzierten Inflammation /23/.

Tabelle 18.8-6 Ursachen eines abweichenden Verhaltens von Hp und Hx

Hp

Hx

Ursache

n

Leichter hämolytischer Zustand

n

Thalassämie (gelegentlicher Befund), hämorrhagische Pankreatitis, Blutung in Körperhöhlen, Hp-Verminderung maskiert, z.B. durch entzündliche Reaktion.

Nephrotisches Syndrom

n, normal; ↑, erhöht; ↓, vermindert

Tabelle 18.9-1 Physikochemische und biologische Eigenschaften der Ig-Klassen /123/

Eigenschaften

IgG

IgA

IgM

IgD

IgE

Molekulargewicht (kD)

150

160

971

175

190

Kohlenhydratanteil (%)

3

7

10

9

13

Molekularformel

γ2 κ2

α2 κ2

2 κ2)5

δ2 κ2

ε2 κ2

γ2 λ2

α2 λ2

2 λ2)5

δ2 λ2

ε2 λ2

Syntheserate (mg/kg KG/Tag)

33

65

6–7

0,4

0,016

Bindungsvalenz

2

2

5

2

2

H-Ketten-Domänen

4

4

5

4

5

H-Ketten-Isotypen

4

2

2 (?)

H-Ketten-Allotypen

25

2

1

Serumkonzentration (g/l)

7–16

0,7–5,0

0,4–2,5

0,04–0,40

0,2*

Halbwertszeit (Tage)

7–21

6

5

2,8

2,5

Komplementaktivierung**

+

+++

Agglutinationsfähigkeit

+

±

+++

Plazentatransfer

+

Fc-Rezeptor-Bindung an:

  • Makrophagen

+

+

±

  • Neutrophile Granulozyten

+

+

Opsonierung

+

+++

Reaktionstyp-I-Hypersensitivität

+++

Reaktionstyp-III-Hypersensitivität

+

+

* Angabe in mg/l ** klassischer Weg

Tab. 18.9-2 IgG, IgA, IgM Referezintervalle für Serum/Plasma /1/

Alter

IgG

IgA

IgM

Neugeborene

6,6–17,5

0,01–0,06

0,06–0,21

0,06–0,21

Kinder

  • 1 Mon.

3,9–10,5

0,1–0,34

0,17–0,66

0,17–0,66

  • 2 Mon.

2,5–6,8

0,08–0,6

0,26–1,0

0,26–1,0

  • 3 Mon.

2,0–5,5

0,11–0,8

0,33–1,3

0,33–1,3

  • 4 Mon.

2,0–5,4

0,14–0,9

0,37–1,4

0,40–1,5

  • 5 Mon.

2,2–6,0

0,21–1,5

0,41–1,6

0,47–1,8

  • 6 Mon.

2,6–6,9

0,30–1,9

0,43–1,6

0,52–1,9

  • 7 Mon.

2,9–7,7

0,38–2,2

0,45–1,7

0,56–2,1

  • 8 Mon.

3,2–8,4

0,46–2,5

0,47–1,8

0,60–2,2

  • 9 Mon.

3,3–8,8

0,52–2,7

0,48–1,8

0,62–2,3

  • 10 Mon.

3,5–9,1

0,58–2,9

0,49–1,8

0,65–2,4

  • 11 Mon.

3,5–9,3

0,63–3,0

0,50–1,8

0,66–2,5

  • 12 Mon.

3,6–9,5

0,67–3,1

0,50–1,9

0,68–2,6

  • 2 J.

4,7–12,3

0,70–3,2

0,51–1,9

0,68–2,6

  • 4 J.

5,4–13,4

  • 6 J.

5,9–14,3

  • 8 J.

6,3–15,0

  • 10 J.

6,7–15,3

  • 12 J.

7,0–15,5

  • 14 J.

7,1–15,6

  • 16 J.

7,2–15,6

  • 18 J.

7,3–15,5

Erwachsene

7,0–16,0

0,70–5,0

0,40–2,3

0,40–2,8

Angaben in g/l. Die 5. und 95. Perzentile sind angegeben.

Tabelle 18.9-3 Laborbefunde beim sekundären Mangel von Immunglobulin

Maligne Tumoren: Solide Tumoren verursachen erst im weit fortgeschrittenen oder terminalen Stadium deutliche Erniedrigungen der Immunglobuline (Ig).

Lymphatische Leukämie: Bei 30 % der Kinder mit akuter lymphatischer Leukämie sind die Ig bei Diagnosestellung signifikant niedriger als Alters entsprechend. Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie haben in bis zu 50 % der Fälle eine Ig-Verminderung, bevorzugt von IgA und IgM.

Thymom: Etwa 5–10 % der Patienten entwickeln einen auch nach Entfernung des Tumors persistierenden Antikörpermangel. Die Ig sind etwa auf die Hälfte der unteren Referenzbereichswerte vermindert.

Multiples Myelom, M. Waldenström: Etwa 2/3 der Patienten mit multiplen Myelom haben bei Präsenz eines deutlichen M-Gradienten in der Serumprotein-Elektrophorese einen Antikörpermangel. Ursächlich liegen Suppressions Mechanismen im Sinne einer Rückkopplung zu Grunde. Dabei sollen die Leichtketten eine Rolle spielen, da die Unterdrückung der polyklonalen Ig-Bildung stark bei Myelomen der Leichtketten ist. Eine weitere Ursache, insbesondere bei IgG-Myelom, ist ein beschleunigter Ig-Katabolismus. Beim M. Waldenström ist die Konzentration polyklonal gebildeter Ig weniger vermindert als beim multiplen Myelom.

Iatrogene Ursachen: Im Vordergrund stehen Kortikosteroide, Zytostatika, z.B. Cyclophosphamid, Methotrexat, Azathioprin, 6-Mercaptopurin und ionisierende Strahlen.

Immunsuppressive Therapie nach Transplantation: Im ersten Monat aplastische Phase mit starker Granulozytopenie und Lymphopenie, Erniedrigung der Ig. Etwa ab 3. Monat, nach Normalisierung der Granulozyten und T-Lymphozyten, Aktivierung der Antikörperbildung mit oft überschießenden Anstieg, von IgM gefolgt von IgG und letztlich IgA.

Proteinverlust-Enteropathie, z.B. durch intestinale Lymphangiektasie: Nicht selektiver Verlust von Plasmaproteinen in das Intestinum. Alle Ig sind gleichmäßig betroffen. Eine Beeinträchtigung der Immunreaktivität tritt erst dann auf, wenn verstärkt Lymphozyten in den Darm übertreten und eine Lymphopenie resultiert.

Nephrotisches Syndrom: Vorwiegend IgG geht renal verloren, IgM kann erhöht sein. Klinisch macht sich die Ig-Verminderung nur selten bemerkbar.

Verbrennungen: Bei großflächigen Verbrennungen gehen Ig, Lymphozyten und Granulozyten in großem Ausmaß verloren. Die Antikörperbildung und die zellulären Immunreaktionen sind stark beeinträchtigt.

Virusinfektionen, z.B. Masern, Röteln, EBV: Die Abwehrschwäche bei Masern besteht etwa 6 Wochen und betrifft das zelluläre und humorale Immunsystem, die Ig können erniedrigt sein. Bei Rötelninfektion ist eine Ig-Verminderung beschrieben. EB-Viren können die Symptomatik eines variablen Immundefekt-Syndroms auslösen.

Tabelle 18.9-4 Muster von IgG, IgA, IgM bei Lebererkrankungen /10/

Hepatitis A: Deutliche IgM-Erhöhung mit höchsten Werten in der ersten Erkrankungswoche. Abnahme von IgM in der 2. Woche, Normalisierung nach 4 Wochen. IgG steigt etwa 2 Wochen nach Erkrankungsbeginn an, erreicht in der 3.–4. Woche ein Maximum und normalisiert bis zur 8. Woche.

Hepatitis B, C: Zu Beginn der Erkrankung Erhöhung von IgM und IgG. IgM zeigt gewöhnlich eine niedrigere Konzentration als bei Hepatitis A. Tendenz der Normalisierung von IgM und IgG langsamer als bei Hepatitis A, IgG normalisiert innerhalb von 6 Monaten. Die Erhöhung von IgA spricht für eine vorgeschädigte Leber.

Chronisch persistierende Hepatitis: Entwickelt sich aus einer akuten Virushepatitis bei Persistenz des Virus. IgM kann anhaltend leicht bis mäßig neben IgG erhöht sein.

Chronisch-aktive Hepatitis B, C, autoimmune Hepatitis: Die Zunahme von IgG im Verlauf einer Hepatitis, insbesondere wenn sie mit einem Abfall von IgM verbunden ist, weist auf den Übergang in eine chronische Verlaufsform hin. Sie ist charakterisiert durch die nahezu ausschließliche Erhöhung von IgG. Häufig positiv sind antinukleäre Antikörper und Antikörper gegen glatte Muskulatur.

Die autoimmune Hepatitis kann in Form einer exzessiven IgG-Vermehrung einher gehen mit einer γ-Globulinfraktion über 40 % und einem Pseudo-M-Gradienten in der Serumprotein-Elektrophorese.

Chronisch-destruierende Cholangitis, primäre biliäre Zirrhose: Betroffen sind vorwiegend Frauen ab dem 35. Lj. Charakteristisch sind die relativ starke Erhöhung von IgM im Ig-Muster, die Erhöhung der alkalischen Phosphatase und der Nachweis mitochondrialer Antikörper.

Leberzirrhose: Häufig erhöht sind IgG, IgA und IgM. Ätiogenetische Rückschlüsse sind möglich. Auf die posthepatitische Zirrhose weist eine relativ starke IgG-Erhöhung hin.

Alkohol-induzierte Lebererkrankungen: Fettleber, Hepatitis, Fibrose und Zirrhose stellen die histopathologischen Manifestationsformen Alkohol-induzierter chronischer Leberschädigung dar. Die Entwicklung der alkoholischen Zirrhose hängt von der Dauer des Alkoholmissbrauchs und der täglich konsumierten Menge ab. Die Konzentrationen aller drei Ig-Klassen steigen mit zunehmendem Parenchymumbau von der chronischen Hepatitis über die Fibrose zur Zirrhose an. Signifikante Unterschiede der Ig-Klassen, insbesondere des IgA, bei Patienten mit und ohne noch vorhandenen Alkoholabusus, bestehen jedoch nicht.

Tabelle 18.9-5 Erhöhungen von IgE bei nicht-atopischen Erkrankungen

Parasitenbefall: IgE-Konzentrationen, die das 10-fache des oberen Referenzbereichswerts überschreiten können, werden gefunden bei Befall mit Askariden, Echinokokken, Oxyuren, Toxacara canis, Schistosomen, Necator americanus, Fasciola hepatica, Ankylostomatiden, Darmkapillariasis, visceraler Myasis intestinalis und Trichinen /12/. Prinzipiell verursachen Helminthen wie Nematoden, Zestoden und Trematoden, nicht aber die Protozoen eine IgE-Erhöhung. Bei erfolgreicher antiparasitärer Therapie fällt der IgE-Wert ab.

AIDS, Wiskott-Aldrich Syndrom, Nezelof Syndrom, Non-Hodgkin Lymphom: Die Synthese des IgE wird von Th2-Zellen kontrolliert. Erkrankungen mit T-Zelldysfunktion können deshalb mit einer gesteigerten IgE-Synthese und erhöhtem IgE im Serum einhergehen. B-Zelldefekte verursachen demgegenüber erniedrigte IgE-Werte, so haben z.B. Non-Hodgkin Lymphome der B-Zellreihe erniedrigte und die der T-Zell-Reihe erhöhte IgE-Serumwerte.

Maligne Tumoren: Aktive, maligne Tumoren in Geweben mit hohem Gehalt an IgE-bildenden B-Zellen können mit erhöhtem IgE im Serum einhergehen. Es handelt sich z.B. um Tumoren im Hals-Nasen-Ohren Bereich, des broncho-pulmonalen Systems, des Gastrointestinaltrakts, der mesenterialen Lymphdrüsen und der Hoden.

Hyper-IgE Syndrom /13/: Das Hyper-IgE Syndrom, auch Job-Syndrom genannt, ist ein sehr seltener primärer Immundefekt.

Klinik: 80 % der Patienten haben ein mittelschweres bis schweres Ekzem das typischerweise juckend und lichenifiziert ist. Weiterhin charakteristisch sind chronische Hautinfektionen in Form von Furunkeln und Abszessen, meist bedingt durch S. aureus. Typisch ist auch eine Überstreckbarkeit der Gelenke und eine typische Facies mit betonter Stirnpartie, milder Prognathie, breiter Nase, vergröberter Gesichtshaut und weit auseinander liegenden Augen. Die Auffälligkeiten entwickeln sich mit zunehmenden Alter. Auch das Auftreten des Hyper-IgE Syndromes mit hochmalignen Non-Hodgkin Lymphomen ist beschrieben /14/.

Labordiagnostik: Erhöhtes IgE; diagnostische Richtwerte (mIU/ml) für ein Hyper-IgE Syndrom sind: 15 (1–28 Tage), 150 (1–6 Mon.), 250 (7–12 Mon.), 650 (1–3 J.), 1.250 (4–6 J.), 3.300 (1–10 J.), 2.400 (11–14 J.), 2.000 (> 15 J.). Eosinophilie mit > 0,7 × 109/l. IgG, IgA und IgM sind normal.

Tabelle 18.9-6 Ursachen oligoklonaler Ig-Vermehrung /15/

Antikörper gegen Blutgruppenmerkmale: Gegen bestimmte Blutgruppenmerkmale wie A1 oder IH kommt es zur Bildung von Antikörpern begrenzter Heterogenität. Es handelt sich um natürliche Antikörper der Klasse IgM.

Virusinfekte: Im Verlaufe akuter Virusinfektionen tritt nicht selten eine oligoklonale Ig-Vermehrung gegen virale Oberflächenantigene auf.

Immunsuppressive Therapie: Oligoklonale Ig-Muster kommen in den ersten Wochen nach Organtransplantation vor. Sie sind der Hinweis auf eine wieder in Gang kommende Ig-Bildung unter immunsuppressiver Therapie.

Autoimmunerkrankung, Parasitose: Dauerstimulation des Immunsystems durch ein gleich bleibendes Antigenspektrum bewirkt die zunehmende Selektionierung von B-Zellklonen und eine selektive Antikörperbildung mit oligoklonalem Ig-Muster.

Schleimhaut-Infektionen: Immunreaktionen auf den Schleimhäuten, z.B. des Urogenitaltrakts, können zur oligoklonalen IgA-Vermehrung führen.

Erkrankungen des Zentralnervensystems (ZNS): Lokale, humorale Immunreaktionen im ZNS verursachen eine limitierte Bildung von Antikörperpopulationen, insbesondere der Klasse IgG (oligoklonales IgG), auf Grund der begrenzten Präsenz immunkompetenter B-Zellen. Ein im Liquor cerebrospinalis, aber nicht im Serum mittels Isoelektrofokussierung darstellbares oligoklonales Antikörpermuster ist das Zeichen der lokalen Ig-Synthese. Es hat Aussagekraft zur Diagnostik bestimmter ZNS-Erkrankungen, z.B. der multiplen Sklerose (siehe Kapitel 46 – Labordiagnostik neurologischer Erkrankungen).

Immunkomplexe: Immunkomplexe in hoher Konzentration, z.B. Rheumafaktoren, können elektrophoretisch ein oligoklonales Bandenmuster bewirken.

Tabelle 18.10-1 Eigenschaften der IgG-Subklassen /12/

Eigenschaften

IgG1

IgG2

IgG3

IgG4

Molekulargewicht (kD)

146

146

170

14g

Aminosäuren der Hinge-Region

15

12

62

12

Disulfidbrücken der H-Ketten

2

4

11

2

Mittlere g/l im Serum (> 18 J.)

6,98

3,8

0,51

0,56

Relative Häufigkeit (%)

60

32

4

4

Halbwertszeit (Tage)

21

21

7–21

21

Kappa/Lambda-Ratio

2,4

1,1

1,4

8,0

Gm-Allotypen

4

1

13

2

Komplement (C1q) Bindung

++

+

+++

-

Plazentatransfer

++++

++

++++

+++

Antikörperantwort auf Proteine

++

+/-

++

++

Antikörperantwort auf Polysaccharide

+

+++

+/-

+/-

Antikörperantwort auf Allegene

+

-

-

++

Fc-Rezeptor-Bindung

  • Makrophagen, PMN

++

+

±

  • Mastzellen

+

Reaktion mit SPA

+

+

+

PMN, polymorphkernige Neutrophile; SPA, Staphylococcus aureus Protein A

Tabelle 18.10-2 Referenzbereiche für IgG-Subklassen von Siemens und The Bindind Site /34/

Alter (J)

IgG1

IgG2

IgG3

IgG4

0,5–1

1,5–7,9

0,36–1,4

0,09–0,86

0,006–0,46

1,4–6,2

0,41–1,3

0,11–0,85

bis 0,008

1–1,5

3,2–9,2

0,26–1,5

0,12–0,88

0,007–0,37

1,7–6,5

0,40–1,4

0,12–0,87

0,12–0,87

1,5–2

2,6–7,8

0,42–2,2

0,11–0,97

0,017–0,75

2,2–7,2

0,50–1,8

0,14–0,91

bis 0,41

2–3

2,7–9,4

0,44–1,9

0,09–6,3

0,023–0,59

2,4–7,8

0,55–2,0

0,15–0,93

bis 0,69

3–4

2,8–13,7

0,44–3,0

0,13–0,84

0,05–1,14

2,7–8,1

0,65–2,2

0,16–0,96

0,01–0,94

4–6

3,8–11,7

0,73–2,9

0,13–0,75

0,013–1,57

3,0–8,4

0,70–2,6

0,17–0,97

0,02–1,20

6–9

4,2–9,9

0,63–3,5

0,17–0,88

0,01–1,20

3,5–9,1

0,85–3,3

0,20–1,04

0,03–1,60

9–12

3,6–11,2

0,89–3,6

0,23–0,83

0,052–1,56

3,7–9,3

1,0–4,0

0,22–1,09

0,04–1,90

12–18

3,9–10,0

1,02–4,5

0,12–1,02

0,061–1,86

3,7–9,1

1,1–4,9

0,24–1,16

0,05–2,0

> 18 /4/

4,1–10,1

1,7–7,9

0,11–0,85

0,03–2,0

3,82–9,29

2,42–7,0

0,22–1,76

0,04–0,87

Angabe in g/l. Angegeben sind die 2,5. und 97,5. Perzentile. In den oberen Zeilen Referenzbereiche von Siemens, in den Unteren von The Bindind Site

Tabelle 18.10-3 Gehäuft mit IgG-Subklassenmangel einhergehende Erkrankungen

Rezidivierende bakterielle Infektionen:

  • Otitis
  • Pneumonie
  • Sinobronchiales Syndrom
  • Meningitis

Bronchiektasie

Intrinsisches Asthma bronchiale

Therapie resistentes Asthma bronchiale

IgA-Mangel

Therapie resistentes Krampfleiden

Chronische Darmerkrankung

Autoimmunerkrankung

HIV-Infektion

Tabelle 18.10-4 Mit IgG-Subklassen-Verminderung assoziierte Erkrankungen

IgG1: Da diese Subklasse den größten Anteil am Gesamt-IgG ausmacht, haben Patienten mit IgG1-Mangel auch immer einen Gesamt-IgG-Mangel. Dieser wird deshalb meist im Rahmen eines Immundefizienz Syndroms bei Patienten mit primärem Antikörpermangel oder dem Common variable immunodeficiency syndrome (CVID) gesehen /6/. Da IgG1 etwa 65 % des Gesamt-IgG ausmacht, resultiert bei einem IgG1-Mangel elektrophoretisch eine Hypogammaglobulinämie. IgG1 wird meist vermindert mit IgG2 und IgG3 gefunden. Niedrige Konzentrationen von IgG1 und IgG2 werden beim variablen Immundefekt Syndrom und bei sekundären Immunstörungen wie dem nephrotischen Syndrom nachgewiesen /14/.

IgG2: Der IgG2-Mangel kommt entweder isoliert oder in Kombination mit einem IgA- oder alternativ dem IgG1-Mangel vor. Die Patienten mit IgG2-Mangel sind anfällig für Infektionen mit bekapselten Bakterien wie Hämophilus influenzae Typ B, Streptococcus pneumoniae und anderen Erregern von Infektionen der Atemwege /7/. Der IgG2-Mangel prädisponiert aber nicht für rezidivierende Infektionen der Atemwege. Auch Autoimmunerkrankungen und Autoimmunzytopenien werden im Zusammenhang mit IgG2-Mangel gefunden.

IgG2 + IgG4: Etwa ein Drittel der Kinder mit niedrigem oder nicht nachweisbarem IgG4 haben auch einen IgG2-Mangel.

IgG2 + IgA: Etwa bei einem Fünftel der Patienten mit IgA-Mangel ist ein IgG2-Mangel nachweisbar. Patienten mit dieser Störung neigen zur Sepsis mit bekapselten Bakterien. Ebenfalls durch Infektion gefährdet sind Patienten mit IgA-Mangel, die zwar ein normales IgG2 aber eine unzureichende Immunantwort auf Polysaccharide von Pneumokokken aufweisen /27/.

IgG3: Der IgG3-Mangel kommt isoliert oder in Kombination mit einem IgG1-Mangel vor. IgG3 ist bedeutsam für die Immunantwort gegen respiratorische Viren und Moraxella catarrhalis. IgG3 ist der am effektivsten wirksame Virus-neutralisierenden Antikörper. In einer Studie an 6.580 Patienten mit rezidivierenden oder schweren Infektionen hatten 4,8 % einen IgG3-Mangel, davon waren 60 % isoliert und 36 % in Kombination mit IgG1 erniedrigt /28/. Die wesentlichen klinischen Diagnosen waren: Rezidivierende Infektionen der oberen Luftwege, Durchfall und Asthma bronchiale.

Die Komplementaktivierung bei der Abstoßungsreaktion eines Nieren- oder Lebertransplantats beim Empfänger erfolgt häufig durch spezifische HLA-Alloantikörper der Subklasse IgG3. Diese binden die Komplementkomponente C1q und aktivieren das Komplementsystem. Ein Teil der Empfänger hat schon vor Transplantation die HLA-Alloantikörper. Weiterführend siehe Literatur in /26/.

IgG3 + IgG1: Die mit einem kombinierten Mangel einhergehenden Infektionen sind schwerwiegend und häufig mit einer obstruktiven, teilweise zur Bronchiektasenbildung führenden Lungenerkrankung assoziiert.

IgG4: Der selektive IgG4-Mangel hat nur eine geringe klinische Relevanz, da er bei 5,6 % der Gesunden nachweisbar ist /14/. Bei Infektionspatienten ist der IgG4-Mangel mit anderen IgG-Subklassen-Mängeln, insbesondere IgG2, bzw. einer gestörten Polysaccharid spezifischen Immunantwort assoziiert /15/.

Tabelle 18.10-5 Erhöhungen von IgG-Subklassen

HIV-Infektion: Polyklonale Erhöhung, bevorzugt von Antikörpern der IgG1- und IgG3-Subklassen.

Allergische Alveolitis: Massiver Anstieg Allergen-spezifischer IgG2-Antikörper.

Häufige Bienenstiche: Eine IgG1 dominierte Immunantwort wird bei häufig gestochenen Imkern registriert.

Immuntherapie inhalativer Allergien: Bei Patienten mit Allergie gegen Graspollen und Allergie durch D. pteronyssimus kommt es in der Verlaufsbeurteilung von 5 Jahren zu einem IgG4-Anstieg von 50 % gegenüber dem Ausgangswert /29/. Das ist nicht der Fall bei unbehandelten Allergikern. Ursache des IgG4-Anstiegs bei diesen Patienten ist eine Immunmodulation unter Therapie. Auch eine kontinuierliche Zunahme des Allergen-spezifischen IgG4/IgG1-Quotienten erfolgt.

Alkohol-induzierte sklerosierende Pankreatitis: Diese Patienten haben IgG4-Werte von 1,36–11,5 g/l im Vergleich zu Gesunden mit 0,15–1,28 g/l /30/. Bei nicht-alkoholischer Pankreatitis und dem Sjögren-Syndrom ist das nicht der Fall.

Igg4-related disease: Anfangs wurde die IgG4-related disease als autoimmune Pankreatitis beschrieben /31/. Die Pathologie der Erkrankung wurde zwischenzeitlich aber in jedem Organsystem diagnostiziert /32/. Die IgG4-related disease ist eine systemische Autoimmunerkrankung, charakterisiert durch eine Erhöhung von IgG4 im Serum und tumorähnlichen fibroinflammatorischen Massen mit einer spezifischen Pathologie. Sie enthält Infiltrate von IgG4+ Plasmazellen. Die Klinik reicht von der einfachen Schwellung der betroffenen Organe (Speichel-, Tränendrüsen, Lymphknoten) zu Stenosen (pankreatikobiliär, urethral) bis zur Fehlfunktion von Organen (Hypophyseninsuffizienz bei Hypophysitis, Niereninsuffizienz). Anders als bei diesen Masseneffekten kommt es bei einem kleinen Teil der Patienten zu konstitutionellen Beschwerden wie Fieber und Gewichtsverlust. Die Inzidenz der IgG4-related disease beträgt 0,28 bis 1,08 auf 100.000 Personen. Die Erkrankung liegt vorwiegend bei Männern im mittleren Alter und bei älteren Männern vor.

Diagnostik /32/: Organbeteiligung, IgG4-Konzentration im Serum > 1,35 g/l, mehr als 10 IgG4+ Plasmazellen bei hoher mikroskopischer Vergrößerung und eine IgG4+/IgG+ Plasmazellratio von mindestens 0,40 in histologischen Gewebschnitten. Eine IgG4 Konzentration > 1,35 g/l ist zwar hinweisend auf eine IgG4-related disease, aber kein Beweis, denn solche Konzentrationen werden auch bei Patienten mit chronischer Sinusitis, bei Pneumonie, anderen Autoimmunerkrankungen und gewissen malignen Erkrankungen gemessen.

Tabelle 18.12-1 Einteilung der Kryoglobuline

Typ

Kryoglobulin-Zusammensetzung

I

Nur monoklonales Immunglobulin (Ig).

II

Mischung aus monoklonalem Ig, gewöhnlich IgM Typ κ und polyklonalem IgG.

III

Mischung aus polyklonalem Ig, gewöhnlich IgM und polyklonalem IgG.

Tabelle 18.12-2 Nachweis und Differenzierung von Kryoglobulinen /1/

1.

Jeweils 10 ml Blut mit einem jeweils vorgewärmten EDTA- und einem Serumröhrchen entnehmen.

2.

Serumröhrchen bei 37 °C im Wasserbad gerinnen und zelluläre Bestandteile im EDTA-Röhrchen sedimentieren lassen wenn keine temperierbare Zentrifuge verfügbar.

3.

Ist temperierbare Zentrifuge verfügbar, dann Abseren des Röhrchens durch Zentrifugation bei 37 °C, evtl. Zentrifuge vorher 30  min warmlaufen lassen.

4.

Serum dekantieren in jeweils ein konisch zulaufendes Röhrchen zur Gewinnung des Kryopräzipitats und Bestimmung des Kryokrits.

5.

Röhrchen bei 4 °C bis zu 15 Tage stehen lassen.

6.

Zentrifugation der Röhrchen 15  min bei 4 °C.

7.

Ablesen der Kryokrits.

8.

Zur Differenzierung der Kryoglobuline: Entfernung des Serums vom Sediment des Serumröhrchens. Sediment dreimal mit eiskalter 0,9 % NaCl waschen, dann in einem kleinen Volumen NaCl von 37 °C aufnehmen.

9.

Durchführung der quantitativen Proteinbestimmung, der Immunfixations-Elektrophorese und des Rheumafaktors.

Tabelle 18.12-3 Typen und Prävalenz von Kryoglobulinämien der Sheffield Protein Reference Unit /9/

Typ

Anzahl

Anteil (%)

Konzentration (g/l)

Mittel­wert

Median

Bereich

I

27

14,4

4,1

2,1

0,05–25

II

42

22,3

2,5

0,95

0,13–15

III

119

63,3

0,72

0,48

0,04–2

Kryofib.

5

2,6

0,79

0,15–7,9

Tabelle 18.12-4 Erkrankungen und Zustände in Assoziation mit gemischten Kryoglobulinämien

Hepatitis C (HCV) /16/: 90 % der Patienten mit gemischter Kryoglobulinämie Typ II haben eine HCV-Infektion. Das Kryoglobulin enthält einen IgM Typ Kappa Rheumafaktor mit anti-idiotypischer Aktivität. Seltener liegen Kryoglobuline des Typs III vor. Die Prävalenz der Kryoglobulinämie bei HCV-Patienten ist 25–30 %, aber nur 10–15 % haben Symptome, die von milder bis lebensbedrohender Symptomatik reichen. Die Kryoglobulinämie führt zu einer Vaskulitis kleinerer und mittlerer Gefäße von Haut, Nieren und peripheren Nerven. HVC-Coreprotein und Immunglobuline sind homogen in den Gefäßwänden verteilt. Pathophysiologisch geschieht folgendes:

Bei der Inkorporation von HCV-Viruspartikel und HCV core protein über Toll-like receptors setzen dendritische Zellen B-cell activating factor (BAFF) frei. BAFF ist ein Überlebenssignal für Marginalzonen-B-Zellen und VH1-69+B1-Zellen und hält eine starke klonale Expansion aufrecht. Diese Zellen synthetisieren große Mengen IgM mit Rheumafaktor (RF)-Aktivität. IgM-RF-Moleküle binden HCV-Partikel und es bilden sich Kälte-präzipitierbare multimolekulare Immunkomplexe. Diese binden C1q wodurch eine Bindung an die C1q-Rezeptoren der Gefäßwand vermittelt wird. Anschließend kommt es zur Komplementaktivierung /19/.

Gemischte Kryoglobulinämie – Purpura: Die Purpura ist mit 80–90 % das häufigste Symptom. Palpable Läsionen treten an den Unterschenkeln, Gesäßbacken und dem Stamm auf. Oft gehen Parästhesien und Schmerzen voran.

– Raynaud-Phänomen: Betrifft etwa ein Drittel der Patienten. Befallen sind Hände, Füße, Lippen, Ohrmuschel und Nase. In schweren Fällen kann es zu Nekrosen und digitaler Gangrän kommen.

– Nephropathie: Bis zu 40 % der Patienten entwickeln eine Nephropathie. Die häufigste Form ist die membranoproliferative Glomerulonephritis. Diese zeigt ein akut nephritisches Bild mit Proteinurie, Hämaturie und Hypertonie.

– Periphere Neuropathie /9/: Bis zu 60 % der Patienten haben eine Motor-sensorische Axonopathie. Ursache ist eine Verminderung der Durchblutung der Vasa nervorum durch die Ablagerung von Kryoglobulinen.

– Arthralgie: 70–80 % der Patienten haben Arthralgien, 20 % Myalgien oder Fibromyalgien.

Sjögren Syndrom: 5–61 % der Patienten mit Sjögren Syndrom haben eine gemischte Kryoglobulinämie und die Hälfte von diesen eine chronische HCV-Infektion.

Tabelle 18.15-1 Referenzintervalle für β2-Mikroglobulin

Serum, Plasma

/2/

0,8–2,4 mg/l (< 60 Jahre)

≤ 3,0 mg/l (> 60 Jahre)

/3/

0,7–1,8 mg/l*

Nabelschnurblut

/4/

2,5–4,5 mg/l

Spontanurin

/5/

≤ 200 μg/g Creatinin

/5/

≤ 300 μg/l

/3/

≤ 200 μg/l*

Clearance

/6/

0,03–0,12 ml/min

24 Std. Urin

/6/

33–363 μg

* Particle-enhanced immunoassay; Werte repräsentieren die 2,5. und 97,5. Perzentilen

Tabelle 18.15-2 β2-Mikroglobulin (β2-M) bei Erkrankungen

Maligne Lymphome – Chronisch-lymphatische Leukämie (CLL): Bei der CLL ist β2-M stadienabhängig erhöht. So waren in einer Studie /8/ bei unbehandelten Patienten im Stadium 0 die Serumkonzentration 2,0–2,8 mg/l und 2,7–5,3 mg/l in den Stadien I, II und 4,4–16,9 mg/l in den Stadien III, IV. Die sogenannten Low grade Lymphome, zu denen die CLL gehört, hatten β2-M-Konzentrationen bei stabilem Krankheitsbild im Stadium 0 oder I, die gewöhnlich 5 mg/l nicht überschritten. Die Höhe des β2-M vor Behandlungsbeginn ist ein prognostischer Indikator. So war die komplette Remissionsrate bei Werten unter 3,0 mg/l 71 % und bei Werten darüber nur 36 % /9/.

– Non-Hodgkin Lymphom (NHL): In einer Multicenterstudie /10/ hatten, ausgenommen dem Burkitt-Lymphom, 36 % der unbehandelten Patienten der Stadien I, II und 61,8 % der Stadien III, IV ein Serum-β2-M über 3,0 mg/l. Bei Patienten mit NHL und schlechter Prognose hatten diejenigen mit einer β2-M-Konzentration unter 4,0 mg/l eine längere Überlebenszeit als diejenigen mit darüber liegenden Werten. Bei 9,8 % der Stadium-I, -II-Patienten und 20,7 % der Stadium-III, -IV-Patienten in Remission waren die β2-M-Werte über 3,0 mg/l.

– Hodgkin-Lymphom: β2-M nimmt mit dem Stadium zu. Es hatten 5–32 % der Patienten der Stadien I, II und 43–71 % derjenigen der Stadien III, IV β2-M-Serumwerte über 3,0 mg/l. Unter kompletter Remission lagen nur 3,8 % der Patienten der Stadien I, II und 18,2 % der Stadien III, IV oberhalb 3,0 mg/l /10/. Bei Kindern mit Hodgkin-Lymphom korrelieren die β2-M-Konzentration, die Höhe der LDH und der BSR mit der Lymphommasse. Bei Diagnosestellung hatten 60 % der Kinder einen erhöhten β2-M-Wert (über 2,8 mg/l). Kinder mit B-Zellsymptomatik hatten höhere Werte als diejenigen ohne. Nach einer erfolgreichen Therapie kehrten die Werte in den Referenzbereich zurück /11/.

– Multiples Myelom: Beim multiplen Myelom ist das β2-M ein wichtiger prognostischer Indikator. So haben Patienten mit einer Konzentration im Serum unter 3 mg/l eine mittlere Überlebenszeit von 64 Monaten, bei 3–5 mg/l von 29 Monaten und Werten über 5 mg/l von 11 Monaten. Patienten mit einem Myelom vom plasmazytischen Zelltyp 1 und 2 und dem Marschalko-Typ haben generell Werte unter 5 mg/l. Die Smoldering-Variante hat Konzentrationen unter 3 mg/l /12/.

NierenerkrankungenGlomerulopathie: Bei Einschränkung der GFR unter 80 [ml × min–1 × (1,73 m2)–1] kann der obere Referenzbereichswert im Serum überschritten werden /13/. Insbesondere bei Kindern ist β2-M ein gutes Kriterium zur Beurteilung der GFR, da der Wert nicht von der Muskelmasse abhängt. Insgesamt schließen im Referenzbereich liegende Werte eine Einschränkung der GFR unter 60 [ml × min–1 × (1,73 m2)–1] aus. Erhöhte β2-M-Werte müssen vorsichtig beurteilt und alle anderen Ursachen, die eine β2-M-Erhöhung bewirken können, ausgeschlossen werden. Es besteht eine signifikante Korrelation zwischen dem Anstieg von β2-M im Serum und dem Abfall der GFR /13/. Die Beziehung des β2-M zum Serumcreatinin und zur Inulin-Clearance ist in Tab. 18.12-2 – Beziehung des β2-M zum Creatinin und zur Inulin-Clearance aufgezeigt.

– Tubulo-interstitielle Erkrankungen: Anhand der β2-M-Konzentration im Serum ist es nicht möglich, glomeruläre von tubulären Nierenerkrankungen zu differenzieren. Dies gelingt durch die Bestimmung der β2-M Ausscheidung im Urin. Ein gutes Kriterium, insbesondere bei Kindern, ist die Bestimmung der fraktionellen Exkretion von β2-M (FE-β2-M), ermittelt durch die gleichzeitige Bestimmung der Creatinin-Clearance. In einer Studie /14/ hatten, unabhängig von der GFR, Patienten mit tubulären Nierenschäden immer eine höhere FE-β2-M als diejenigen mit glomerulären. Auch das zusätzliche Auftreten eines tubulären Schadens bei eingeschränkter GFR konnte sicher abgegrenzt werden. Die Bestimmung von α1-Mikroglobulin im Harn hat sich gegenüber dem β2-M zur Diagnostik tubulo-interstitieller Erkrankungen als besser erwiesen (siehe Beitrag 12.7 – Cystatin C).

– Renal-tubuläre Schädigung durch die Schwermetalle Cadmium und Quecksilber: Akute und chronische Cadmium- und Quecksilbervergiftungen führen zu Nekrosen der proximalen Tubuluszellen. Als frühestes Zeichen der tubulären Schädigung durch die Schwermetalle werden β2-M-Ausscheidungen über 200 μg/g Creatinin im Spontanurin gemessen /4/. Die Erhöhung der β2-M Ausscheidung bei Exponierten ist nur ein Hinweis auf eine Schwermetallschädigung, der durch die Schwermetallbestimmung bestätigt werden muss. Cadmiumwerte im Serum über 10 μg/l und im Spontanurin über 5 μg/g Creatinin weisen auf eine Cadmium-Akkumulation hin. Die entsprechenden Werte für Quecksilber im Blut liegen bei über 10 μg/l und im Urin bei über 40 μg/l. Die Bleiintoxikation verursacht keine tubuläre Schädigung, die β2-M-Ausscheidung ist normal.

– Pyelonephritis in der Schwangerschaft /18/: Eine β2-M Ausscheidung über 300 μg/l tritt bei allen Schwangeren mit Infekten der oberen Harnwege im Rahmen einer Pyelonephritis mit begleitender tubulo-interstitieller Schädigung auf. Bei der Differentialdiagnose von unklaren Flankenschmerzen und vorliegender Dilatation des Kelchsystems des Nierenbeckens kann durch eine normale β2-M-Ausscheidung eine Pyelonephritis ausgeschlossen werden.

– Chronische Nierenerkrankung /15/: Bei chronischer Niereninsuffizienz nimmt mit Abnahme der glomerulären Filtrationsrate die Konzentration von β2-M im Serum progressiv zu. Patienten im Endstadium der chronischen Niereninsuffizienz haben Serumwerte im Bereich von 20–50 mg/l, und Konzentrationen höher als 100 mg/l kommen gelegentlich vor. Eine erhöhte Bildung von β2-M als Reaktion auf verschiedene Faktoren wie Entzündung, Azidose, Behandlung mit Calcitriol und Modalitäten der Dialysetechnik mögen eine Erklärung für die unterschiedlich hohen Werte bei den Patienten im Endstadium der chronischen Niereninsuffizienz sein.

– β2-M Amyloidose (Dialyse bezogene Amyloidose) /15/: Die Dialyse bezogene Amyloidose ist eine dramatische und schmerzhafte Komplíkation der chronischen Niereninsuffizienz und tritt in der Regel nach 6–10 Jahren Dialystherapie auf. Eine Amyloidose wurde niemals bei nicht-urämischen Patienten berichtet. Diese haben in der Regel β2-M-Konzentrationen bis zu 5 mg/l. Die wesentlichen Zeichen und Symptome der β2-M-Amyloidose sind das Karpaltunnelsyndrom und chronische Arthralgien mit eventuellem Auftreten von destruktiven Arthropathien und Spondylarthropathien. Die längerfristige Erhöhung der β2-M-Konzentration ist eine der Vorausetzungen zur Bildung von Amyloidfibrillen. Weitere Faktoren sind eine posttranslationale Modifikation durch partielle Proteolyse des β2-M Moleküls, die Bildung von Advanced glycation products oder Advanced oxidation protein products. Auch wurde vermutet, dass ein Spaltprodukt von β2-M, das eine Deletion des Lysins in Position 58 des Molekülls ΔK58-β2-M hat und sich unterschiedlich verhält im Vergleich zum intakten β2-M eine Rolle in der β2-M-Fibrillogenese spielt. Die Prävalenz und Schwere der Dialyse bezogene Amyloidose hat in den letzten Jahren aus unbekannter Ursache abgenommen.

– Cytomegalievirus Infektion nach Nierentransplantation: Bei nierentransplantierten Patienten erleichtert die Bestimmung von β2-M die Erkennung einer Cytomegalievirus-Infektion. Es wurde in 11 von 13 Fällen ein Anstieg der β2-M-Ausscheidung im Urin um mehr als das 3 fache in der Verlaufsbeobachtung festgestellt /16/. Der Anstieg der β2-M-Ausscheidung geht dem Nachweis des Cytomegalievirus-Immediate-Early-Antigen (CMV-IEA) voraus.

– Nierenfunktion nach Nierentransplantation: Nach Transplantation und Einsetzen der Funktionsfähigkeit der Niere kommt es innerhalb weniger Tage zur Normalisierung des β2-M im Serum. Auch bei primär funktionslosen Nieren, die erst bis zu 30 Tage nach Transplantation eine ausreichende Funktion aufnehmen, kommt es innerhalb der ersten 2–4 Tage zu einem deutlichen Abfall der β2-M-Konzentration im Serum /17/.

Schon 2–7 Tage vor klinisch diagnostizierten Abstoßungskrisen kommt es zum deutlichen β2-M-Anstieg, oft 1–3 Tage vor der Zunahme des Serumcreatinins /6/. Den Wert der β2-M-Bestimmung zur Erkennung der Abstoßungsreaktion eines Nierentransplantates bezweifeln andere Autoren /16/.

Verlaufsbeurteilung der HIV-Infektion: Bei 462 HIV-positiven Männern wurde der Fortgang der Infektion über 3 Jahre verfolgt. 26 % entwickelten in diesem Zeitraum die klinische AIDS-Symptomatik und 19 % die des AIDS-related complex (ARC). Die β2-M-Konzentration eignete sich sehr gut als Parameter zur Beurteilung der Progression. Von den HIV-Positiven mit β2-M-Konzentrationen über 5,0 mg/l entwickelten 75 %, mit Werten von 3,1–5,0 mg/l 28 % und mit Werten unter 3,0 mg/l 7 % AIDS /19/.

Allogene Knochenmarktransplantation: Die β2-M-Konzentration im Serum ist geeignet zur Erkennung der akuten und chronischen Abstoßungsreaktion. Auch die Reaktivierung einer Herpes simplex-, Varizella-Zoster- oder Cytomegalievirus-Infektion bei diesen Patienten geht mit dem Anstieg der β2-M-Konzentration einher /20/.

Frühgeborene mit chronischer Lungenerkrankung: Die chronische Lungenerkrankung ist eine häufige Komplikation bei Frühgeborenen und spielt eine wichtige Rolle in der Morbidität und Mortalität, sowohl auf der Neugeborenenstation als auch noch nach der Entlassung aus der Klinik. Es wird angenommen, dass eine inflammatorische Reaktion als Antwort auf ein Lungentrauma die Ursache der chronischen Lungenerkrankung ist. Auch tritt die chronische Lungenerkrankung gehäuft bei einer Chorioamnionitis auf. Eine Erhöhung der β2-M-Ausscheidung über 10 × 104 μg/g Creatinin im Urin, gewonnen an den Lebenstagen 0 oder 2, wird als Prädiktor einer kommenden chronischen Lungenerkrankung erachtet /21/.

Fetale Infektion /22/: Fetale Infektionen durch das Cytomegalievirus oder durch Toxoplasma gondii werden mit einer diagnostischen Sensitivität von 93,3 % durch β2-M-Werte über 5 mg/l im fetalen Serum diagnostiziert.

Tabelle 18.15-3 Beziehung des β2-M zum Creatinin /23/ und zur Inulin-Clearance /24/

1.

Serumcreatinin (x) zu β2-M im Serum (y)

y (mg/l) = 3,713 mal x (mg/dl) – 2,049

y (mg/l) = 0,042 mal x (μmol/l) – 2,049

2.

β2-M (y) im Serum zur GFR (x), ermittelt als Inulin-Clearance

log y (mg/l) = –0,89 mal log x (ml/min) + 2,0

Serumprotein-Elektrophorese Präalbumin Albumin α 1 -Lipoprotein (HDL) α 1 -Glykoprotein α 1 -Antitrypsin α 2 -Makroglobulin Haptoglobin Prä-β-Lipoprotein Transferrinβ-LipoproteinKomplementIgAIgM IgG α 1 α 2 β γ

Abbildung 18.3-1 Zonen-Elektrophorese auf Zelluloseazetat-Träger. Dargestellt sind die Proteinfraktionen und die Proteine, die diese bilden.

IgM CIG A L B α 1 α 2 β 1 β 2 μ α Lp GC β Lp α 1 AT α 2 M H x C3 Hp 2-1 Tf Fg IgA CR P 0 m IgG Al b

Abbildung 18.3-2 Elektrophoretische Auftrennung der Serumproteine auf Agarose-Träger. Alb, Albumin; αLP, α-Lipoprotein; α1-AT, α1-Antitrypsin; Om, Orosomucoid; Gc, Gc-Globulin; α2M, α2-Makroglobulin, Hp2-1, Haptoglobin Typ 2-1; β-LP, β-Lipoprotein; Hpx, Hämopexin; C3, Coeruloplasmin; Tf, Transferrin; Fg, Fibrinogen.

Chronische Entzündung Akute Entzündung Leberzirrhose Nephrotisches Syndrom Monoklonale Gammopathie Antikörpermangelsyndrom

Abbildung 18.3-3 Extinktions-Orts-Kurven von Serumprotein-Elektrophoresen auf Zelluloseazetatfolie bei typischen Dysproteinämien /2/.

Cys34 BS1 BS2 BS3 BS4 N-terminus

Abbildung 18.4-1 Struktur von Albumin und funktionelle Domänen.

α1-Antitrypsin quantitativ Genotypisierung Mitteilung derResultate und Interpretation Diskrepante Resultate beider Untersuchungen Phänotypisierung vonα1-Antitrypsin Mitteilung der Resultateund Interpretation ÜbereinstimmendeResultate beider Untersuchungen

Abbildung 18.5-1 Algorithmus zur Diagnostik des AAT-Mangels. Bei Anfrage an das Labor zur Untersuchung auf AAT-Mangel wird primär die quantitative Bestimmung von AAT und bei einer Konzentration unter 1,1 g/l eine Genotypisierung durchgeführt. Für einen Nicht-S-Genotyp und den Nicht-Z-Genotyp sollte die AAT-Konzentration über 1,0 g/l betragen. Für den Z/Nicht-S-Heterozygoten und den S/Nicht-Z-Heterozygoten sollte der AAT-Wert über 0,70 g/l sein. Für den SS-Genotyp wird ein Wert von unter 1,0 g/l erwartet und für den ZZ-Genotyp von unter 0,70 g/l. Bei Resultaten, die nach der Genotypisierung nicht in den genannten Bereichen liegen, sollte eine Phänotypisierung zur Suche auf seltene Varianten durchgeführt werden. Mit freundlicher Genehmigung nach Lit. /13/.

Hyperstabiles α1-Antitrypsin Serinprotease Metastabiles α1-Antitrypsin Serinprotease

Abbildung 18.5-2 Inaktivierung einer Serinprotease durch α1-Antitrypsin (AAT) /22/. Die dicken waagerechten Linien stellen die Faltblattstruktur des AAT-Moleküls dar.Die Inaktivierung der Serinprotease läuft wie folgt ab:

AAT hat eine reaktive Peptidschleife, die das Molekül in einer metastabilen Konformation hält.

Die reaktive Peptidschleife dient außerdem der Serinprotease als Pseudosubstrat.

Nach Bindung des aktiven Zentrums der Serinprotease an die reaktive Peptidschleife ändert sich die metastabile Konformation des AAT und die reaktive Schleife schnappt wie eine Mausefalle zurück. Dadurch wird die adhärierte Serinprotease zur gegenüberliegenden Seite des AAT-Moleküls transponiert und das AAT-Molekül erreicht einen hyperstabilen Zustand.

Durch die Transposition wird die Struktur des Serinprotease-AAT-Komplexes so verändert, dass die Serinprotease inaktiviert, der Komplex von Rezeptoren der Hepatozyten erkannt und zur Degradation inkorporiert wird.

α1-Antitrypsinmolekül 1 α1-Antitrypsinmolekül 2

Abbildung 18.5-3 Polymerisation von zwei AAT-Molekülen. Die Basis der Polymerisation beruht auf der reaktiven Peptidschleife, die sich in die β-Faltblattstruktur eines zweiten AAT-Moleküls einlagern kann. Mutationen des SERPINA1-Gens führen zu solchen Veränderungen der β-Faltblattstruktur, dass die Einlagerung der reaktiven Schleife eines AAT-Moleküls in die Faltblattstruktur eines zweiten stark begünstigt wird /24/. Somit kommt es zur Polymerisation von AAT-Molekülen.

Citrat-zyklus Atemkette H H Acetyl-CoA NAD NADH CO2 H2O + CO2 O2 Ketone NAD H-Pool ADH H2O2 H2O Äthanol Peroxisom Mitochondrium Fettsäuren α-Glycerophosphat Acetaldehyd-Dehydro-genase Acetaldehyd glattes endoplasmatisches Retikulum NADP H2O O2 NADPH MEOS Arzneimittelschad-stoffe PolareMetabolite Glucose Pyruvat Lactat Hyperlactacidämie Hyperurikämie Fettleber rauhes endoplasmatischesRetikulum ADH Triglyceride NADH Katalase Hyperlipämie Acetat Ketone Acetal-dehyd

Abbildung 18.6-1 Metabolisierung von Alkohol. Alkohol wird im Hepatozyten in zwei Phasen verstoffwechselt. In der ersten erfolgt die Oxidation durch die Alkoholdehydrogenase (ADH) in Acetaldehyd und in der zweiten wird dieses zu Essigsäure abgebaut. Letztlich wird Acetat in Acetyl-CoA umgewandelt, ein Ausgangsprodukt für den Citratzyklus, die Fettsäure- und die Cholesterinsynthese. Ab einer Blutalkoholkonzentration von 0,5 ‰ wird ein weiterer Abbauweg aktiviert, das mikrosomale Äthanol oxidierende System (MEOS). Die Oxidation von Alkohol zu Acetaldehyd erfolgt durch CYP2E1, ein Cytochrom P450. Neben Alkohol kann CYP2E1 viele andere Substanzen oxidieren. Die Aktivität dieses Systems steigt Alkohol induziert an und bewirkt eine erhöhte Alkoholtoleranz. Die Produkte dieses Alkoholabbauweges sind reaktive Sauerstoffradikale (siehe Beitrag 19.2 – Oxidativer Stress), die eine Rolle spielen in der Schädigung der Leber. Insgesamt kommt es bei der Verstoffwechslung von Alkohol zu einer Anhäufung von NADH im Zytoplasma, diese treibt die LDH zur Bildung von Lactat und die Malatdehydrogenase (nicht in der Abbildung gezeigt) zur Malatsynthese an. Beide Reaktionen vermindern die Glukoneogenese der Leber erheblich. In die Mitochondrien permeierendes Acetaldehyd hemmt den Citratzyklus. Daraus resultiert eine verminderte Oxidation von freien Fettsäuren, die dann zur Triglyceridproduktion umgelenkt wird. Die Folgen sind eine Hypertriglyceridämie und die Ausbildung einer Fettleber.

OH O O O OH HO HO CH 3

Abbildung 18.6-2 Struktur von Ethylglukuronid

Transferrin CD-Transferrin Sialinsäure Mannose N-Acetyl-glucosamin C N 611 413 Fe pI 5,4 pI 5,7 Galactose 413

Abbildung 18.6-3 Struktur des Transferrins (oben) und von Disialotransferrin (unten). Transferrin hat zwei verzweigte Kohlenhydratketten mit jeweils einem Sialinsäurerest an den Enden. Beim gezeigten CD-Transferrin fehlt eine Kohlenhydratkette (Glykan). Das Molekül hat nur noch eine Kohlenhydratkette mit zwei Sialinsäureresten (Disialotransferrin).

Freie toxische Radikale GSSH-Bildung CH3CH2OH Cytochrom P-4502E1-Induktion Acetaminophen CH3CH2OH Methadon Oxidation,metabolischeToleranz Metabolisierung Demethylierung

Abbildung 18.6-4 Biochemische Wirkung von Äthanol. Alkoholgenuss führt zur vermehrten Bildung freier Radikale und zu einer verminderten Synthese von reduziertem Glutathion (GSSH). Die Aktivität des Alkohol-abbauenden Enzyms Cytochrom P-4502E1 ist bei chronischem Alkoholgenuss erhöht, wodurch auch die Alkoholtoleranz zunimmt. Die Metabolisierung von Acetaminophen und Methadon wird bei Alkoholgenuss inhibiert.

KFC vorhandenCp < 0,2 g/lUrin-Cu > 40 μg KFC vorhandenCp ≥ 0,2 g/lUrin-Cu > 40 μgLeberbiopsie– Histologie– Cu-Bestimmung > 250 μg ≤ 250 μg < 50 μg 50–250 μg > 250 μg Keine KFCCp < 0,2 g/lUrin-Cu ≤ 40 μgLeberbiopsie– Histologie Andere DiagnoseMolekulargenetikDiagnose M. Wilson Keine KFCCp < 0,2 g/lUrin-Cu > 40 μgLeberbiopsieCu-Bestimmung +

Abbildung 18.7-1 Ablauf zur Diagnostik des M. Wilson bei Patienten mit nicht erklärbarer Lebererkrankung. Modifiziert nach Lit. /1/. Abkürzungen: KFC, Kayser-Fleischer Cornealring; Cp, Coeruloplasmin; Urin-Cu, Cu-Ausscheidung im 24 h Urin; Cu Bestimmung in Leberbiopsie, Angabe in μg/g Trockengewicht.

Hp(1-1) α 1 · β α 1 · β α 1 · β α 1 · β α 1 · β α 1 · β S S S S S S S S S Hp(2-1) n = 0, 1, 2 n = 3, 4, 5 Hp(2-2)

Abbildung 18.8-1 Struktur der Haptoglobine. Der kleinste Haptoglobintyp Hp 1-1 mit einem MG von 86 kD hat die Struktur eines α1β-Dimers. Hp 2-2 besteht aus multiplen Wiederholungen der Basiseinheit und α2β ist das größte Haptoglobinmolekül mit einem MG von 170–900 kD. Im heterozygoten Hp 2-1 flankieren jeweils eine α1β-Einheit eine variable Länge von α2β-Polymeren.

Endozytose Häm Fe 2+ -Anstieg Verminderte IRP/IRE-Bindung Ferritin mRNA-Translation IRE CD 163 Hb-Hp 2-2-Komplex Hb RBC Hp 2-2 Hämolysis Makrophage

Abbildung 18.8-2 Verwertung von Eisen aus dem Haptoglobin-Hämoglobin-Komplex (Hp-Hb-Komplex). Modifiziert nach Lit. /19/. Die Aufnahme des Hp-Hb-Komplexes in die Makrophagen erfolgt über den Makrophagenrezeptor CD 163. Nach Endozytose und Proteolyse des Hp-Hb-Komplexes wird Eisen durch das Enzym Hämoxygenase aus dem Häm freigesetzt. Das im labilen Eisenpool befindliche Eisen wird vom Iron Regulatory Protein (IRP) wahrgenommen und über Bindung des IRP an das Iron Regulatory Element (IRE) für Ferritin die Translation der Messenger-RNA für Apoferritin erhöht. Die Folge ist eine verstärkte Synthese von Apoferritin und die Eisenspeicherung in Form von Ferritin (siehe hierzu auch Beitrag 7.1 – Eisenstoffwechsel und -störungen). RBC, rote Blutzelle.

Hp-Hämoglobin Bilirubin RES Hämoglobin Hp-Überschuss Hp-Mangel Hb 2 Hp-Mangel Hämatin (+ Globin) Hämatin-Albumin(Methämalbumin) Hämatin-Hx Kidney + Albumin + Hx Hp-Mangel

Abbildung 18.8-3 Intravasaler Hämoglobin- und Hämatintransport bei Hp-Überschuss und Hp-Mangel /5/. Bei Hp-Mangel und der renalen Ausscheidung von freiem Hämoglobin wird das α2β2-Tetramer des Hämmoleküls in zwei αβ-Dimere (Hb/2) gespalten. RES, retikulo-endotheliales System.

Hinge-Region S S S S S S COOH COOH COOH COOH Antigen Antigen COOH COOH Hinge-Region Hinge- Region C1q C1q S S S S S S S S COOH COOH Papain-Spaltung Papain-Spaltung COOH COOH COOH COOH S S S S S S S S COOH COOH H H L COOH COOH S S S S SS S S S S SS S S S S C H 1 C H 2 C H 3 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 NH 2 L S S

Abbildung 18.9-1 T-Form des IgG-Moleküls in freier Lösung (links oben) und V-Form bei Antigenbindung (rechts oben). Lokalisation der V-Region und der Schwerketten-Domänen CH1–CH3 (links unten) und Angriffspunkte der Peptidase Papain (rechts unten), modifiziert nach Lit. /4/. C1q, Bindungsstelle für diese Komplementkomponente. Papain spaltet das IgG-Molekül oberhalb der Disulfidbrücken, es entstehen Fab-Bruchstücke mit Antigenbindungsfähigkeit und das aus zwei Schwerkettenfragmenten bestehende Fc-Stück. C, konstante Region; V, variable Region.

IgGIgDIgE IgA Sekretorischer Teil(MG 60 kD) J-Kette (MG 15 kD) IgM J-Kette

Abbildung 18.9-2 Struktur der Immunglobuline /5/.

120100806040200 Immunglobulinkonzentration (% der Erwachsenen-Norm) mütterlicheIgG 0 10 20 30 38 Wochen Monate Fetalzeit Kindesalter Jahre 5 10 1 2 2 3 4 5 6 7 8 9 Zellen IgM + IgG + Geburt IgM IgG Ig A Ig G IgM Erw.-Werte 1.700 8007006005004003002001000 IgG IgA Ig M

Abbildung 18.9-3 Verhalten der Ig-Konzentration in der Fetalzeit und im Kindesalter.

Schwere Kette(MG 44.000) CHO NH 2 Die HLA-Antigene α-Kette(MG 34.000) β 2 -Mikroglobulin (MG 11.800) ß-Kette(MG 29.000) COOH Klasse I(klassische Antigene) Klasse II(Ia-Antigene) Extrazellulär Intrazellulär SS SS SS SS SS SS

Abbildung 18.15-1 HLA-Antigene auf der Zellmembran kernhaltiger Zellen. Die MHC-Antigene Klasse I bestehen aus zwei Ketten, der schweren Kette und dem β2-Mikroglobulin. Die MHC-Antigene der Klasse II bestehen aus zwei Ketten, die an die Zellmembran gebunden sind.

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